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Systemkritik von Links wagen

Rund 16 Prozent der Stimmen konnte die AfD bei den Europawahlen mobilisieren. Christine Buchholz hat sich das Wahlergebnis näher angesehen. Sie ruft zu einem entschlossenen Widerstand gegen die AfD auf der Straße auf und plädiert für eine Linke, die sich nicht als Regierung im Wartestand, sondern als Systemopposition versteht.

Die AfD konnte ihr Stimmenergebnis seit der letzten Europawahl deutlich steigern. Das hat zu Recht viele schockiert, denn der Rechtsruck in Deutschland ist Teil einer Entwicklung, die wir in vielen europäischen Ländern sehen können. So schnitten in einigen Ländern extrem rechte und faschistische Parteien am stärksten ab. In Frankreich wurde die Partei Rassemblement National (Nationaler Zusammenschluss), dem Marine Le Pen bis 2022 vorsaß, stärkste Kraft, in Italien die Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) mit Giorgia Meloni, in Österreich die Freiheitliche Partei Österreichs mit Herbert Kickl und in den Niederlanden die Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit) mit Geert Wilders.

Die AfD hat sich nicht nur bundesweit etabliert, sondern wurde im Osten bei den Europawahlen – abgesehen von Berlin – stärkste Kraft. Besorgniserregend sind die 18,5 Prozent, die die Partei von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern erhielt. Damit erhielt sie auch in dieser Gruppe mehr Stimmen als die SPD. Unter Jugendlichen lag der Stimmenanteil der AfD bei 16 Prozent, was dem Gesamtergebnis entsprach. Sie konnte ihr Ergebnis unter Jugendlichen damit allerdings um elf Prozentpunkte gegenüber 2019 verbessern. 

Zwei Faktoren sind für den Erfolg der AfD entscheidend: Zum einen haben sich Menschen in allen Generationen von der etablierten Politik entfremdet. Als Gründe sind der Umgang der Bundesregierung mit der Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen vor allem im privaten Bereich zu nennen, aber auch Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg sowie massive Zukunftsängste. Die AfD kanalisiert zum einen den Unmut, den es in weiten Teilen der Bevölkerung gibt und der besonders stark unter Arbeitern, jungen Menschen und im Osten ist. Das heißt nicht automatisch, dass die Unzufriedenen AfD wählen – zumindest bei den Jungwählern sieht man neben dem hohen Ergebnis der AfD, eine starke Aufsplittung der Stimmen in verschiedenen Gruppen und Kleinstparteien, aber die Ampel hat eine Vorlage gegeben, die die AfD nutzt.

Zum anderen wissen wir seit langem, dass Rassismus die AfD stark macht. Und dieser Rassismus wird immer wieder aus der „Mitte“ der Gesellschaft bedient. Der Spiegel titelte im Herbst 2023 mit einem Bild, das einen endlosen Massenzustrom zeigte und fragte: „Schaffen wir das noch mal?“  Kurz darauf verkündete Olaf Scholz auf dem Cover des Magazins: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben!” Einen Monat später fand im Potsdamer Hotel Adlon die Zusammenkunft von hochrangigen AfD-Politikern, Neonazis und Unternehmern statt, auf der der österreichische Faschist Martin Sellner einen „Masterplan zur Remigration“ vorstellte.

Im Europawahlkampf überschlugen sich die Parteien mit Warnungen vor einer angeblich unkontrollierten Migration und wunderten sich anschließend, dass die AfD als die Partei, die am offensten gegen Migrant*innen hetzt, davon profitierte. Unmittelbar nach dem Messerangriff von Mannheim organisierte die AfD Proteste und knüpfte an ihre rassistische Rhetorik von „Messermännern und Kopftuchmädchen“ an. Anstatt diese Hetze offensiv zurückzuweisen, kündigt Innenministerin Faeser die Verschärfungen des Asylrechts an und prüft schnellere Abschiebungen nach Afghanistan.  

Umso schwerer wiegt, dass die Partei DIE LINKE als linke symstemoppostionelle Kraft ausfällt. Sie mied Zuspitzungen im Wahlkampf wie der Teufel das Weihwasser. Sie warb für alternative Politikkonzepte, anstatt mit einer oppositionellen Grundhaltung dem Unmut der Menschen eine Stimme zu geben. Mit dieser Politik schloss sie an die Fehler der letzten Jahre an – zu nennen sind hier der Lagerwahlkampf zur Bundestagswahl 2021 und die defensive Haltung gegenüber dem Krieg in der Ukraine und in Palästina.

Selbst beim Thema Migration, über das AfD und CDU/ CSU versuchen, die Stimmung nach rechts zu verschieben, war DIE LINKE kaum wahrnehmbar.

Am Tag der Europawahl haben die Parteivorsitzenden in einer gemeinsamen Erklärung mit den Landesvorsitzenden erneut die Einheit der Partei beschworen. Sie kündigten die Weiterentwicklung von Positionen an, ohne eine stimmige Analyse davon zu liefern, was den Absturz der Partei und ihre Erosion verursacht hat. Sie äußern sich auch nicht klar dazu, welche Positionen ihrer Auffassung nach überhaupt geändert werden sollten und welche Positionen die Partei stattdessen vertreten sollte. So wird diese Ankündigung zu einer weiteren Stärkung des regierungsorientierten Flügels der Partei, der auf eine bessere Verwaltung des Kapitalismus setzt, führen. Mit diesem Kurs wird sich DIE LINKE von ihrem  Anspruch entfernen, eine Systemopposition und eine außerparlamentarisch kämpfende Partei zu sein.

Obwohl die Programmatik des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eher aus dem konservativen Spektrum sozialdemokratischer Politik entstammt, mit einzelnen Anleihen von rechts und links, konnte es sich im Wahlkampf erfolgreich als oppositionelle Kraft darstellen. Das BSW konnte mit 6,2 Prozent einen beachtlichen Erfolg erzielen. Aber Wagenknechts Neugründung löst diesen Anspruch in der Praxis nicht ein. Dass das BSW sogar mit in den Chor derer einstimmt, die den Eindruck erwecken, Geflüchtete lebten in Deutschland im Schlaraffenland, während die einheimische Bevölkerung darbt, zeugt von einem gefährlichen Opportunismus. Wenn die gesellschaftliche Linke das Ziel einer solidarischen Gesellschaft aus den Augen verliert und darauf setzt, Menschen gegeneinander auszuspielen und die Arbeiterklasse zu spalten, dann helfen ihr auch Wahlerfolge nicht weiter. 

Trotz allem bin ich der Überzeugung, dass die politische Situation in Bewegung ist und das Blatt sich wenden kann. Vor einigen Monaten stand die AfD noch bei bis zu 23 Prozent in den Umfragen zur Europawahl. Die großen Mobilisierungen nach dem Potsdamer „Remigrations”-Treffen haben Wirkung gezeigt. Dabei ist wichtig zu verstehen: Die potentielle Schwäche der AfD liegt in ihrer Doppelstrategie selbst. Sie braucht zum einen den harten Kern, der keine Berührungsängste mit der harten Naziszene hat und den Aufbau einer faschistischen Bewegung auf der Straße unterstützt. Sie braucht aber auch die Teile der AfD, die nicht minder rassistisch sind als die offenen Nazis, aber Kreide fressen und die Parlamente – und wenn es für sie möglich ist auch die Regierungen – nutzen, um ihre Position in der Gesellschaft insgesamt zu festigen.Die AfD macht dabei einen Spagat zwischen einen ideologisch gefestigten Kern von AfD-Anhängern und dem weicheren Umfeld. Letzteres vom harten Kern der Nazis zu lösen und so den faschistischen Kern zu isolieren, muss das zentrale strategische Ziel der antifaschistischen Bewegung sein.

Die Herausforderungen für den deutschen Kapitalismus sind groß. Der Übergang vom weltweiten Freihandel zu einer offen imperialistischen Handelspolitik mit starken protektionistischen Zügen gefährdet das Geschäftsmodell der deutschen Industrie. Die Verschärfung der internationalen Spannungen gefährdet den Zugang zu billigen Rohstoffen aus Russland und profitablen Absatzmärkten in Asien. Die USA schotten ihren Markt zunehmend gegenüber dem Ausland ab. Angesichts der Aufrüstung im Rahmen der sogenannten Zeitenwende sind starke Angriffe auf den Sozialstaat zu erwarten. Die gesellschaftliche Linke muss deshalb den Widerstand gegen diese Angriffe organisieren. Sie muss aktiver werden gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen in die Ukraine. Sie muss sich klar gegen den Genozid in Gaza stellen und die Gefahr des Faschismus ernst nehmen. Ein nächster Schritt sind die Massenblockaden und Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag in Essen Ende Juni. Darüber hinaus brauchen wir eine Debatte darüber, wie sich die Linke politisch formieren muss, um eine Kraft zu schaffen, die sich nicht als soziales Korrektiv, sondern als grundsätzliche Opposition zum kapitalistischen System versteht. 

Christine Buchholz vertrat DIE LINKE von 2009 bis 2021 im Bundestag, sie ist Mitglied der Partei und der Gruppe Sozialismus von unten

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Eine Antwort

  1. Eine Linke die sich für die Interessen der Arbeiter (/und Angestellten) einsetzt würde schon viel bringen. Dazu müsste man aber zunächst sich Gedanken darum machen was diese sind. Ob diese in erster Linie in der „Systemkritik“ liegen halte ich für zweifelhaft. Das ist ein Schlagwort für die studentische Küchendiskussion, hilft aber niemanden im richtigen Leben.

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