Stoppt die Annexion der Westbank 

Neben dem Horror in Gaza, den gewalttätigen Enteignungen in Ost-Jerusalem ist die Lage der Menschen in der Westbank  zunehmend hoffnungslos. Eine von den Politikern dieser Welt angestrebte, oder zumindest verbal vor sich her getragene Zwei-Staaten-Lösung wird mit allen Mitteln von Seiten der israelischen Regierung, der israelischen Armee (IDF) und israelischen Siedlern zunichte gemacht.

So schreibt die UNSCO in ihrer Presseerklärung am 18.07.2024: „Mit drängenden administrativen und legalen Schritten ist Israel dabei die Geographie der Westbank zu ändern“. Und „Die jüngsten Entwicklungen  treiben einen Pfahl durch das Herz einer angestrebten Zwei-Staaten-Lösung“.  Die Gewaltrealität in der Westbank und in Ostjerusalem werden von der Deutschen Politik weitgehend ignoriert.

Das heißt konkret, die israelische Regierung und eine Mehrheit im israelischen Parlament lehnen eine Zwei-Staaten-Lösung nicht nur ab und artikulieren dies offen;  man ist dabei harte Fakten zu schaffen, dass geographisch, infrastrukturell, ökonomisch und sozial ein eigenständiges Palästinensisches Staatswesen gar nicht mehr entstehen kann.  Am 14. August diesen Jahres hat sich z.B. der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich sich wie folgt geäußert:“ Wir werden fortfahren die gefährliche Idee eines palästinensischen Staates zu bekämpfen und Fakten am Boden schaffen“.

Ende Mai 2024 hat die israelische Regierung eine Verwaltungsreform für die illegal besetzte Westbank vorgenommen bei der ein „Deputy Head of Civilian Affairs“ eingerichtet wurde, der direkt dem Minister Smotch untersteht. D.h.  die administrative Zuständigkeit für die besetzte Westbank wandert von den District Coordination Office (DCO) der israelischen Besatzungsarmee in zivile Strukturen. Verwaltungsnormalität wird installiert und somit schleichend vom Besatzungsstatus zur Annexion übergegangen.

Annektion in der Westbank

Im Verlauf der letzten Wochen hat die Israelische Regierung weitere 1270 Hektar Land in der völkerrechtswidrig besetzten Westbank zu Staatsland erklärt und damit der Nutzung durch die palästinensischen Bevölkerung entzogen. Bis 2020 waren bereits 25% des Westjordanlands zu israelischem Staatsland erklärt und für den Siedlungsbau freigegeben worden. Es  wurden 3 neue Siedlungen und  8721 neue Wohneinheiten geplant. Des Weiteren wurden 5 auch nach israelischem Recht illegale sogenannte Outposts (Außenposten von Siedlungen) legalisiert und es sind seit dem 07.10.2023, dem Tag des Angriffs radikaler Palästinenserorganisationen von Gaza auf Israel 25 neue illegale sogenannte „Outposts“ in der Westbank entstanden. Es handelt sich nach der angesehenen israelischen Menschenrechtsorganisation Peace Now, dabei ausschließlich um land- und viehwirtschaftliche Einrichtungen von denen mit Gewalt die lokalen palästinensischen Bauern Viehhalter von ihrem Land und ihren Höfen vertrieben werden.

Minister Smotrichs Umfeld wird zu dieser Legalisierung wie folgt zitiert: „Die 5 Siedlungsgenehmigungen für Bautätigkeiten letzte Woche durch das Sicherheitskabinett sind der erste Schritt eines Plans der zum Ziel hat, zu verhindern, dass Palästinenser territoriale Kontinuität in Judea und Samaria haben“. (Nahel Heletz in Palestine Chronicle vom 12.07.2024). Bleibt zu ergänzen, das palästinensische Westjordanland wird in Israel als Judea und Samaria bezeichnet, verbal ist das Gebiet bereits Teil Israels. Das Budget im Israelischen Haushalt für den Siedlungsausbau wurde seit 2022 verdoppelt. „Der Jüdische Nationalfonds (JNF) baut seine Rolle als Hauptakteur im Siedlungsbau und der damit einhergehenden Plünderung und Enteignung der Palästinenser im Westjordanland weiter aus, um die künftige Annexion vorzubereiten (so die israelische Zeitung Haaretz am 2.10.2023). Der JNF ist im Übrigen in Deutschland als gemeinnützige Organisation steuerbefreit und wirbt fleißig Spenden ein.

Bisher wurde in 2024 so viel palästinensisches Land „verstaatlicht“ wie zwischen 1993 und 2023 (Peace Now News vom 11.07.2024). Die Zahl der jüdischen Siedler in der Westbank und in Ostjerusalem liegt inzwischen bei weit über 700 000 Menschen.

Neue Dimension

Die Aggression von illegalen Siedlern und der Armee hat eine neue Dimension der Brutalität erreicht. Seit dem Terrorangriff radikaler Kräfte aus Gaza auf Israel am  07.10. 2024 sind in der Westbank bereits 640 Palästinenser durch die Hand von Siedlern und Armee zu Tode gekommen. Unter ihnen mehr als 130 Minderjährige und Bauern, die schlicht ihre Höfe bewirtschaften wollten. Im Berichtszeitraum  wurden 5500 Verletzte registriert, darunter 850 Kinder. Ein Drittel der Verletzungen erfolgte durch scharfe Munition. In der gleichen Zeit kamen in der Westbank 19 Israelische Staatsbürger durch Anschläge von Palästinensern zu Tode, dabei handelt es sich vor allem um  Besatzungssoldaten und  illegale Siedler. (Zahlen von: The Time of Israel vom 16.08.2024).

 Seit dem 7.10.2023 erfolgten 1084 gemeldete Siedlerangriffe. Bei 107 dieser Übergriffe auf die palästinensische Bevölkerung kam es zu Toten und/oder Verletzten. 1117 palästinensische Einrichtungen wurden bei den Angriffen zerstört, davon 427 Wohnhäuser, 46000 Nutzbäume vernichtet. Die Menschen aus 235 Haushalten vertrieben. Dabei verloren 2524 Menschen, unter ihnen 1113 Kinder ihr Heim und ihre wirtschaftliche Grundlage.  Die Hälfte der Vertreibungen erfolgte durch gezielte IDF Operationen die anderen 50% durch anhaltende Siedlerübergriffe und Zerstörungen unter dem Schutz der IDF.

Mit der Bewaffnung der Siedler durch die israelische Regierung im Februar 2024 und der Rekrutierung radikaler Siedler in die israelische Armee zu Beginn des Jahres 2024 hat sich das Bedrohungspotential gegen die einheimische Bevölkerung potenziert. Die Unverfrorenheit der Angriffe und die blutigen Übergriffe haben zugenommen. Diese richten sich inzwischen auch gegen internationale Aktivisten und Konfliktbeobachter. Von Seiten des israelischen Staates drohen ihnen Anklagen wegen Widerstand, Hochverrat und Unterstützung terroristischer Vereinigungen.   Internationale Unterstützer werden allerdings bereits bei der Einreise abgewiesen. Es soll keine Zeugen bei der Entmenschlichung und Vertreibung geben.

In dem Zeitraum seit dem 7.10.2023 verloren alleine 29 Beduinengemeinden ihren Weideraum und somit ihre Existenzgrundlage. (siehe auch UNOCHA-Humanitarian Situation Updates Westbank und Ost-Jerusalem vom 10. Und 12.07.2024). Hinzu kommen die Höfe, Weiler und Dörfer von palästinensischen Ackerbauern vor allem in der südlichen Westbank, die ihre Existenz entweder verloren haben oder unter der anhaltenden Gewalt durch Siedler, Armee und Polizei vor der Aufgabe  ihrer Existenz stehen. Wird die Vertreibung nicht gestoppt, werden die ländlichen Räume in der südlichen Westbank über kurz oder lang frei von palästinensischen Bewohnern sein. 

Die durch Terror und Gewalt von palästinensischer Bewirtschaftung frei geräumten Gebiete werden unverzüglich von Agrarsiedlern übernommen und bewirtschaftet. So ist ein Großteil des Weideraums in den South Hebron Hills und im Jordantal bereits für die seit Generationen ansässigen palästinensischen Ackerbauern und Viehhalter verloren. Noch klammern sich viele dieser Bauernfamilien an ihre Hofstellen. Der tägliche und nächtliche blutige Terror und Horror durch gewalttätige Siedler und die Armee wird auch diese zum Aufgeben zwingen. Beduinenfamilien wurden nach 1948 aus ihrem Weidegebiet im Negev vertrieben. Sie hatten sich neue Existenzen aufgebaut und Land erworben, dass ihnen jetzt wieder genommen wird. 

 Erfolgten bisher die Übergriffe, Zerstörung, Vertreibung und Mord konzentriert in den sogenannten C-Gebieten, in denen nach dem Osloer Abkommen Israel temporär das Verwaltungs- und Gewaltmonopol inne hat, beginnt die israelische Regierung inzwischen die Zerstörung von Existenzen auch auf die B-Gebiete auszudehnen. Die C-Gebiete machen 60% der Fläche der Westbank aus. So hat die israelische Regierung beschlossen, die Bautätigkeit von Palästinensern auch in den B-Gebieten, die nach dem Osloer Abkommen unter palästinensischer Verwaltung stehen, einzuschränken bzw. zu verhindern (siehe auch Palestine Chronicle vom 14. Juli 2024 und Fayha Shalash in BIB Aktuell vom 02.07.2024).

Ein erster Hausabriss im B-Gebiet erfolgte bereits im Juli 2024 in Hebron, wo das 2013 erbaute Haus der Familie von Tamer Abu Aisha ohne administrativem Vorlauf zerstört wurde, obwohl die Besitzer über die notwendigen Baugenehmigungen der Palästinensischen Autorität und der israelischen Militärverwaltung  verfügten.

Nach Artikel 49 (1)der Genfer Konvention ist „Zwangsweise Einzel- oder Massenumsiedlung sowie Deportation von geschützten Personen aus besetztem Gebiet nach dem Gebiet der Besatzungsmacht oder dem irgendeines andern besetzten oder unbesetzten Staats ohne Rücksicht auf ihren Beweggrund verboten“. Und nach Artikel 49 (6) „Die Besatzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln“. Nach der rechtlich bindenden Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrats von 23.12.2016 (verabschiedet auch mit der Zustimmung Deutschlands) stehen die israelischen Siedlungen im Widerspruch zu internationalem Recht und sind eine „Flagrante Verletzung des Völkerrechts (UN-Security Council S/RES 2334). Die Resolution unterstreicht die Unzulässigkeit „aller Maßnahmen, die darauf abzielen, die demographische Zusammensetzung, den Charakter und den Status des seit 1967 besetzten palästinensischen Gebietes einschließlich Ostjerusalem zu ändern, darunter der Bau und Ausweitung von Siedlungen, Überführung israelischer Siedler, die Beschlagnahme von Land, die Zerstörung von Wohnhäusern und Vertreibung palästinensischer Zivilpersonen“. Nach Artikel 8 (2) des Rom-Statuts des internationalen Gerichtshofs von 1998 handelt es sich um Kriegsverbrechen wenn die Besatzungsmacht Eigentum aneignet oder zerstört und Bevölkerungsaustausch vornimmt . 

Von Bundesregierung und der Europäischen Union erwarten wir dringendst folgende Schritte:

Ächtung aller Gewaltakteure einschließlich der verantwortlichen Regierungsvertreter und Parlamentsabgeordneten.

Unterstützung  der Verfahren beim Internationalen Gerichtshof und beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Aktives Einstehen für die Rechtsgrundlagen nach der Genfer Konvention, dem Rom-Statut und den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates.

Stopp jeglicher Militärkooperation einschließlich von Waffenlieferungen und Einfrieren aller Kooperationen mit der israelischen Regierung bis das Menschen- und Völkerrecht geachtet und durchgesetzt wird.

Aktive Unterstützung  der handelnden jüdischen, israelischen, palästinensischen und internationalen Menschenrechts- und Friedensgruppen.

Wiederaufnahme der Förderung von palästinensischen Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen die zu Unrecht unter Terrorverdacht gestellt werden.

Förderung und Unterstützung  der Wiedereinrichtung vernichteter Existenzen bei gleichzeitiger Forderung nach Wiedergutmachung durch die israelische Regierung.

Forderung des sofortigen Rückzugs der Siedler aus den seit 2022 eingenommenen Dörfern, Hofstellen, Ländereien. Mittelfristig Flächentausch mit nicht rückbaubaren Siedlungen.

Entzug der Steuerbefreiung des Jüdischen Nationalfonds.

Ein Beitrag von Rudolf Rogg

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