Propaganda in 3D

Israels Lobbyisten und Apologeten bedienen sich vielerlei rhetorischer Mittel, um Kritik an Israel abzuwehren. Das beliebteste Mittel ist der 3D-Test für Antisemitismus. 

Spätestens seit der Hamas-Attacke am 7. Oktober und Israels Rachefeldzug in Gaza hört man wieder vermehrt, welche Kritik an Israel erlaubt ist und welche nicht, welche legitim ist und welche nicht, welche gerechtfertigt ist und welche Kritik antisemitisch ist. Kurioserweise sind die Richter über diese Kritik sehr oft Israels Apologeten oder unverhohlen Israels Lobbyisten wie Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, oder Deutschlands Heer von Antisemitismusbeauftragten, die nicht so recht wissen, ob sie für den deutschen Staat arbeiten oder doch Verteidiger und Lobbyisten Israels sind.

Wer diesem Diskurs schon etwas länger folgt, wird merken, dass sich über die Jahrzehnte nicht viel an den Methoden und Talking Points geändert hat, die verwendet werden, um Israel zu verteidigen. Wieso sollte sich auch etwas ändern, wenn der Sinn und Zweck dieses Diskurses nicht darin besteht, eine ehrliche Debatte über die Politik Israels zu führen, sondern diese im Keim zu ersticken? Wieso sollte man seine Argumente anpassen und weiterentwickeln, wenn sie nie in einer ehrlichen Debatte herausgefordert oder entkräftet wurden? Wie heißt es im Englischen so schön: Never change a winning horse.

Laut Israels Lobbyisten ist die beliebteste Methode, um legitime Kritik an Israel von illegitimer und sogar mit antisemitischen Ressentiments behafteter Kritik zu erkennen, der 3-D Test für Antisemitismus oder die 3D-Regel, wenn man nach dem obersten Antisemitismusbeauftragten Felix Klein geht. Unabhängig davon, wie dieser Test genau genannt wird, stehen die drei Ds für Doppelstandards, Delegitimierung und Dämonisierung. Doppelstandards bezieht sich darauf, dass Israel nicht wie andere Staaten behandelt wird, Delegitimierung darauf, dass Israel kein legitimer Staat ist oder kein Recht hat zu existieren und Dämonisierung darauf, Israel in klassisch antisemitischer Bildsprache oder mit Vorurteilen zu beschreiben. Die Logik dieses Tests wird ersichtlicher, wenn man sich die Herkunft und die einzelnen Bestandteile, also die einzelnen Ds, genauer anschaut.

Der 3D-Test stammt aus der Feder von Natan Sharansky, seinerzeit Minister für Jerusalemer Angelegenheiten und Diaspora-Fragen und kurz vor der Veröffentlichung des Tests 2003 stellvertretender Premierminister Israels unter Ariel Sharon. Der sogenannte Test kommt nicht aus der Antisemitismus-Forschung, sondern aus der israelischen Politik, genauer aus der israelischen Regierung. Zweck dieses Tests, wie Sharansky in einem Artikel für die Jewish Political Studies Review schreibt, ist die Bekämpfung des Neuen Antisemitismus, eine neue Form des Antisemitismus, die sich nicht gegen Juden als Juden richtet, sondern gegen den Staat Israel als jüdisches Kollektiv. Antony Lerman zeigt in seinem Buch Whatever Happened to Antisemitism?: Redefinition and the Myth of the ‚Collective Jew‘ penibel auf, wie die Erfindung des Neuen Antisemitismus kein Versuch war, ein neues Phänomen zu identifizieren, sondern Antisemitismus so umzudefinieren, dass es jedwede Kritik an Israel miteinschließt und somit als rhetorisches Mittel zur Verteidigung von Israels Politik eingesetzt werden kann.

Doppelstandards

Doppelstandards, so Sharansky, sind Standards, die nur auf Israel angewendet werden. Zum Beispiel, so die Anschuldigung, wird Israel so oft wie kein anderer Staat von der UN gerügt. Dies stimmt, Israel ist jedoch ebenfalls der Staat, der nie für seine Menschenrechtsvergehen bestraft oder sanktioniert wird, genauso wie die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien zum Beispiel. Zudem werden andere Staaten wie Syrien, Iran, Russland und China mit Sanktionen belegt und somit für ihre Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung gezogen. Israel wird also deshalb wiederholt gerügt, weil es nie sanktioniert wird.

Außerdem ist der Standard, an dem alle Staaten gemessen werden, nicht der Vergleich untereinander, sondern das Völkerrecht, welches für alle Staaten gilt. Die selektive Anwendung ist ein Problem der fehlenden Exekutivgewalt der Vereinten Nationen und eines, von dem Israel seit seiner Gründung profitiert hat. Die USA und die Europäische Union sind sich darüber einig, dass Israel eine Besatzungsmacht ist, die völkerrechtswidrig die Westbank besetzt und dort illegale Siedlungen baut. Und trotzdem hat es keine Konsequenzen zu fürchten. Zudem ist sich der Westen schnell einig, dass die legitime Reaktion Israels auf palästinensische Angriffe das tausendfache Morden von Zivilist:innen ist. Wenn Palästinenser:innen Opfer israelischer Gewalt werden, verlangt der Westen keine weitere Eskalation der Gewalt. Das sind nur zwei der vielen Doppelstandards, die zum Vorteil Israels als selbstverständlich gelten.

Delegitimierung

Bei Delegitimierung bezieht sich Sharansky auf Israels vermeintliches Existenzrecht. Sharansky argumentiert, wer das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, verweigert dem jüdischen Volk als einzigem Volk einen eigenen Staat und sei demzufolge antisemitisch. Das Problem mit diesem Argument ist allerdings, dass ein Recht auf Existenz für Staaten weder im Völkerrecht noch in internationalen Statuten und Verträgen zu finden ist. Sogar die pro-israelische Amadeu Antonio Stiftung muss sich fragen, “warum Israel das einzige Land ist, über dessen Existenzrecht diskutiert wird”, verweigert sich aber herauszufinden, dass dieser Begriff seinen Ursprung in den Friedensverhandlungen von 1948 zwischen Israel und der Arabischen Liga hat und vom UN-Vermittler Folke Bernadotte Graf von Wisborg erfunden wurde. Zudem stimmt es nicht, dass das jüdische Volk das einzige ohne einen eigenen Staat wäre. Es gibt ungefähr einhundert anerkannte Völker und Volksgruppen, die keinen eigenen Staat haben. Schotten, Walliser, Basken und Katalanen, um nur vier Volksgruppen allein in Europa zu nennen.

Die Legitimität eines Staates zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, ob er politisch und militärisch in der Lage ist, sich zu behaupten und von der Staatengemeinschaft anerkannt wird. Kein Staat kann von sich selbst behaupten, legitim zu sein, ohne die Anerkennung der Staatengemeinschaft oder zumindest eines sehr großen Teils derer zu erhalten. Israel kann sich militärisch gegen seine Nachbarn behaupten, ebenfalls ist es von großen Teilen der Staatengemeinschaft anerkannt. Ob es sich auf Dauer politisch behaupten kann, ist eine andere Frage, eben eine politische. Die Existenz der DDR war eine politische Frage, die im Oktober 1949 durch ihre Gründung mit Ja beantwortet wurde und im Oktober 1989 durch ihre Auflösung mit Nein. Die Existenz Israels ist eine politische Frage, die 1948 durch seine Gründung und Anerkennung mit Ja beantwortet wurde, und ob dem so bleibt, ist eine andere politische Frage.

Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass ein Ende eines Staates nicht das Ende der Bevölkerung bedeutet. Die Wiedervereinigung Ost- und Westdeutschlands hat kein einziges Menschenleben gekostet. Weiße Südafrikaner wurden 1994 nach dem Ende der Apartheid weder ethnisch gesäubert noch als Volksgruppe vernichtet. Die Bevölkerungen der ehemaligen Sowjetunion lebten nach 1991 weiter, obwohl die Sowjetunion aufhörte zu existieren. Niemand hat vor 1989 vom Existenzrecht der DDR gesprochen oder dem der Sowjetunion oder dem von Apartheid Südafrika. Diese Staaten verschwanden, die Menschen aber blieben, kein Völkerrecht wurde gebrochen.

Dämonisierung

Ursprünglich konzentrierte sich Sharansky mit der Anschuldigung der Dämonisierung auf Vergleiche Israels mit dem NS-Regime oder „palästinensischen Flüchtlingslagern mit Auschwitz”. Mittlerweile geht ‘Dämonisierung’ über diese zwei Punkte hinaus und beinhaltet laut dem deutschen Innenministerium die “Bezugnahme auf Israel oder Israelis mit antisemitischen Bildern, Symbolen oder Floskeln”. Die Problematik dieser Argumentation wird in ihrer Anwendung deutlich. Denn diese läuft fast ausschließlich darauf hinaus, dass reale Verbrechen Israels unter dem Deckmantel der Antisemitismus-Bekämpfung entweder geleugnet oder verteidigt werden.

Das prominenteste Beispiel ist ein Spruch, den man auf Palästina-solidarischen Protesten häufig hört oder auf Plakaten in verschiedenen Varianten sieht: ‘Kindermörder Israel‘. Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin verbreitet dieser Aufruf “die antisemitische Ritualmord-Legende, der zufolge Kinder umgebracht und ihr Blut im Brot für Pessach verarbeitet werden würde; die Bezeichnung ist ein Beispiel für die Übertragung tradierter antisemitischer Topoi auf den Staat Israel.” Tatsache ist leider, dass das israelische Militär seit der Gründung Israels unter anderem palästinensische Kinder tötet. Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B’tselem wurden zwischen 2001 und dem 6. Oktober 2023 2.184 Kinder und Jugendliche getötet. Seit dem Beginn der Bombardierung Gazas nach der Hamas-Attacke am 7. Oktober nähert sich die Opferzahl der 20.000 Marke, 40 Prozent, also rund 8.000 davon sind Kinder und Jugendliche. Keines dieser Kinder fiel einer Ritualmord-Legende zum Opfer oder wurde für das Backen von Brot getötet. Sie wurden Opfer der israelischen Besatzungspolitik und ihres Vergeltungsschlages gegen die palästinensische Bevölkerung Gazas. Israel dafür verantwortlich zu machen und das so zu benennen, ist keine antisemitische Bildsprache, sondern die Realität israelischer Politik.

Mitte November veröffentlichte das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) einen Twitter-Thread, in dem es Studenten der Berliner Universität der Künste vorwarf, dass eines ihrer “Plakate […] an die antisemitische Erzählung des Brunnenvergifters [erinnert]”. Das fragliche Plakat war die deutsche Übersetzung einer Graphik von Visualizing Palestine mit der Aufschrift “NICHT TRINKBAR. 97% des Wassers in Gaza ist kontaminiert aufgrund von Israels Blockade und militärischer Besatzung.” Als Quelle dieser Behauptung wird das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, genauer dessen Umweltzustand und Ausblicksbericht für die besetzten palästinensischen Gebiete 2020 angegeben. Gazas Wasser wird von Israel kontrolliert. Wäre dem nicht so, hätte Israel nach der Hamas-Attacke Gaza nicht das Wasser als Kollektivbestrafung abstellen können. Seit dem 14. Dezember riskiert Israel zudem die Kontaminierung der letzten Grundwasser-Aquifer unter Gaza, indem es die Tunnel der Hamas mit Meerwasser flutet, welches in das Grundwasser unter Gaza abläuft und dieses untrinkbar macht.Allein diese Beispiele zeigen, dass es hier nicht wirklich um Antisemitismus geht, sondern darum, die Politik Israels durch fadenscheinige und verzweifelte Verweise auf antisemitische Bildsprache zu verteidigen oder zu leugnen. Die Funktion dieses sogenannten Tests ist es nicht, Laien eine Methodik an die Hand zu geben, mit der sie erkennen können, ob jemand Israel legitim kritisiert oder nicht. Sinn und Zweck dieses Tests ist es, Israels Apologeten und Lobbyisten ein rhetorisches Mittel an die Hand zu geben, mit der sie jedwede Diskussion beenden können, indem man dem Gegenüber durch einen scheinbar seriösen Test vorwerfen kann, antisemitische Kritik an Israel zu äußern. Es ist kein Werkzeug, um Antisemitismus zu erkennen und zu bekämpfen, sondern ein Machtinstrument, um öffentliche Diskussionen über die Politik Israels und die Unterstützung Deutschlands zu entgleisen.

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