Schuld sind immer die anderen? – Zum Scheitern der Klimakonferenz in Madrid

Mit Hängen und Würgen: Die 25. UN-Klimakonferenz ist am vergangenen Sonntag in Madrid mit zweitägiger Verspätung beendet worden. Ein quälend langer nächtlicher Verhandlungsmarathon sorgte für böses Erwachen bei all jenen, die auf den großen diplomatischen Wurf gehofft hatten. Schlussendlich legten die Staatenlenker nämlich eine Abschlusserklärung vor, die einem klimapolitischen Offenbarungseid gleicht.

Minimaler, unverbindlicher, phrasenhafter kann ein Konsens wohl kaum ausfallen. Vor allem enthält er im Grunde nichts Neues gegenüber den Vorjahren. Die eigentlich in Madrid zu klärenden Streitfragen wurden erneut vertagt, etwa die Ausgestaltung des Handels mit Klimaschutz-Gutschriften oder ein konkreter finanzieller Verteilschlüssel zur Entschädigung der ärmsten Staaten der Welt, die vom Klimawandel am meisten betroffen sind. Solidarität Fehlanzeige. Stattdessen wird allen Ernstes gefeiert, dass sich immerhin nicht noch weitere Staaten vom Pariser Klimaabkommen verabschiedet haben. Abstrakt und so vage wie möglich bekennt sich die „internationale Staatengemeinschaft“ dazu, im nächsten Jahr etwas mehr Anstrengungen bei der Emissionsreduktion walten zu lassen.

Noch nie zuvor stand das ritualisierte Stelldichein der internationalen Klimadiplomatie so sehr im Widerspruch zum gewachsenen Problembewusstsein der Weltbevölkerung. Seit Monaten demonstrieren Millionen junge und ältere Menschen weltweit für Klimagerechtigkeit. Sie fordern einen Systemwandel – weg von der Ausbeutung des Menschen und der Natur, hin zu einer sozialen und ökologischen Wirtschaftsweise. Die Abschlusserklärung von Madrid enthält jedoch nichts von diesem mutmachenden Geist, rein gar nichts. Einigen wenigen Staaten – allen voran Brasilien, Australien, Saudi-Arabien und den USA – scheint es gelungen zu sein, die durch Fridays for Future erzeugte Aufbruchstimmung in bleischwere Lähmung zu verwandeln. So lautet zumindest die weitgehend einhellige Analyse der europäischen Verhandlungsführer, die so tun als hätte es ansonsten den großen Durchbruch gegeben. Doch sind die Sündenböcke damit eindeutig identifiziert? Oder lügen sich hier bestimmte Akteure nicht gehörig in die Tasche?

Aus Sicht der EU-Staaten und allen voran Deutschlands fällt es natürlich leicht, die Verantwortung für das Desaster von Madrid auf die oben genannten Staaten zu schieben. Und in der Tat war es ja die brasilianische Verhandlungsdelegation, die noch auf dem Abschlussplenum Detailformulierungen aus der gemeinsamen Erklärung streichen wollte, um sich Klimaschutzeffekte doppelt anrechnen lassen zu können. Überraschen kann diese Abgreifmentalität nicht, denn seit Anfang 2019 herrscht in Brasilien eine rechtsradikale Clique um den Faschisten Jair Bolsonaro, die bestens mit der fossilen Konzernoligarchie vernetzt ist und deren Raubbau an den Regenwäldern aktiv unterstützt. Wo auch immer es etwas zu blockieren gab, mischten in Madrid ebenso die USA mit – und das, obwohl die Regierung Trumps sowieso aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen will und sich nicht an die Abschlusserklärung gebunden sieht. Und schließlich waren da auch noch die Saudis, die sich fürchterlich an einem Passus störten, in dem allzu sehr auf Menschenrechte verwiesen wurde. Gegen dieses Gruselkabinett der Totalverweigerer können die EU-Staaten und Deutschland sich als progressive Akteure inszenieren. Man habe doch ganz einträchtig mit den Inselstaaten stärkere Ambitionen befürwortet. Hinter diesen Beteuerungen steckt allerdings nicht viel mehr als die zweifelhafte Fähigkeit, die eigenen Partikularinteressen und das eigene klimapolitische Versagen diplomatisch etwas geschickter zu verpacken.

Was helfen all die seit Jahren gemachten Absichtsbekundungen der europäischen Industriestaaten, wenn sie in steter Regelmäßigkeit wie Seifenblasen zerplatzen, sobald es um ihre Umsetzung im nationalen Gesetzgebungsrahmen geht? Auf dem internationalen Parkett kann sich insbesondere Deutschland sicher sein, nach wie vor als Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu gelten, solange es einen Politclown wie Trump oder einen Faschisten wie Bolsonaro gibt, die den menschengemachten Klimawandel gleich komplett leugnen bzw. für eine Verschwörung des linksliberalen Establishments halten. Schlimmer geht immer. Dagegen als mahnende Stimme der Vernunft aufzutrumpfen, fällt nun wahrlich nicht schwer. Genauso tat es dann auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), die die Verhandlungsbremser scharf verurteilte. Nicht wenigen Beobachtern aus der Klimabewegung dürfte jedoch die Schizophrenie in diesen Aussagen aufgefallen sein. Ist es doch schließlich die Bundesregierung, die ihre nationalen Klimaziele andauernd verfehlt, den Ausbau der erneuerbaren Energien auf groteske Art und Weise verhindert, RWE und Co. mit einem viel zu späten Kohleausstieg verschont und vor den Autokonzernen kuscht. Böse Zungen könnten behaupten, dass der Bundesregierung die Blockadehaltung einiger anderer Staaten sogar sehr entgegen kommt, sieht sie sich im eigenen Land doch selbst scharfer Kritik von Seiten der Klimabewegung ausgesetzt. Auf noch größere Klimasünder verweisen zu können, verschafft Luft in den eigenen Abwehrkämpfen.

In Wahrheit können Staaten wie die USA, Australien oder Brasilien nur deswegen knallhart an ihrem Kurs fossiler Ausbeutung festhalten, weil auch von Seiten der EU viel zu wenige Impulse in Richtung sozial-ökologischer Transformation ausgehen. Die gleichen EU-Staaten, die sich auf der Klimakonferenz über die Verweigerungshaltung der USA beschweren, rollen den US-amerikanischen Fracking-Konzernen mit dem Bau von LNG-Terminals den roten Teppich aus. Die gleichen EU-Staaten versuchen mithilfe von Freihandelsabkommen sozial-ökologisch irrsinnige globale Produktionsketten weiter auszubauen, die allein deshalb bestehen, um minimale Kostenvorteile für die Konzerne auszunutzen. Und die gleichen EU-Staaten versprechen dem US-Präsidenten gehorsam die Erhöhung ihrer Rüstungsausgaben auf zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts, während für Klimaschutzmaßnahmen gerade einmal ein Prozent des EU-Haushalts zur Verfügung steht. Deutschland gibt nach Angaben von Eurostat sogar nur mickrige 0,3 % des BIP für Klimaschutz aus. Die größte europäische Volkswirtschaft hat ihre CO2-Emissionen zwischen 2007 und 2017 um lediglich 6,6 % senken können. Nur Estland, Lettland und Polen stehen noch schlechter da. Das im Oktober auf den Weg gebrachte Klimapaket von Union und SPD erweist sich als marktgläubiger Rohrkrepierer. Dass Deutschland beim Klimaschutz vorangeht, ist also nicht viel mehr als ein billiger PR-Gag.[1] Kein Grund also, mit dem Finger auf andere zu zeigen, die es noch mehr schleifen lassen.

Aber macht denn nicht wenigstens die Ankündigung eines Europäischen Green Deals durch die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mut? Hier tut sich doch etwas. Bis 2030 will die EU demnach ihre Emissionen um 50 bis 55 Prozent gegenüber 1990 senken und nicht mehr lediglich um 40 Prozent. Von der Leyens pathetischer Vergleich mit der amerikanischen Mondlandung ist allerdings verräterisch, denn die Apollo-Missionen gelten unter aufgeklärten Zeitgenossen völlig zurecht als unsinnige Milliardenverschwendungen ohne erkennbaren allgemeinen Nutzen, die vorrangig der Imagepflege in der Konkurrenz der Machtblöcke dienten. So wohlklingend die Ankündigung von Milliardeninvestitionen durch die EU auch sein mag, so wenig wird sich der Klimawandel durch eine marktgesteuerte und bloß technische Umrüstung der Produktion – Stichwort: grüner Kapitalismus – bekämpfen lassen. In genau diesem Punkt sind sich von der Leyen, Merkel, Macron, Trump und auch Bolsonaro trotz aller Differenzen allesamt einig: Die bestehenden Eigentumsverhältnisse dürfen nicht in Frage gestellt, der kapitalistische Profit- und Wachstumszwang müssen als ewiges Naturgesetz akzeptiert werden. Bezogen auf die Erhaltung der kapitalistischen Produktionsweise spielen die vermeintlichen Vorreiter in Sachen Klimaschutz und ihre klimawandelleugnenden Antipoden also über Bande. Solange die einen sich komplett verweigern, können die anderen damit punkten, dass sie wenigstens das Schlimmste verhindern wollen, indem sie für einen grünen Anstrich des Kapitalismus sorgen. Der ruinöse Zugriff auf Mensch und Natur, die für das Kapital beide bloßes Material der Verwertung darstellen, soll also prinzipiell weiter gehen, nur bitte ohne fossile Energieträger.

Dahinter steckt kein fieser Plan zur Täuschung der Massen, sondern die selbst geglaubte Lüge, dass der Kapitalismus das beste aller möglichen Wirtschaftssysteme sei. In schlechter deutscher Tradition träumt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) von der ewig gleichen Illusion, durch das EU-Klimaschutzprogramm „Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen“ zu können. Der Kapitalismus zeichnet sich aber gerade dadurch aus, gleichgültig gegenüber menschlichen und natürlichen Schäden zu sein. Sein Prinzip bildet die allseitige Konkurrenz zwischen Unternehmen, Arbeitskräften und Staaten. Sie nötigt allen Marktteilnehmern auf, in erster Linie auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein und in letzter Konsequenz die Vernichtung der Konkurrenten zu wollen. Wenn Ursula von der Leyen in Richtung Wirtschaft schielend ihren Green Deal damit bewirbt, dass er exakt die „neue Wachstumsstrategie“ sei, auf die das konjunkturerlahmte Europa seit langem gewartet habe, dann wird der Klimaschutz hierin folgerichtig als Instrument in der Standortkonkurrenz erkannt. Da das Wachstum im Kapitalismus stets das Wachstum der Kapitalerträge ist und nicht dasjenige der allgemeinen Lebensqualität, reagieren die auf Grün machenden Kapitalfraktionen entsprechend begeistert auf diese Ankündigung. Auf die Idee, dass gerade im kurzfristigen Wachstum und im ‚Weiter so‘ der Konkurrenz die eigentlichen und fundamentalen Hürden auf dem Weg zu einem koordinierten und rationalen Vorgehen im Kampf gegen den Klimawandel stecken, kommt hingegen niemand. Wieso sollte aber ein Land wie Brasilien freiwillig auf die Ausbeutung seiner enormen Naturschätze verzichten, wenn ihm dadurch ein erheblicher Konkurrenznachteil gegenüber den grün aufrüstenden Staaten droht? Nicht böswillige Zerstörungswut treibt die Klimaschutzbremser an, sondern der Zwang, sich auf dem Weltmarkt irgendwie behaupten zu müssen. Solange dieser Mechanismus nicht in Frage gestellt wird, bleibt jegliche Beschwerde von Seiten Europas heuchlerisch. Das gilt nicht in gleicher Weise für die Inselstaaten und Entwicklungsländer, denn die haben in aller Regel vom kapitalistischen Weltmarkt ohnehin nichts. Für sie geht es um das nackte Überleben, sie fordern zurecht mehr Engagement des Westens.

Ihre Appelle bleiben jedoch ohnmächtig, solange das geltende Konkurrenzprinzip von den führenden Staaten nicht in Frage gestellt wird, sondern auch im Green Deal der EU-Kommission die Grundlage von vermeintlich grünem Wohlstand und Wachstum bilden soll. Der alternative Green Deal der Linksfraktion GUE-NGL im europäischen Parlament umfasst zwar deutlich weitreichendere soziale Forderungen, bricht aber letztlich ebenso wenig mit der herrschenden Wirtschaftsordnung. Dies ist auch insofern eine vertane Chance, da die globale Klimabewegung in ihren ersten Reaktionen auf das Elend von Madrid nicht die Konsequenz zieht, sich durch die größten Bremser unter den Staaten in die Arme ihrer vermeintlich progressiven Regierungen treiben zu lassen. Ganz im Gegenteil: Die AktivistInnen von Fridays for Future kündigen bereits an, ihre Klimastreiks entschlossen fortsetzen und weiter antikapitalistisch zuspitzen zu wollen. Zu erwarten ist, dass von Seiten der Herrschenden nun versucht wird, die Klimaproteste zu spalten und die radikaleren Kräfte in die Schmuddelecke zu drängen. DIE LINKE wird dagegen weiterhin fest an der Seite der Klimabewegung stehen. Die entscheidenden Fortschritte werden ohnehin nicht in Ausschüssen und Konferenzsälen, sondern auf der Straße erkämpft. Dazu gehört auch, die eingeschliffenen Verfahrenswege der internationalen Politik in Frage zu stellen. Wo hinter verschlossenen Türen über die Zukunft der Menschheit entschieden wird, können die Verhältnisse noch nicht wahrhaft demokratisch und emanzipatorisch sein. Wirksamer Klimaschutz und ein gutes Leben für alle sind nur möglich, wenn das Privateigentum an Produktionsmitteln ebenso in Frage gestellt wird wie die Aufteilung der Welt in konkurrierende Nationalstaaten. 


[1] Die scheidende Präsidentin des Bundesumweltamts, Maria Krautzberger, hat jüngst in einem beachtlichen Interview mit der Süddeutschen Zeitung preisgegeben, dass die Warnungen und Vorschläge ihrer Behörde von Seiten der Bundesregierung immer wieder gedeckelt werden. Sie habe den Eindruck, dass der Bundesregierung „die Wahrheit lästig“ sei. Siehe: https://www.sueddeutsche.de/politik/klimaschutz-bundesregierung-umweltbundesamt-1.4719557?reduced=true


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