Um das Klima zu retten, müssen wir über Planwirtschaft reden. Ein Debattenaufschlag von Benni R. und Patrick G.
Trotz zunehmender Umweltzerstörung und Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeiter stagniert die Wirtschaft – es deutet sich gar eine Rezession an. Der Kapitalismus bedarf zunehmender Ausbeutung seiner Reichtumsquellen für Profite. Da der geschaffene Reichtum sehr ungleich verteilt wird, kann sich die breite Masse vermehrt nützliche Waren kaum mehr leisten. Wie lassen sich also bei niedriger Nachfrage die Profite trotzdem steigern? Dumme Antwort: Die Kosten des Angebots senken – also Löhne drücken und Naturschäden jemand anderem überlassen.
Doch dieses Wachstum hat Grenzen: Viele Ressourcen sind endlich, und die erneuerbaren dürfen nicht stärker genutzt werden, als sie sich regenerieren. Die Quittung bekommen sonst alle: Der Klimakrise entkommen selbst die Reichsten nicht.
Die Bundesregierung will dagegen eine CO2-Steuer erlassen. Die Rechnung dahinter: Wenn Emissionen teurer werden, lohnt sich Umweltverschmutzung nicht mehr. Doch wer keine Alternative hat, zahlt so bloß mehr – zum Beispiel Pendler vom Land, wo keine Bahn mehr fährt.
Linke US-Demokratinnen und Demokraten fordern einen „Green New Deal“, um Arbeitsbeschaffung und Umweltschutz zu verbinden. Staatliche Nachfrage für die Klimarettung soll einen umweltfreundlichen Kapitalismus schaffen.
Muss Wirtschaft auf diese Art wachsen?
Karl Marx sah das nicht so. In seiner „Kritik des Gothaer Programms“ (1875) wollte er die kapitalistische Konkurrenz ersetzen durch eine freie Assoziation der Produzenten, welche die Schöpfung und Nutzung des Reichtums demokratisch plant. Den ersten derartigen Versuch wagten die Bolschewiki nach 1917. Statt des freien Marktes sollten die Planungszentrale „GOSPLAN“ und volkseigene Betriebe entscheiden, was wann wo wie wozu erwirtschaftet wird.
Ihnen gelang die Industrialisierung eines rückständigen Agrarlandes, die Hebung von hunderten Millionen armer Menschen in bescheidenen Wohlstand mit grundlegender Gesundheitsversorgung, sowie ein gewaltiger Bildungs- und Kulturschub. Die UdSSR erholte sich vom Bürgerkrieg, überstand die Weltwirtschaftskrise, schlug die Nazis und hielt 45 Jahre Kaltem Krieg stand.
Probleme beim Aufbau
Doch als das Wachstum durch Neubewirtschaftung unerschlossener und verwüsteter Gebiete in den 50ern endete, kam es in Folge auf die produktivere Bewirtschaftung der vorhandenen Anlagen an. Bei steigender wirtschaftlicher Komplexität gab die Zentrale zunehmend inkohärente Vorgaben an die Betriebe, basierend auf mangel- und fehlerhaften Informationen über die Produktionsbedingungen. Weil diese möglichst viel Masse produzieren sollten, wurde die Qualität vernachlässigt. Produktinnovationen lohnten sich für den Einzelbetrieb kaum. Auch gab es wenig Arbeitsanreize – „zu gute Arbeit“ erhöhte die Arbeitsnorm. Die wegen Planungsschwierigkeiten schwankende Arbeitsintensität ermüdete. Ferner entmutigten das starre politische System und die mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten die breite Masse – und hielten sie von der Teilnahme an besserer Planung ab! Fatal wirkte letztlich das Wettrüsten, die Spionage und die westliche Dominanz auf dem Weltmarkt.
Die realsozialistischen Produkte wurden langlebig entworfen und bedarfs- statt profitorientiert produziert – z.B. das fast unkaputtbare „Superfestglas“ aus der DDR. Naturschutz hatte seit 1968 Verfassungsrang und die Zentrale nahm ihn in die Planung mit auf. Doch nach der zweiten Ölkrise 1978 stellte die DDR ihre Stromversorgung wieder von Öl- auf Kohlekraftwerke um, damit das sowjetische Öl weiterverarbeitet im Westen verkauft werden konnte. Die Folgen waren schlimme Umwelt- und Gesundheitsschäden.
Volksrepublik Walmart
Würden die Einwände stimmen, dass Planwirtschaft wegen fehlender Marktmechanismen und Preissignale unmöglich sei, dann dürfte z.B. Walmart, dessen Wirtschaftsleistung so groß ist wie die Schwedens heute oder der UdSSR 1970, eigentlich nicht existieren. Denn Walmart, der weltweit umsatzstärkste Konzern und drittgrößte „Arbeitgeber“, ist intern eine Planwirtschaft, so Phillips und Rozworski in „People´s Republic of Walmart“ (2019). Neben aggressiver Preispolitik und Lohndumping basiert Walmarts Erfolg auf einem ausgeklügelten Logistik-Netzwerk aus Zulieferern, Warenhäusern und Filialen. Alle beteiligten Akteure kooperieren eng innerhalb der Lieferkette. Durch IT-Systeme zur Informationsverarbeitung und zentralen Planung kann Walmart Konsumveränderungen in Echtzeit erfassen und flexibel („just-in-time“) Anpassungen vornehmen.
Amazons große Datensammlung ermöglicht gar Vorhersagen über künftiges Konsumverhalten. 2014 meldete das Unternehmen ein Patent für ein Vorbestellsystem an, das Waren in Gegenden transportiert, wo noch keine Bestellung eingegangen ist. Amazon setzt seine IT-Systeme aber auch dazu ein, seine Beschäftigten auszuspitzeln; unter Dauerbeschattung rennen Logistikarbeiter*innen auf diktierten Routen durch Lagerhallen.
Planwirtschaft morgen: Dezentral und demokratisch?
Zentrale Planung existiert und funktioniert heute schon im großen Maßstab, aber extrem undemokratisch, kapitalistisch und gegeneinander. Die heutigen Informationstechnologien erlauben uns, vergangene Ineffizienzen der realsozialistischen Staaten auszugleichen, aber es reicht nicht, Walmart und Co. einfach zu übernehmen. Damit die Herrschaft des Kapitals nicht durch Technokraten ersetzt wird, muss mit der Verstaatlichung der Wirtschaft eine umfassende Demokratisierung einhergehen. Die Sowjetbürokratie behinderte aus Angst um die Macht eine effiziente Datenverarbeitung, z.B. die Pläne des Informatikers Wiktor Gluschkow, ein dezentrales Computer-Netzwerk zur Automatisierung und Verbesserung der Planwirtschaft zu verwirklichen.
Als Vorbild könnte heute das Projekt „Cybersyn“ dienen, das Anfang der 1970er in Chile betrieben wurde: Ein Echtzeit-Kommunikationsnetzwerk, das alle staatlichen Betriebe über Fernschreiber mit einem Großrechner der Planungsbehörde verband und Wirtschaftsaktivitäten präzise erfasste. Geplant wurde so zentral wie nötig und so dezentral wie möglich, koordiniert mit basisdemokratischen Rätestrukturen, welche die demokratische Kontrolle von unten ermöglichen sollten. Das Projekt wurde aber durch einen faschistischen Militärputsch 1973 zerschlagen und danach profitorientiert vermarktet.
Rettung der Menschheit
Wir können weder auf den Markt hoffen, noch können Milliarden von Menschen in Selbstversorgerkommunen leben. Eine globale demokratische Planwirtschaft ist keine Garantie für ökologisches Wirtschaften, aber die notwendige Bedingung. Sie gibt uns als Gesellschaft die Macht, die Produktion nach unseren Bedürfnissen und natürlichen Grenzen zu gestalten. Lasst uns dafür kämpfen!
Der Beitrag erschien in gedruckter Form in der Critica