Die Medien und das Establishment der Demokratischen Partei haben sich mit Hillary Clinton verbündet. Bei den Delegierten hat sie einen klaren Vorsprung und ihre Leute kontrollieren die Auszählungen. Viele haben Bernie Sanders bereits abgeschrieben. Doch tatsächlich hat Bernie gute Chancen, Präsident zu werden, denn unter der Oberfläche vollzieht sich in den USA ein Erdrutsch. Der vierte Teil unserer Bernie Sanders Reihe von Oliver Völckers.
In den USA verfügt das Establishment über ausgeklügelte Mechanismen, um den Aufstieg von Kandidaten zu verhindern, die dem System gefährlich werden könnten. Diese sind:
- Das Zwei-Parteien-System macht Politiker abhängig vom Apparat
- Die millionenteure Kampagnen-Finanzierung erzwingt die Unterwerfung unter reiche Geldgeber
- Private Presse und Fernsehen verschweigen widerspenstige Kandidaten oder bringen sie in Verruf
- Manipulierte Vorwahlen sägen jene ab, die den Parteiapparat angreifen
- Vom Parteivorstand bestimmte Superdelegierte können den Wählerwillen aushebeln
Bernies Gegenstrategie bestand erstens darin, als unabhängiger Bürgermeister und Senator mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Seine revolutionäre Wahlkampf-Finanzierung nur durch Kleinspenden machte ihn unabhängig von Millionären. Drittens gelang es ihm mit dem Internet, eine Gegenmacht zum kommerziellen Medienmonopol aufzubauen. Überwältigende Siege und öffentliche Kontrolle konnten viele, aber nicht alle Wahlmanipulationen überwinden. Mit massenhafter Mobilisierung will Bernie die letzte Hürde nehmen.
Wahlkampf-Aussagen
Seine Wahlkampfreden beginnt Bernie Sanders regelmäßig mit dem Hinweis, es gehe nicht bloß darum, einen neuen Präsidenten zu wählen; sondern darum, die Nation zu transformieren. Ein Austausch des Führungspersonals allein könne nicht die nötige Revolution bewirken. Dafür sei vielmehr eine massenhafte Aktivität der Benachteiligten nötig.
Nur wenn sie sich selbst für ihre Interessen einsetzten, könnten sie eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft erreichen.
Während die anderen Kandidaten versuchen, sich im Wahlkampf persönlich zu profilieren, bringt Bernie Sanders immer wieder populistische Anliegen vor: Mindestlohn von 15$, Allgemeine Krankenversicherung, Abschaffung von Studiengebühren, kein Fracking, keine Wahlfinanzierung durch Milliardäre, Mutterschaftsurlaub, Ent-Militarisierung der Polizei, Freigabe von Marihuana. In einer Demokratie sollten solche Reformvorschläge offen diskutiert werden. Dann würde deutlich werden, dass sie von einer Mehrheit der US-Amerikaner unterstützt werden.
Doch stattdessen halten sich die Massenmedien wie bei uns mit Belanglosigkeiten auf. Pro Stunde Sendezeit für Donald Trumps Pöbeleien bringen sie nur Sekunden für Sanders. Sie reden Bernies spektakulären Aufstieg klein, der vor einem Jahr USA-weit noch unbekannt war. Der größte Redner seit Martin Luther King wird vom Spiegel als „grimmiger IG-Metall Funktionär“ diffamiert. Kein Wunder, dass Journalisten laut Umfragen nur von 7% der US-Bevölkerung respektiert werden, bei uns sieht es kaum besser aus.
Popularität der Kandidaten
Mit Hilfe der Kundgebungen und dem Internet dringt Bernie Sanders allmählich mit seiner Botschaft durch den Nebel des Privatfernsehens. Da er als einziger sachlich für ein visionäres Reformprogramm argumentiert, gewinnt er die Diskussionen. Mittlerweile will Donald Trump nicht mehr für Lohnsenkungen sein. Hillary Clinton bereut ihre zahlreichen Kriege, ist ein bisschen gegen Fracking und will sich nicht mehr gegen einen Mindestlohn von 15$ wehren. Solche Wahlversprechen sind wenig wert, aber sie zeigen das veränderte Klima.
Der asymmetrische Wahlkampf (Fakten gegen Show) von Bernie Sanders und der von ihm inspirierten Massenbewegung zeigt langfristig Wirkung. Die Presse stellt ihn zwar unbeirrt als hoffnungslos dar. Doch von Monat zu Monat steigen seine Bekanntheits- und Umfragewerte, und die von Hillary Clinton schrumpfen.
Mit dem Wahlkampf ist der USA-weite Bekanntheitsgrad von Bernie Sanders von mickrigen 27% auf aktuell 88% gestiegen. Zugleich stieg seine Netto-Beliebtheit (Zuspruch minus Ablehnung) von -1% auf +9%, also um zehn Punkte nach oben. Im gleichen Zeitraum sank die Beliebtheit von Hillary Clinton von +5% auf -15%, also um zwanzig Punkte nach unten. Donald Trump steigerte seinen Negativrekord von -30% auf aktuell -48%. Diese Zahlen beziehen sich auf die gesamte Wählerschaft, nicht auf die Parteibasis. Trump kann nur eine radikalisierte Minderheit mobilisieren.
In den letzten dreißig Jahren gab es keine Präsidentschaftsbewerber, die solche Ablehnung wie Clinton und Trump hervorriefen. Zum Präsidenten gewählt wurden bisher verständlicherweise nur Kandidaten mit positiven Werten. Barack Obama und Bernie Sanders genießen hohe Sympathie und liegen klar im positiven Bereich. Diese dramatischen Zahlen der GfK sind den Massenmedien keine Meldung wert.
Die junge Generation liebt Bernie und das, wofür er steht
Laut einer Studie des politisch rechts stehenden Politikberaters Frank Luntz hat sich bei den 18-26-jährigen ein Wertewandel vollzogen: 87% wollen diesmal wählen gehen; im Jahr 2012 waren es bloß 41%. In dieser Altersgruppe sympathisieren 58% mit Sozialismus, 9% sogar mit Kommunismus. Zwei Drittel erklären, die US-amerikanische Geschäftswelt („Corporate America“) verkörpere alles, was falsch sei an Amerika. 45% wollen Bernie Sanders wählen, 19% Hillary Clinton und nur 10% Donald Trump. Ungerechtigkeit stört sie am meisten an den bestehenden Verhältnissen. Banker und Makler werden nur von 2% respektiert, dagegen werden Ärzte und Lehrer mit 48% anerkannt.
Laut einer weiteren Studie von Forschern Harvard University bewegt Bernie Sanders nicht bloß eine Partei nach links, sondern eine ganze Generation. Die jüngeren Menschen sehen sich eher als Weltbürger, Nationalismus nimmt ab. In dieser Untersuchung sprach sich jeder Dritte für Sozialismus aus. Nach Aussage der Forscher ist kaum damit zu rechnen, dass sich diese Einstellungen in den nächsten Jahren ändern. Vielmehr sei das die Zukunft der Demokratischen Partei!
Wie weiter?
Seine Popularität wird Bernie wenig nützen, falls er die Nominierung der Demokraten nicht bekommt. Beim Parteitag der Demokraten Ende Juli in Philadelphia wird es entscheidend auf das Wahlverhalten der Superdelegierten ankommen. Bislang sah es zwar so aus, als hätte Clinton schon die nötige Mehrheit. Doch in der Partei rumort es. Die Gelder, mit denen die Delegierten der Landesverbände gekauft wurden, waren nur geliehen und müssen von den Parteigliederungen wieder an die Clinton-Kampagne zurückgezahlt werden. Ob Hillary den Bürokraten genug bieten kann, ist unsicher.
Nach Umfragen vom 2. Mai könnte Hillary Clinton gegen Donald Trump verlieren. Eine Wahlniederlage und eine Abschreckung der Bernie-Generation könnte die Partei in eine existenzielle Krise stürzen. Bernie wäre der stärkere Kandidat, weil er auch unabhängige Wähler anzieht. Hillary könnte durch FBI-Untersuchungen oder Enthüllungen über dubiose Geschäfte weiter beschädigt werden. Wenn die Superdelegierten in Bernie den aussichtsreicheren Kandidaten sehen, werden sie sich für ihn entscheiden. Gegen Trump würde er klar gewinnen.
Der innerparteiliche Kampf um die Zukunft der Demokratischen Partei, die Präsidentschaft und die politische Ausrichtung der USA ist völlig offen. Die Kräfteverhältnisse werden sich aus der Mobilisierung und den Wahlergebnissen der nächsten Wochen ergeben. Insbesondere zählt Kalifornien am 7. Juni, wo 546 Delegierte vergeben werden. Deshalb wollen die Vertreter des Establishments der Bernie-Bewegung einreden, sie hätte schon verloren.
Eine Antwort
Danke für die tolle Zusammenfassung. In den Medien bekommt man ja davon überhaupt nichts mit und ohne das Internet würde ich wahrscheinlich nicht einmal wissen, dass es Bernie Sanders überhaupt gibt. Ein Armutszeugnis für die deutsche Medienlandschaft.