Foto eines anonymen deutschen Reisenden: Armenier werden im April 1915 von osmanischen Soldaten aus Kharpert (türkisch: Harput) in ein Gefangenenlager im nahen Mezireh geführt.

Völkermord anerkannt, doch wo war Merkel?

Der Bundestag hat heute nach einer einstündigen Debatte eine Resolution zum Völkermord an Armenierinnen und Armeniern 1915/16 verabschiedet. Darin stuft die Bundesrepublik den Mord an 1,5 Millionen Menschen das erste mal als Völkermord ein. Lediglich ein CDU Abgeordneter stimmte dagegen, ein weiterer enthielt sich.

Prompt kam die Antwort auf die Resolution aus Ankara, denn der türkische Staat erkennt das Verbrechen an den Amernerinnen und Armeniern als solches nicht an: Die Türkei zieht ihren Botschafter aus Berlin ab, vermeldet zumindest die regierungsnahe Zeitung „Yeni Safak“ . Der Deutsche Botschafter in Ankara wurde hingegen, wiedermal, sofort einbestellt. Es deuten sich frostige Zeiten zwischen Deutschland und der Türkei an. In der Debatte im Bundestag waren dutzende Gäste aus der Türkei und Armenien anwesend. Alle Abgeordneten betonten, das es nicht um die Schuldfrage gehe, denn die heutige Generation kann diese Schuld faktisch nicht tragen. Es gehe vielmehr um „Verantwortung“, die einen Versöhnungsprozess zwischen der Türkei und Armenien ermöglichen würde. Interessanterweise waren weder Kanzlerin Merkel, noch Vizekanzler Gabriel oder Außenminister Steinmeier zur Abstimmung anwesend. Aus welchem taktischen Kalkül dies Geschah ist fraglich. Ein Geschmäckle bleibt, denn es wirkt wie eine Kapitulation vor Erdogan. Die Debatte um die Anerkennung des Verbrechens, dass durch das Osmanische Reich verübt wurde, ist keine rein historische Debatte, sie hat konkrete Auswirkungen auf die aktuelle Flüchtlings- und Außenpolitik der Türkei, aber auch auf die der Europäischen Union.

Theobald von Bethmann-Hollweg (Reichskanzler 1909 – 1917): „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber die Armenier zugrunde gehen oder nicht.“

Deutschland war damals mindestens indirekt an der Tötung von 1,5 Millionen Armenierinnen und Armeniern beteiligt. Es gibt genügend Dokumente die Nachweisen, dass deutsche Kaufleute und Offiziere vor dem Genozid, Mord und der Deportation warnten. Doch etliche nahmen es auch billigend in Kauf oder es war ihnen schlicht egal, solange der türkische Staat an der Seite Deutschlands im ersten Weltkrieg verblieb, wie Reichskanzler Theobald von Behtmann-Hollweg. Der nächste Schritt wäre die Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama in Südwestafrika, welcher durch das Deutsche Kaiserreich verübt wurde. Denn, wie der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat richtig schreibt: „Keine Doppelstandards bei der Anerkennung von Völkermorden.“ Deutschland darf nicht von einem anderen Staat verlangen, dass ein Völkermord anerkannt wird, selbst jedoch die eigenen Ansprüche unterlaufen. Landläufig nennt man dies auch Doppelmoral.

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Eine Antwort

  1. … da kommt noch was zusammen! Völkermord an den indianischen Völkern Mittel- und Südamerikas durch Spanien … Mord an 20 bis 30 Millionen Menschen, die den Völkern der Sowjetunion angehörten, durch Deutschland – hat sich der Bundestag dazu positioniert? Ich meine, ich halte es für möglich, weiß es aber einfach nicht … etwa zeitgleich Völkermord der Ustascha an den Serben, Sinti & Roma, das war (wie im Fall der Armenier) Deutschland zumindest indirekt mitbeteiligt, wurde das vielleicht alles pauschal und in toto abgegolten, so etwa „Sorry, wir Deutschen haben vor 75 Jahren halb Europa gemetzelt, wir bitten alle Betroffenen um Verzeihung“? 2009 gab es eine halbherzige Bitte um Entschuldigung der US-Regierung wegen des Genozids der Urbevölkerung ihres Landes … wie viele Indianer in den vorangegangenen 200 Jahren von den freiheitsliebenden US-Amerikanern ermordet wurden, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. In den Oktober 2013 fiel der 200. Todestag von Tikámsih, des wohl größten Freiheitshelden Nordamerikas, da hätte mal eine vergleichbare Resolution des Bundestags gepasst. Jetzt müssen wir auf das nächste runde Jubiläum warten. 2030 vielleicht? Da jubiliert der so genannte Indian Removal Act, unterzeichnet von US-Präsident Andrew Jackson, zum zweihundertsten Mal. Mein lieber Bundestag, das wäre doch was!!!

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