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Stell dir vor du wirst unterdrückt und keine*n interessiert’s

Keine Möglichkeit den Wohnort und dessen Ausgestaltung selbst zu bestimmen, Ausschluss von elementaren sozialen Rechten und Ansprüchen, starke Reglementierung von Kontakten in die Außenwelt, zu Freunden und Familie. Dies ist die Realität von mehr als 63.000 Menschen. Nicht in einer Diktatur oder einem „failed state“, sondern hier bei uns in Deutschland.

Mehr als 63.000 Menschen werden derzeit in deutschen Gefängnissen gefangen gehalten, Tausende von ihnen nicht etwas wegen Mordes, Vergewaltigung oder ähnlichen Delikten, sondern weil sie keine Kohle hatten, um sich Bahntickets zu kaufen, ihre demütigende Lebenswirklichkeit mit illegalen Substanzen betäuben wollten, oder auch weil ihr Aktivismus mit bürgerlichen Recht nicht vereinbar war. Kurz gesagt: Viele Tatbestände, die zur Haft führen, fußen in den Verwerfungen eines kapitalistischen Systems, das zwangsläufig Verlierer*innen schafft.

Man könnte meinen, dass Menschen, die in einem Zustand der Entrechtung leben, breite Solidarität von Linken erfahren müssten, doch dem ist nicht so. Auch weite Teile der Linken sehen eine Inhaftierung als selbstverschuldet und damit gerechtfertigt an, auch wenn klar ist, dass keine Dritten zu Schaden kamen und Taten aus einer Notsituation heraus begangen wurden. Zwar gibt es vereinzelt Gefängnisdemos an Silvester oder Solidaritätskomitees, aber all das bezieht sich meist nur auf Menschen, die aus dezidiert politischen Gründen gefangen gehalten werden. Würden wir als Linke unsere materialistischen Grundsätze ernst nehmen, würden wir schnell merken, dass nicht eine von Natur aus schändliche Persönlichkeit für viele „Verfehlungen“, die letztlich zur Haft führen können, verantwortlich ist, sondern die Taten meist in der Lebensrealität der Täter*innen begründet sind. Genau ist diesem Grund wäre hier Solidaritätsarbeit gefragt; Anknüpfungspunkte hierfür gibt es bereits. Seit 2014 existiert mit der Gefangenen-Gewerkschaft/ Bundesweite Organisation (GG/BO) eine von Betroffenen selbst geschaffene Struktur, die Schluss machen will mit der Ausnahme vom Mindestlohn, dem fehlende Anspruch auf ALG II und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Gefangene. Wie dieser Versuch in den Gefängnissen aufgenommen wird, lässt sich von Außen nur mutmaßen, Aktionen wie der kürzliche Hungerstreik in der JVA Würzburg stimmen aber positiv. Dort forderten Insassen, von der bürgerlichen Presse als „drogenabhängige Straftäter“ diffamiert, unter anderen ein Methadonprogramm für Abhängige. Derartige Aktionen zeugen nicht nur deshalb von Mut, weil Aktivist*innen im Gefängnis auch mit Isolationshaft sanktioniert werden können, was die nahezu völlige Abriegelung von der Außenwelt zur Folge hat, sondern weil auch gesundheitliche Schäden im Bereich möglicher Konsequenzen liegen.

Proteste wie diese können von enormer Bedeutung sein. Das Gefängnis ist ein Ort, an dem verschiedenste Unterdrückungsmechanismen kulminieren, an dem der bürgerliche Staat nahezu allmächtig scheint. Schaffen es Insass*innen hier erfolgreich Widerstand gegen den Normalbetrieb zu leisten, können enorme Risse in einem der mächtigsten Herrschaftsinstrumente der herrschenden Klasse entstehen. Der Kampf für bessere Haftbedingungen beziehungsweise die Infragestellung der Haft in Fällen, in denen keine direkte Gefahr für Mitmenschen ausgehen, müsste zu einem relevanten Thema für außerparlamentarische wie parlamentarische Linke werden. Es müsste Öffentlichkeit sowie eine Enttabuisierung der Thematik geschaffen werden. Einen antikapitalistischen Kontext, der die Bedingungen angreift, die so viele in die Kriminalität treiben, ist leicht herzustellen. Es liegt also an uns für den nötigen gesellschaftlichen Rückhalt für eine Organisierung und in der Konsequenz erfolgreiche Kämpfe in den Knästen zu sorgen

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