“Amazon lässt uns nicht gehen” – das waren die letzten Worte, die Larry Virden seiner Partnerin per Text-Nachricht zukommen ließ. In der Nacht vom 10. Dezember tobte ein Tornado durch das Warenhaus in Illinois, in dem Virden arbeitete und tötete ihn und fünf andere. Ihre Leben wurden geopfert, damit Amazon ein bisschen mehr Geld während der Hauptlieferzeit scheffeln konnte.
Mehr als eine halbe Stunde verging zwischen der offiziellen Tornado-Warnung per Textnachricht vom US National Weather Service und dem Moment als der Tornado die Parkplätze vor dem Warenhaus erreichte. Trotz zwei Notfallbunkern im Warenhaus wurden viele Arbeiter gezwungen weiterzuarbeiten, die im letzten Moment in Toiletten oder Flure flüchteten. Zur Katastrophe trug auch noch bei, dass die meisten Arbeiter ihre Handys aufgrund von Unternehmensrichtlinien nicht mit sich hatten und somit die Warnung garnicht erhielten.
Ein Amazon-Angestellter einer nahen Einrichtung äußerte gegenüber Bloomberg: “Nach diesen Toden kann ich mich auf keinen Fall darauf verlassen, dass Amazon meine Sicherheit gewährleistet.” Nachdem Berichte von dem Blutbad in Illinois aufgetaucht waren, nahm der Amazon Gründer und frühere CEO Jeff Bezos sich einen Moment, um auf Sozialmedia zu posten – um den dritten Bemannten Flug ins All einer seiner anderen Unternehmungen Blue Origin zu feiern. Es dauert noch mehrere Stunden bis Bezos’ PR-Team auf die Idee kam Beileid für die Familien der Getöteten auszusprechen. Amazon CEO Dave Clark beteuerte gerade mal seine “Gedanken und Gebete”.
Drohungen
Dieses gefühllose außer Acht lassen von Leben ihrer Arbeiter ist aber nicht begrenzt auf Amazon, sondern ist ein systematisches Merkmal des Kapitalismus. In der selben Nacht tobte ein Tornado durch den Westen Kentuckys und tötete mehr als 90 Menschen – unter anderem mindestens acht Arbeiter einer Kerzenfabrik in der Stadt Mayfield. Weitere acht Arbeiter sind immernoch vermisst, verschwunden unter den Trümmern. Von den überlebenden Arbeitern erzählten mehrere NBC News, dass Vorgesetzte drohten, jeden, der seinen Arbeitsplatz verlasse, bevor der Tornado die Fabrik treffe, zu entlassen.
Mindestens 15 der 110 Arbeiter der Fabrik baten gehen zu dürfen und taten sich sogar zusammen, wurden aber jedes mal zurückgewiesen. Führungskräfte bestritten dies zwar, die Angestellten waren aber unnachgiebig. “‘Wenn Ihr geht, ist es wahrscheinlicher, dass Ihr gefeuert werdet.’ Das habe ich doch mit meinen eigenen Ohren gehört”, erzählte McKayla Emery NBC. Emery war für mehr als sechs Stunden unter dem Schutt gefangen und liegt nun mit geschwollenen, unbeweglichen Beinen und chemischen Verbrennungen von Kerzenwachs auf ihrem ganzen Körper im Krankenhaus.
Diese Tragödien heben mehrere ineinandergreifende Probleme hervor, die aus einem System, welches Profit über menschliche Leben stellt, herausgehen. Entlassene Arbeitskräfte, Angriffe auf Rechte, Konkurrenzdruck, Lieferkettenprobleme und natürlich Klimawandel sind alles Probleme, die mit den Zerstörungen in Kentucky und Illinois in Verbindung gesetzt werden können. Die Wettermuster, die die Stürme im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten in dieser Nacht erzeugt haben, sind im Dezember nicht normal. “Die Hitze und Luftfeuchtigkeit im Süden waren sehr uncharakteristisch für diese Jahreszeit”, erklärt Victor Gensini, ein Professor für atmosphärische Wissenschaften der Northern Illinois University, NBC News. “Ich erinnere mich aufzuwachen, mir die Wetterkarten anzuschauen und zu denken ‘Geez, das sieht aus wie Mitte April und nicht wie Mitte Dezember.” Mit La Niña Bedingungen vereint, hat die unsaisonale Wärme die mögliche Häufigkeit von Stürmen in dieser Region erhöht.
Amazon
Amazon ist der zweitgrößte Arbeitgeber in den Vereinigten Staaten. Anfang dieses Jahres bemühte sich die Firma mehr Warenhäuser zu bauen und seine Lieferkapazitäten aufzustocken – um Lieferkettenunterbrechungen und erhöhter Nachfrage entgegenzukommen. Von den 190 Arbeitern in dem vom Tornado getroffenen Warenhaus waren nur sieben vollzeitangestellte Arbeiter. So viele Auftragnehmer zu haben, hilft Amazons Haftung zu beschränken, sollten Katastrophen aufkommen. Außerdem macht es es schwerer für Arbeiter, sich zu organisieren um für ein besseres Einkommen und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
Währenddessen hat die kleinere Firma – Mayfield Consumer Products, die Kerzenfirma – selbst auch eine verwerfliche Bilanz: Auf der Jagd nach billiger, leichter auszubeutenderer Arbeit, rekrutierte die Firma wirtschaftlich benachteiligte Arbeiter aus Puerto Rico und schloss mindestens zwei Verträge mit Gefängnissen in der Nähe ab, um eingesperrte Arbeiter zu gewinnen. Der Wettkampf Lohn und Arbeitskonditionen herunterzuschrauben, um Profit zu schlagen, betrifft also jede Firma, ob groß oder klein.
Die Arbeiter, die ihren Vorgesetzten in Mayfield in kleinen Gruppen gegenübertraten, wussten, dass sie dies nicht als Individuen tun könnten – leider war selbst das nicht genug. Trotz dem Fakt, dass das US-Bundesgesetz das Recht Arbeit in gefährlichen Situationen zu verweigern schützt, ist dieses in Gefahrensituationen bedeutungslos ohne ein mehrheitliches Verlangen von Seiten der Arbeitnehmer. Die Farmarbeiter, die diesen Sommer während der Hitzewelle für neuen Schutz kämpften, können dies bestätigen. Ermittlungen der US Occupational Safety und Health Administration sind nun von beiden Seiten unterwegs. Ohne eine militante und organisierte Belegschaft im Rücken werden diese Ermittlungen jedoch kaum zu etwas führen. Wahre Gerechtigkeit kann den von ihren Arbeitgebern ermordeten Arbeitskräften von Amazon und Mayfield nur ein Klassenkampf bringen.
Der Artikel von Dave Blindermann erschien in Redflag und wurde von Pia übersetzt.