Aktion von Fight for Falastin vor dem Rheinmetall-Standort in Düsseldorf. © Obeida Fadel

Wider den Profit mit dem Morden

Die neue Gruppe „Fight for Falastin“ engagiert sich gegen die deutsche Rüstungsindustrie und die deutsche Staatsräson. Am 19. Dezember 2023 hat sie zum ersten Mal Aktionen an gleich drei Standorten des Rüstungsunternehmens Rheinmetall durchgeführt: in München, Berlin und Düsseldorf. Weitere Aktionen an weiteren Liegenschaften sind Mitte Januar geplant (siehe Social-Media-Kanäle, alle weiteren Angaben unten). Wir haben uns mit einer der Sprecher*innen über die Hintergründe und Ziele der jungen Bewegung unterhalten.

Warum haltet ihr das Rüstungsunternehmen Rheinmetall für ein geeignetes Ziel eures Aktivismus? Wie hat sich Rheinmetall für diese unrühmliche Rolle qualifiziert?

Wie unser Name schon sagt, setzen wir uns zuallererst für Palästinenser*innen ein. Wir sprechen zu einem Zeitpunkt, an dem bereits 20.000 palästinensische Frauen, Männer und Kinder getötet wurden. Die deutsche Regierung hat Anfang November verlautbart, dass sich die deutschen Waffenexporte nach Israel beinahe verzehnfacht haben – und das innerhalb eines Monats im Vergleich zum gesamten Vorjahr. Konkret: Im Vorjahr waren es Waffen im Wert von 32 Millionen Euro, jetzt innerhalb eines Monats, im Wert von 302 Millionen. Die Regierung hat dabei – wie zum Schutz der Unternehmen üblich – nicht konkret benannt, welche deutschen Firmen was liefern, aber es ist bereits bekannt, dass Rheinmetall eng mit dem israelischen Waffenunternehmen Elbit Systems zusammenarbeitet. Bei dieser Kooperation entstehen Geschütze, wie sie jetzt auch aktuell von der israelischen Armee im Angriff auf Gaza abgefeuert werden. Das sind die 155mm-Haubitzen. Und ganz zufällig produziert Rheinmetall auch die Munition, die damit abgefeuert wird.

Man sieht jetzt häufiger, dass israelische Soldaten, Politiker, Zivilisten, Gewerkschafter „Nachrichten und Grüße” an die Bevölkerung Gazas auf Granaten schreiben – das ist genau jene Munition, die Rheinmetall produziert!

Die Granaten kommen nicht zwangsläufig direkt aus Deutschland nach Israel. Häufig funktioniert das über den Umweg der USA – aber auch dazu muss die deutsche Regierung einwilligen. Also weiß Deutschland ganz genau, welche Waffen von wem für was benutzt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Der Einsatz dieser Granaten in Wohngebieten ist durch die Genfer Konvention verboten.

Wo gegen genau richtet sich dieses Verbot? Es sind ja beispielsweise keine chemischen Waffen?

Es geht darum, dass diese Waffen nicht gezielt wirken, sondern in der Fläche Schaden anrichten. Also ist beim Verwenden dieser Haubitzen in Gazas Wohngebieten der Tod und die Verletzung von Zivilisten einkalkuliert. Deutschland weiß, wofür diese Waffen benutzt werden, und weiß auch, dass das ziellose Töten von Zivilisten ein Kriegsverbrechen darstellt – und zwar nach jener Genfer Konvention, die einzuhalten sich Deutschland verpflichtet hat! Kurz: Rheinmetall ist eines unserer Ziele, weil der Konzern Waffen und Munition liefert, die Israel gegen Palästinenser:innen einsetzt und weil es der größte Waffenkonzern Deutschlands ist und mit diesem Geschäft den größten Profit macht. Rheinmetall hat weltweit viele Standorte.

Ihr richtet euch nicht ausschließlich gegen Rheinmetall. Welche weiteren Firmen profitieren außerdem vom Waffenhandel mit Israel?

Zum Beispiel Krauss-Maffei-Wegmann. KMW arbeitet eng mit Elbit Systems zusammen. ThyssenKrupp Marine Systems produziert die Sa’ar-Kriegsschiffe, die nach Israel geliefert werden und etwa dazu benutzt werden, Gaza von See aus zu beschießen. Oder auch Diehl Defence – die produzieren Infrarotsysteme, die in den F16-Kampfflugzeugen verbaut werden. Und diese Kampfmaschinen sind es, die aktuell Gaza in Schutt und Asche bomben. Deutsche Firmen stecken da überall mit drin. Die Waffenlieferungen werden immer wieder durch die Lieferung in Drittländer sowie schwer durchschaubare Firmenkonstrukte und Tochterunternehmen verschleiert, sind aber durch unsere Recherche belegbar.

Eure Gruppe Fight for Falastin ist divers. Was verbindet euch? Was ist eure gemeinsame Grundlage?

Echt interessante Frage. Ich würde sagen, wir sind alle verbunden durch den Glauben an die Menschenrechte. Den Glauben daran, dass jede*r das Recht haben sollte, in Freiheit und Frieden zu leben. Wir setzen uns dafür ein, dass dieses Recht durchgesetzt wird. Außerdem sind wir der Überzeugung, dass Deutschland in diesen Fragen viel Verantwortung trägt – und seine Macht komplett falsch nutzt. Damit kommt auch uns als Menschen in Deutschland Verantwortung zu. Wir müssen dieser Regierung klar machen, dass wir ihre menschenverachtende Politik nicht unterstützen, also letztendlich eine antiimperialistische Position einnehmen.

Die Rüstungskonzerne stehen im Fokus, aber du hast an verschiedenen Stellen klar gemacht, dass euer Aktivismus eng verbunden ist mit Kritik am deutschen Staat. Bezieht sich das auf die aktuelle Regierungskoalition oder ist das allgemeiner zu verstehen?

Natürlich richtet sich unser größter Unmut jetzt konkret gegen das, was der Herr Scholz, oder Annalena Baerbock, oder der Harbeck verzapfen. Aber insgesamt steht das Israel-Palästina-Thema ja schon sehr lange in Deutschland auf der Agenda. Schließlich unterstützt Deutschland Israel im Grunde seit der Staatsgründung. Das wird dann immer wieder mit der deutschen Schuld an Faschismus und Holocaust begründet und ist schwer zu trennen von der deutschen Identität. Wir sagen: keine Unterstützung für Verbrechen gegen die Palästinenser*innen in unserem Namen!

Betreibt Annalena Baerbock eine „feministische Außenpolitik”?

Hmmh. Eine weiße feministische Außenpolitik gewiss, so würde ich vereinfacht sagen. Sie interessiert sich nicht wirklich dafür, dass Frauen weltweit die Grundrechte genießen, die an vielen Orten der Welt nur Männer genießen. Es geht ihr mehr darum, dass die Unterdrücker ausgetauscht werden. Dass die Männer, die die Rolle des Unterdrückers spielen, proportional durch eine entsprechende Anzahl an Frauen ausgetauscht werden. Das unterdrückerische System an sich soll bleiben.

Mit ihrem faktischen „Nein” zu einem Waffenstillstand für Gaza sagt sie „Ja” zu unmenschlichen Umständen im Gazastreifen. Kaiserschnitte werden ohne Betäubung und ohne Desinfektionsmittel auf dem Boden inmitten der Krankenhäuser durchgeführt. Frauen, die menstruieren, haben keinen Zugang zu Hygieneprodukten und äußern sich auch online immer wieder dazu, wie sehr sie darunter leiden. Arabischen Frauen, Kindern und Männern wurde ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben genommen und Annalena Baerbock interessiert sich nicht dafür, weil sie die Situation nicht für ihr Image instrumentalisieren kann. Und das liegt nicht wirklich an mangelndem Interesse, sondern daran, dass unsere Politiker*innen konsequent im Sinne der deutschen Staatsräson handeln. Was ist daran Feminismus? Annalena Baerbock ist keine Feministin, denn „weiße feministische Außenpolitik” ist keine feministische Außenpolitik.

Bereits bei euren ersten Aktionen habt ihr zeitgleich parallel an drei verschiedenen Standorten Präsenz gezeigt. Was sagt das über euch aus?

Wir finden, dass die Solidaritätsdemos, die jetzt seit Monaten auf deutschen Straßen stattfinden, richtig und wichtig sind. Was wir bemängeln, ist, dass eine deutschlandweite Zusammenarbeit und Vernetzung fehlen. Drastisch ausgedrückt: Revolutionen in Vergangenheit und Gegenwart haben nur dann stattgefunden, wenn sich Massen zusammengetan haben. Was in Deutschland fehlt, ist ein gemeinsames und unübersehbares Zeichen, dass wir den herrschenden Status quo nicht mehr akzeptieren. Wir zeigen anhand der Rüstungsunternehmen eine konkrete Angriffsfläche auf und sagen: „Hey, das hier sind die Profiteure! Wir lassen denen das nicht weiter durchgehen!” Erst dadurch und durch ein Bündeln unserer Aktionen sehen wir eine Hoffnung auf eine Änderung auch des Regierungshandels.

Welches Zusammenspiel siehst du zwischen euren Straßenaktionen und der Aufklärung durch Online-Medien?

Unser Ziel ist es, dass wir vor Ort Zeichen des Widerstands setzen und gleichzeitig auch die Menschen aufklären, die in dem Moment als Passant*innen oder Anwohner*innen da sind, womöglich sogar die Mitarbeiter*innen der jeweiligen Unternehmen. Beispiel Düsseldorf: Da wurden Kriegsgeräusche über Lautsprecher abgespielt und Attrappen von Babyleichen präsentiert als Symbol für die umgebrachten palästinensischen Kinder. Rüstungsunternehmen sind um ein technologisches Saubermann-Image bemüht. Wir zeigen der Öffentlichkeit, dass deren Produkte faktisch dem tausendfachen Mord dienen. Das nehmen wir dann in unseren Online-Aktivitäten auf und vertiefen es. Wir hoffen, dass so Menschen in Deutschland dieses komplexe Thema Rüstungsindustrie und die deutsche Mitschuld am Morden konkret verstehen können. Wir wollen dadurch die Motivation wecken, sich an unseren Aktionen zu beteiligen.

Es gibt Stimmen, die behaupten, dass „zivilisierte”, angemeldete Aktionen gegen einen Rüstungskonzern nichts bringen. Was sagst du dazu?

Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass gar nichts zu tun noch weniger bringt – nämlich eben gar nichts. Wir müssen uns kritisch angucken, wo wir hier leben, nämlich im ordnungsliebenden Deutschland. Solange die Bevölkerung mehrheitlich den politischen Konsens mitträgt, bringen radikalere Maßnahmen nichts. Es gab ja zum Beispiel schon Aktionen, wo Leute sich angekettet haben. Das war dann ein kurzer Aufreger, aber die haben nicht geschafft, darüber aufzuklären, warum sie zu diesen „drastischen” Maßnahmen greifen – das war am nächsten Tag schon wieder vergessen. So mobilisiert man doch keine zusätzlichen Leute! Unsere Aufklärungskampagnen richten sich an die Zivilbevölkerung. Die laufen erst an, aber die Notwendigkeit wird schon jetzt immer klarer.

Wir werden an die Orte unserer Aktionen immer wieder zurückkehren. Auch das geht nur, wenn wir nicht von der Bevölkerung krass abgelehnt werden oder jedes Mal die Hälfte unserer Leute verhaftet wird. Das hilft der Sache nicht. Wir meinen das unter anderem bei den Klimaklebern zu beobachten, die nur die Wut der Menschen auf sich gelenkt haben, ohne Aufklärung zu schaffen, oder zu richtigen Schritten zu ermutigen. Wir wollen, dass die Leute nicht sauer auf uns werden, sondern auf die Rüstungskonzerne und die Regierung.

Siehst du trotz der realpolitischen Einschätzung der Machtverhältnisse in der Breite der Bevölkerung ein Potential, an das sich durch clevere Aktionen und gute Informationskampagnen appellieren lässt?

Auf jeden Fall! Ich habe im eigenen Bekanntenkreis mitbekommen, dass viele Leute gar nicht wissen, worum es eigentlich geht im „Nahostkonflikt”. Denen fehlt das Vorwissen, aber auch an ernstzunehmenden Informationsquellen, da deutsche Massenmedien häufig unhinterfragt die Narrative der israelischen PR eins zu eins wiederholen. Und dann gibt es auch noch qualitativ hochwertige Informationsquellen, die aber zu viel, zu komplexe Information in zu akademischer Sprache geben. Das ist eine Lücke, die wir gemeinsam stopfen müssen. Gleichzeitig haben wir auch die Leute, die mittlerweile genug wissen, um das Töten in Gaza abzulehnen und die ahnen, dass das auch mit Deutschland zu tun hat – aber eben nicht wissen, was sie damit jetzt anfangen können. Dann entsteht schnell das Gefühl „Es bringt eh alles nichts!”.

Wir wollen Niedrigschwelligkeit schaffen – sowohl in der Informationsbeschaffung und Aufklärung als auch in der Umsetzung in Taten. So überwinden wir gemeinsam die Hoffnungslosigkeit und Apathie.

Wir sprechen Ende des Jahres 2023. Was wäre innerhalb des realpolitischen Rahmens eine wünschenswerte Entwicklung von Fight for Falastin?

Wir wollen unsere Aktionen ausweiten. Die ersten Standorte sind nur der Anfang – wir wollen in ganz Deutschland aktiv werden, im besten Fall sogar den Sprung zu internationalen Aktionen schaffen! Wir wollen den Diskurs in Deutschland verändern und denjenigen, die bereits für palästinensische Menschenrechte auf die Straße gehen, ein konkretes Ziel geben. Denjenigen, die sich als neutral verstehen und nicht nachvollziehen können, woher die Wut und die Trauer kommen, die unsere Demos ausstrahlen, denen wollen wir helfen, die Situation und unsere Mitverantwortung dafür zu verstehen. Wir wollen den Druck auf die Regierung und Rheinmetall und Konsorten erhöhen. Und wir wissen, dass Brüllen und Betteln da wenig helfen. Da müssen schon konzertierte Aktionen her.

Wo können Menschen mehr erfahren?

Wir selbst sind auf Social Media präsent. Ihr findet uns auf Tiktok und Instagram. Wir veröffentlichen da unsere Aktionen und machen Aufklärungsarbeit. Es gibt aber auch für jede Region Deutschlands Palästina-solidarische Ortsgruppen, die lokale Aktionen organisieren und online informieren. Jede*r kann sich beteiligen!

Das Interview führte Christoph Glanz.

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