Thüringen: Putsch von Rechtsaußen

Mit der Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten wurden wir in Thüringen gestern Zeugen eines Putsches von Rechts gegen Links. Mit ihrer unredlichen Finte setzte die rechtsextreme Höcke-AfD eine Lawine in Gang, dessen Tragweite weit über Thüringen hinausstrahlt.

Gestern wurde überraschend der FDP-Mann Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten Thüringens gewählt und beendete damit die fünfjährige Amtszeit von Bodo Ramelow (Linke). In den ersten beiden Wahlgängen lag Ramelow zwar deutlich vor dem parteilosen AfD-Kandidaten Christoph Kindervater, doch verfehlte um drei beziehungsweise zwei Stimmen knapp die absolute Mehrheit von 46 Stimmen. Die CDU enthielt sich. Im dritten und letzten Wahlgang genügte eine relative Mehrheit und die FDP stellte Kemmerich auf. In einer Finte ließ die AfD-Fraktion ihren eigenen Kandidaten fallen und votierte einstimmig für Kemmerich, der mit den Stimmen von CDU und FDP Ramelow schließlich mit 45 zu 44 Stimmen schlagen konnte. Ein Mann, der in der Landtagswahl mit lediglich 73 Stimmen die Fünf-Prozent-Hürde erreichen konnte, wurde Ministerpräsident – das demokratische System zur Farce degradiert.

Erstmals wurde so der Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes mithilfe der rechtsextremen AfD ins Amt gewählt. Eine Welle der Empörung schoss durchs Land, zu Recht war von „Dammbruch“ und einem „Fehler historischen Ausmaßes“ die Rede. 1930 wurde ebenfalls in Thüringen Wilhelm Frick, später zwölf Jahre lang Hitlers Innenminister, zum ersten Naziminister eines deutschen Bundeslands. Vor dem Parlament in Erfurt genau wie in vielen weiteren Städten gingen Tausende auf die Straßen. Der Ruf nach Neuwahlen liegt in der Luft.

Es war ein wahrlich schwarzer Tag. Die Bedeutung der gestrigen Ereignisse geht weit über Thüringen hinaus.

Das Gift

Richard Dawkins ist ein weltberühmter Evolutionsbiologe, Intellektueller, Freigeist und Atheist. 1976 revolutionierte sein Buch „Das egoistische Gen“ unsere Sicht auf die Evolution. Im selben Buch begründete Dawkins seine Mem-Theorie: Analog zum Vererben der Gene in unseren Körpern über die Generationen hinweg werden kulturelle oder sonstige Gedankeneinheiten über, aber auch innerhalb von Generationen weitergetragen. Sie können mutieren, vermehren sich so besser oder schlechter, können verdrängt werden oder langsam heranreifen und sich so in Köpfen festsetzen. Erfolgreiche Meme können Lieder, Kochrezepte oder der irrationale Glaube an einen Schöpfergott sein. Weniger erfolgreiche Meme, die sich erst langsam anpassen und in Köpfe einnisten mussten oder müssen, sind etwa Gangsterrap auf Deutsch, grüne Smoothies – oder eben die Vorstellung, dass im Land, das Hitler und Holocaust hervorgebracht hat, wieder Nazis in den Parlamenten oder gar Regierungen sitzen werden.

Der erste Punkt ist lange abgehakt: Die AfD sitzt im Bundestag und allen Landesparlamenten, in meiner Heimat Brandenburg und meiner Wahlheimat Sachsen gar mit unfassbar hohen Werten. Um eines klarzustellen: Natürlich ist nicht jedes AfD-Mitglied ein Nazi, und natürlich (!) ist nicht jede AfD-Wählerin oder jeder AfD-Wähler ein Nazi. Doch ist die Partei von Höcke, Kalbitz, von Storch, Gauland, Weidel und Urban ohne Frage eine Nazi-Partei – so wie die Linke eine linke Partei ist, auch wenn nicht jedes Mitglied links ist, oder die Grünen eine grüne Partei sind, obwohl nur die Allerwenigsten dort grün sind. In den Kommunal- und Landesparlamenten wurde die AfD blockiert und boykottiert, doch Schritt für Schritt, Jahr um Jahr, normalisiert sich die angespannte Lage: Hier und da wird mal in einem Ausschuss zusammengearbeitet, wird mal ein Antrag durchgewunken oder anderweitig kooperiert – die Nazis etablieren sich von Rechtsaußen im Zentrum des Parlamentarismus.

Der zweite Punkt – Regierungsbeteiligung der AfD – ist ein wesentlich erfolgloseres Mem, scheint es im Land, das vor einem Menschenleben noch Menschen millionenfach in Öfen gesteckt hat, schlicht undenkbar, dass die neuen Nazis wieder an den Hebeln der Macht sitzen. Selbst mitte-rechts/rechte Parteien wie CDU, CSU und FDP überschlagen sich regelrecht in ihren Schwüren, im Leben nicht mit der AfD zu koalieren. Das Mem „Nazi-Regierung in Deutschland“ ist ein scheues Reh, das nicht verschreckt, nicht mit dem Vorschlaghammer ins deutsche Bewusstsein geschlagen werden kann, sondern mit der grundrauschenden Unermüdlichkeit eines Kolibris agieren muss, um irgendwann in der Zukunft zum Erfolg zu kommen, sich wie Gift in Hirne festzusetzen und zur Normalität zu werden – von einem kategorischen „Nie wieder!“ über ein phrasenhaft-halbherziges „Ausgeschlossen.“ und ein interessiert-offenes „Hmmm.“ hin zum finalen „Ja warum denn eigentlich nicht?“.

Dies ist der Prozess, in dem wir uns befinden: Der Rechtsextremismus als echte Option wird normalisiert – und das mit Union und FDP als tatkräftige Kollaborateure. Schließlich steuert die SPD weiter ihrem historischen Untergang entgegen und wäre in einer potentiellen „GroKo“ bald nur noch ebenso ein Juniorpartner der CDU, wie es FDP historisch in Schwarz-Gelb war. Die GroKo der Zukunft ist schwarzblau: die rechte Koalition aus CDU und AfD. Diesen Trend erkennt natürlich auch die Union und arbeitet daher aktiv an der mittelfristigen Normalisierung der Nazis – ihrer zukünftigen Koalitionäre.

Der Putsch

In Thüringen warb CDU-Fraktionsvize Michael Heym bereits im November offen für eine „bürgerliche Mehrheit rechts“ aus CDU, AfD und FDP, schließlich sei die AfD eine „konservative Partei“, so Heym. Zur Erinnerung: Die ist die Landes-AfD vom Nazi Björn Höcke, der unter dem Pseudonym Landolf Ladig in rechtsradikalen Zeitungen Hitler-Deutschland verehrte, seinen ganz eigenen Faschismus ausarbeitete und seinen rassenhygienischen Wahn unters rechtsradikale Volk brachte. Höckes Brauhaus-Rede (in meinem schönen Stadtteil Dresden-Pieschen) im Januar 2017 erinnerte nicht unwesentlich an die Rede seines ideologischen Vorbilds Adolf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller 1925. Mit diesem Faschisten solle die Thüringen-CDU nun eine „bürgerliche Mehrheit“ anstreben. Heym bekam für seinen Vorstoß Rückenwind von 17 weiteren Thüringen-Christdemokraten, die in einem Appell ebenfalls ihre Gesprächsoffenheit mit der AfD kundtaten. Von Höcke gab es großen Beifall.

Dies ist die Normalisierung der Rechtsextremen: ein Schritt nach dem anderen.

Wer genauer hinhörte, konnte vernehmen, dass Björn Höcke genau das, was gestern eingetreten ist, bereits vor Tagen ankündigte. Unter dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow sei Thüringen zu einem „Biotop für Linksextremismus“ geworden, so Höcke vor einer Woche im Landtag. Man dürfe das Land „nicht noch einmal diesen Gesellen ausliefern“. Und dann richtet sich Höcke an CDU und FDP: „Ich mache Ihnen hier nochmal das Angebot: lassen Sie uns gemeinsam einen bürgerlichen Kandidaten finden“.

Die Schwarzgelben wiesen dieses Angebot zurück. Zumindest öffentlich. Doch mit Kemmerich wurde genau dieser „bürgerliche Kandidat“ gefunden, von dem Höcke sich ausmalte, dass er alles rechts der SPD vereinen könnte.

Es wird sich zeigen, ob es geheime Absprachen unter den drei Parteien gab, die diese Verschwörung gegen Links organisierten. Ich gehe davon aus, dass wir bald mehr darüber erfahren werden. Doch unabhängig davon ist die Sachlage unzweideutig: Durch die Pervertierung des parlamentarischen Verfahrens konnte die AfD mit unredlichen Mitteln – Aufstellung eines eigenen Kandidaten, geschlossene Wahl eines anderen Kandidaten – den gemeinsamen „bürgerlichen Kandidaten“ an die Macht bringen. Dieser mimte den Überraschten und nahm die Wahl an. Doch wie kann jemand, der sich selbst als „Anti-Höcke“, als „Anti-AfD“ bezeichnet, guten Gewissens die Stimmen der AfD annehmen?

All dies genügt, um zum Schluss zu kommen: Das war ein Putsch. Eine Verschwörung von Rechts gegen Links, ein kalter Coup, ein Staatsstreich.

Union und FDP einerseits und AfD andererseits treten landes-, bald auch bundesweit mehr und mehr in eine schmierige Symbiose ein, in der die Gier nach Macht über allem steht und durch verächtlichen Opportunismus das für beide Seiten hochprofitable Projekt vorangetrieben wird: die Normalisierung des Rechtsextremismus.

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2 Antworten

  1. in einem land wo die wahlen rückwirkend als illegal eingestuft wurden (bundesverfassungsurteil) und sämtliche kandidaten und wähler (nach grundgesetz) gar nicht wählen dürften, sich darüber zu wundern was in diesem theater passiert, ist bestenfalls naiv. das in einem besetzten land (de facto) die parteien gar keine macht besitzen, fällt dem „kritischen journalisten dabei gar nicht auf……..

  2. Die Definition von Putsch lautet, dass eine Regierung gestürzt wird. Im Fall Thüringen ist dies nicht der Fall. Vor der Wahl eines Ministerpräsidenten stehen die Uhren auf “Null“. Darum findet eine Wahl überhaupt erst statt. Deshalb gab es keinen Putsch von rechts. Die Regierung hieß nicht links und konnte somit nicht gestürzt werden. Außerdem gehört auch die AFD zur Demokratie! Sonst hätte der Verfassungsschutz sie längst stürzen müssen. Diese unbequeme Wahrheit schmeckt den anderen Parteien nicht. Ich mag keine dieser Parteien, finde aber in jeder etwas Positives.

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