Israels Angriff auf Beirut und Teheran innerhalb von 24 Stunden dient dem Zweck der Eskalation, um sich in einen regionalen Krieg zu retten.
Israel steht vor einer hausgemachten existenziellen Krise. Der Völkermord in Gaza läuft alles andere als geplant, die Weltöffentlichkeit sieht Israel schon lange nicht mehr als Opfer und der Internationale Gerichtshof wie auch der Internationale Strafgerichtshof stimmen diesem Chorus mit ein. Im Inneren trägt die Saat des Ethnonationalismus nicht gerade überraschend seine schwarzen Früchte, die es immer schwerer machen die mörderische Logik einer Siedlerkolonie vor den Kameras der Welt zu kaschieren. Der Lack der ‘einzigen Demokratie im Nahen Osten’ wird von der eigenen radikalisierten Bevölkerung abgekratzt und zu Tage kommt was Palästinenser*innen schon seit Generationen am eigenen Leib erleben, ihnen aber bisher im Westen niemand Glauben schenkte: ein Faschismus der sich reibungslos in die Faschismen des 20. Jahrhunderts einreihen kann. Für Netanjahu und seine Schergen gibt es nur einen Ausweg: alles niederbrennen! Nur ein katastrophaler Krieg in der Region kann jetzt noch das Regime Netanjahu und Israel als expandierendes Siedlerprojekt retten.
Das einzige Problem ist nur, dass Israel das Feuer ohne weiteres selbst nicht legen kann, es braucht, wie oft, einen Zündfunken den man dem Gegner zuschreiben kann. Der Raketeneinschlag, der 12 syrische Kinder im drusischen Dorf Majdal Shams in den illegal von Israel besetzten Golanhöhen getötet hat ist genau so ein Zündfunke. Um diesem Vorfall zusätzliches Gewicht zu verleihen – als ob 12 getötete Kinder nicht schlimm genug wären – wurden die Opfer kurzerhand zu israelischen Bürgern erklärt und die Verantwortung für den Vorfall ohne Untersuchung der libanesischen Miliz Hisbollah zugeschrieben.
Relativ schnell wurde jedoch deutlich, dass die Ursache des Raketeneinschlags so glasklar gar nicht ist. Mittlerweile ist es nach Zeugenaussagen möglich, dass es sich bei dem Raketeneinschlag um ein fehlgeleitetes Geschoss einer Iron Dome Batterie handelte die in den Hügeln um Majdal Shams positioniert sind. Zudem gibt es Berichte, dass im Laufe der letzten neun Monate vermehrt Iron Dome Raketen fehlgeleitet wurden und in die Hügel nahe des Dorfes einschlugen. Zudem ist es unwahrscheinlich, dass Hisbollah, die Golanhöhen angreifen würden da diese nach der eigenen Auffassung nicht zu Israel gehören, dort eine sehr hohe Anzahl syrischer Bürger leben und um Majdal Shams keine militärisch relevante Infrastruktur steht.
Geolokalisierungen des Armed Conflict Location and Event Data Project zeigen zudem, dass Hisbollahs Ziele sich fast ausschließlich in Israel befinden, mit zwei Ausnahmen in der Grenzregion zwischen Israel und den Golanhöhen aber eben nicht in dem Gebiet um Majdal Shams. Demzufolge ist das Szenario einer fehlgeleiteten Iron Dome Rakete das wahrscheinlichste. Letztendlich spielt es aber keine Rolle mehr, denn Israel hat den Zündfunken auf den es gewartet hat, um die Eskalation und Flucht in einen regionalen Krieg zu rechtfertigen.
Für das Regime Netanjahu ist klar, der Westen wird ihm zur Seite stehen wenn er einen Krieg mit dem Libanon und Iran beginnt. Was bleibt dem Westen auch anderes übrig? Seit Monaten spielen deren Vertreter den Völkermord und die Kriegsverbrechen Israels herunter und verstecken sich hintern Floskeln wie “Selbstverteidigung” und “Menschliche Schutzschilde”. Diese Komplizenschaft und Zurückhaltung ist für Netanjahu und sein Regime das Go-Ahead für einen schon seit langem angestrebten Krieg in der Hoffnung, dass der Westen eine Brandmauer um Israel errichten wird während das israelische Militär den Rest der Region in Brand setzt und unter dem Deckmantel eines regionalen Krieges sein Endziel, die Säuberung und Annexion Palästinas und die Vernichtung der Palästinenser*innen vorantreibt.
Der Westen ist sich all dessen bewusst, denn zu lange hat er versucht die mörderische Realität Israels hinter liberalen, pseudo-demokratischen Regimen zu verstecken. Jetzt wo der Faschismus israelischer Couleur auch im Westen für alle sichtbar ist, sind westliche Regierungen gezwungen sich zu entscheiden: Zwingt man Israel zum Einhalt oder lässt man es gewähren eine ganze Region in Brand zu stecken und mit ihr all die internationalen Institutionen die der Westen als Lehre aus der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges mit errichtet hat? Bisher war der Westen bereit unzählige Palästinenser*innen diesem Feuersturm zu opfern. Was wird als nächstes auf dem Altar westlicher Außenpolitik verbrannt?
Dieser Artikel von Dan Weissmann erschienen zuerst bei DisKursKorrektur