Wie die USA Terrorismus schaffen

Die USA prahlen gerne mit ihrem Engagement für die Demokratie. Aber ihre Interventionen haben Tod und Despotismus für den Nahen Osten ergeben. Die erste Ausgabe von „Catalyst: A Journal of Theory and Strategy“ ist soeben erschienen. Im Februar schrieb der auf den Mittleren Osten spezialisierte Historiker Juan Cole darüber, wie es den USA gelingen könnte, den IS zu besiegen. Die Antwort, so argumentierte er, sei eine Allianz mit dem Iran und seinem Miliz-Netzwerk. Cole hat ein schlechtes historisches Gedächtnis.

Die Entstehungsgeschichte des IS kann man zweifellos in der islamischen Geschichte eine längere Zeit lang zurückverfolgen, doch sie beinhaltet ein sehr bekanntes und kurze Zeit zurückliegendes verwandschaftliches Entstehungsmilieu: Die sunnitischen Dschihadisten, die die USA in den 1980er und 1990er Jahren dazu brachten, ihren damals ideologischen Feind, die UdSSR, zu bekämpfen und zu bewaffnen. Cole nähme einen US-Angriff auf den IS um jeden Preis in kauf, auch wenn seine bevorzugte Strategie die muslimische Welt in einen Zustand tieferer Gewalt und Chaos stürzen könnte und in der Zukunft einen noch schwieriger zu besiegenden Feind böte.

Leider ist der prominente Gelehrte nicht allein in seinem Gedächtnisverlust.

Der Glaube, dass der islamische Terrorismus eine existenzielle Bedrohung darstellt und dass alle Strategien, unabhängig von ihren Konsequenzen, verwendet werden sollten, um diese zu bekämpfen, hat die amerikanische Gesellschaft auf sehr gefährliche Weise militarisiert, während sie die tatsächlichen Wurzeln des islamistischen Terrorismus verdeckt.

Gewaltbereite und -tätige Tendenzen gibt es im Islam – wie im Christentum und in anderen Religionen – schon immer, aber historisch bewiesen die Muslime weitgehend den sozialen und politischen Willen, sie einzudämmen. Warum ist das nicht mehr der Fall, und was sind die Umstände, die die Ideologie des islamistischen Terrorismus für einige Kreise heute zu einer attraktiven gemacht haben? Kurz gefragt: Wer hat die Bedingungen geschaffen, die zum Aufstieg solcher Gruppen wie ISIS (IS/Daesh), al-Qaida und vielen anderen geführt haben?

Zusammenprallende Zivilisationen

Seit dem 11. September verfolgen die USA eine Politik, die weitgehend von Samuel Huntingtons „Zusammenprall der Zivilisationen“ inspiriert ist, in dem die muslimische Welt als ein eingefleischter Feind des „Westens“ feststeht. Mit dem Fall der UdSSR und ihrer Konstellation kommunistischer Regierungen, fehlte den US-Eliten eine funktionierende Rechtfertigung dafür, die Kriegsmaschinerie des Landes zu erhalten. Huntingtons Theorie hat ihnen eine gegeben. Nachdem Al-Qaida am 11. September zugeschlagen hatte, begann die Bush-Regierung Kriege in Afghanistan und im Irak und versuchte die Netzwerke des islamistischen Terrors zu zerschlagen, um jeden Preis, was auch immer die Konsequenzen waren für muslimische Zivilisten. Obwohl die Antikriegsstimmen in den USA manchmal ziemlich laut wurden und dabei halfen, Barack Obama zum Präsidenten zu machen, war eine neue Normalität etabliert worden. Obama setzte nicht nur die gleichen Kriege fort, sondern begann in Pakistan, Libyen, Jemen und Syrien neue (wenn auch nichtdeklarierte). Infolgedessen ist der Mittlere Osten in gefährdeterem Zustand, als zu Bushs Abgang (Trotz der Apologetik der Obama-UnterstützerInnen).

Zu Hause hat unterdes die bereits mit Militarismus geimpfte amerikanische Gesellschaft – Ein Produkt der endlosen militärischen Interventionen seit dem Zweiten Weltkrieg – ein schädliches neues Element zu ihrer gewaltbereiten Gärmasse hinzugefügt: Islamophobie.

Trumps anti-muslimische Erlasse – die trotz einiger Rückschläge höhere Zustimmungswerte in Umfragen erhielten als seine Gesamtleistung als Präsident – waren nur die jüngsten Anzeichen dafür, wie tief die jüngsten US-Kriege die amerikanische Gesellschaft verändert haben und wie erfolgreich die antimuslimische Kampagne im Inland war .

Die Vertiefung der Militarisierung hat religiöse Fanatiker und imperialistische Ideologen in den USA ermächtigt, die jeden Vorwand benutzen, um das Land auf den Weg von Huntingtons „Zusammenprall der Zivilisationen“ zu führen. In der Tat drückt sich das ultra-konservative Christentum in den USA zuhause nicht primär durch Gewalt aus. Es nutzt seinen politischen Muskel, um Gewalt im Ausland auszuleben – durch US-Kriege.

Autokratie im Nahen Osten

Wenn der nahe und mittlere Osten in Diktaturen versunken ist, hat dies weit mehr mit US-Einmischungen zu tun als mit irgendeiner angeblich angeborenen muslimischen Affinität für Despotismus. Als der syrische Autokrat Hafez al-Assad im Jahr 2000 starb, schickte Präsident Bill Clinton die Staatssekretärin Madeleine Albright, um seinen Sohn Baschar al-Assad als den britisch gebildeten Reformator zu feiern. Assad herrschte von Anfang an mit eiserner Faust – und die USA erhoben keine Einwände. Im Jahr 2009 reiste Obama in die Türkei und Ägypten, um die neue US-Haltung gegenüber der muslimischen Welt anzukündigen. Gaddafi, Mubarak, Assad – alle waren zur Beseitigung vorgesehen, um Platz für eine neue Zuchtlinie von Diktatoren zu machen, die nach dem Bild des Herrschers geklont wurden, der damals der Liebling der USA und Europas war: Dem Bild des türkischen Staatsführers Recep Tayyip Erdogan.

Aber Obamas Einmischung schwächte eine bereits zerbrechliche Zivilgesellschaft, was die Rekrutierungszahlen für IS und al-Qaida vervielfachte, und die Autokraten der Region und andere wussten genau, wie man das Spiel spielte. Sie nutzten die Bedrohung des IS, um ihre drakonischen Klammerangriffe auf die politische Freiheit zu rechtfertigen, und nutzten den IS als Vogelscheuche, um die USA und Europa so zu erschrecken, daß es ihr Überleben garantieren würde. Wie sonst könnten sie „Schlüsselpartner“ im Krieg gegen den Terror sein? Als Erdoğan an die Macht kam, steuerten die USA (mit der EU auf den Fersen) alle Arten von Investitionen und politischer Unterstützung. Erdoğan war das Vorbild des neuen „mäßigen Muslims“. Heute zerbricht er eine Zivilgesellschaft, deren Aufbau lange Jahrzehnte dauerte, und jeder, der es wagt, ihn zu kritisieren, ist ein Terrorist.

Abdel Fattah el-Sisi, Mubaraks Nachfolger, verwandelt Ägypten in eine Zeitbombe, indem er seine Gefängnisse mit Tausenden von angeblichen Terroristen füllt. Assad tötete fünfzehntausend vermeintliche Terroristen in einem einzigen Gefängnis, und seine Barbarei hat einen Bürgerkrieg angeheizt, der mehr als fünfhunderttausend Tote hinterlassen hat und fünf Millionen aus dem Land trieb. Die irakische Regierung beschäftigt iranisch unterstützte Milizen, die nicht weniger mörderisch sind als der IS. Saudi-Arabiens laufende, US-gestützte Bombenkampagne hat den Jemen vernichtet. IS, al-Qaida und andere ihrer Sorte sind oft auf den Schutz und die Unterstützung anderer US-Verbündeter angewiesen.

Pakistan pflegte terroristische Organisationen, um sie gegen Indien zu verwenden, und die Saudis taten dasselbe, um Assads Regierung und den iranischen Einfluss im Irak, Jemen und anderswo zu untergraben. Erdoğan benutzte den IS als Waffe gegen die Kurden, und Assad (und später auch die syrische Opposition) taten dasselbe, um Ärger für die USA im Irak zu verursachen. Was für eine muslimische Welt erwarten wir, die diese Akteure aufbauen werden, wenn der IS Vergangenheit ist?

Nicht noch mehr Verbündete

Seit den 1950er Jahren hat die US-Außenpolitik systematisch daran gearbeitet, jegliche Demokratie in der muslimischen Welt zu untergraben. Man ist bemüht, den ganzen Optimismus und all die Reformen auszuhöhlen , die Säkularisten und religiös Progressive seit dem 19. Jahrhundert vertreten und institutionalisiert haben. Muslime haben in ihrer Mehrheit auf die Trennung von Staat und Religion gedrängt (Die Sharia scheuend und ihre Anwendung auf einen kleinen Bereich, einschließlich Ehe, Erbschaft und rein religiöse Praxis begrenzend). Sie haben liberale demokratische Verfassungen geschaffen. Sie befreiten Frauen von vielen alten religiösen Bräuchen (einschließlich des Schleiers) und brachten sie in Schulen und Universitäten und in Arbeit. Mit anderen Worten, die Renaissance oder Reformation, auf die einige Kritiker bestehen, ist bereits geschehen.

Dass viele dieser Reformen heute vergessen sind, ist zum Teil auf die Rolle der USA bei der Beeinträchtigung des demokratischen Wandels im gesamten Nahen Osten zurückzuführen. Vom Putsch gegen Mohammad Mosaddegh im Jahre 1953, der die iranische Demokratie niederschlug, über den Bagdad-Pakt 1955, der diejenigen muslimischen Länder zu Zielen machte, die sich weigerten, sich ihm anzuschließen, bis hin zur Förderung des Dschihadismus in Afghanistan und zum Krieg gegen al-Qaida, der nur eine extremere Version davon hervorbrachte, die ganze Region wurde unermüdlich missbraucht und misshandelt. Es gibt keine sofortige Heilung für den Zustand der Region, und wir sollten auch keine erwarten. Es gibt kein magisches Allheilmittel, nur ironische Sprichwörter : Die Hühner kommen nach Hause, um zu brüten; Zu wenig, zu spät; Was heilsam ist, kann auch tödlich sein.

Falls die USA mit ihrer derzeitigen Politik in der muslimischen Welt weitermachen, kann der IS noch geschlagen werden, aber nur um den Preis der Entstehung einer noch schlimmeren al-Qaida 3.0 oder eines IS 2.0.

Welche Verbündeten die USA sich auch aussuchen, um im Krieg gegen den IS zu helfen, sie werden ihr nächster Feind und ihre Zielscheibe sein, sobald der IS weg ist, und die amerikanische Militärmaschine wird weitermahlen. Letztlich ist, was die USA brauchen, kein Haufen nützlicher Verbündeter.

Was die USA tun sollten, ist lediglich, jene Werte in den Mittelpunkt ihrer Außen- und Innenpolitik zu rücken, mit denen sie prahlen – Menschenrechte, die Demokratie, die Würde, die Gleichheit – und nicht die Werte, die sie tatsächlich fördern: Imperiale Arroganz, rassistische Diskriminierung, Kapitalakkumulation und die Unterwürfigkeit von Satellitenstaaten.

Original im “Jacobin” vom 4.5.2017, geschrieben von Suleiman A. Mourad, übersetzt von Peter Jüriens.

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