Neukölln: Die Debatte um Silvester ist geprägt von Rassismus – Im Gespräch mit Ahmed Abed

An Silvester kam es in Berlin Neukölln, wie auch in vielen anderen Gebieten zu übergriffen auf Polizisten und Beschäftigte der Feuerwehr. Doch einzige die Situation in Neukölln hat zu massiven Debatten geführt, wir haben mit Ahmed Abed, Fraktionsvorsitzender der Linken in Neukölln, gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Seit Silvester gibt es eine intensive Debatte um Angriffe von Jugendlichen auf Rettungskräfte und Polizisten, im Zentrum steht dabei Berlin Neukölln. Was ist genau geschehen?

Ahmed Abed: In Neukölln und ganz Berlin gab es zu Silvester wieder sehr viel Böllerei. Ich kann mich noch gut an eine Silvesternacht vor etwa 20 Jahren in Friedrichshain erinnern, wo vom Balkon Knaller auf Leute auf der Straße geworfen wurden. In vielen Bezirken und auch in Neukölln böllern vor allem junge Männer wie verrückt. Also das extreme Böllern ist nichts „migrantisches“. Jetzt wird aber gesagt, dass im Unterschied zu den Vorjahren mehr Rettungskräfte und Polizisten angegriffen wurden.

Die Freiheitsliebe: Von Teilen der Politik wird suggeriert, dass die Angriffe mit Böllern ein migrantisches Problem sein, trifft diese Einschätzung zu?

Ahmed Abed: Ein ganz klares Nein! Erstmal ist Böllern etwas, dass für einige wenige Jugendliche und jüngere Erwachsene ein großes Ding ist, auch wenn nur für ein, zwei Jahre andauert. Egal wo in Deutschland spielen jugendlicher Übermut und Provokationswille die entscheidende Rolle. Deshalb sehen einige Richter auch keine Steigerung der Angriffe an Silvester. So gesehen sind es seit langem immer wiederkehrende Ereignisse. Außerdem finden viele Neuköllner*innen mit Migrationsgeschichte wie mich das viele Böllern wirklich schlimm, aber würden es nicht verbieten wollen. Die Menschen in Neukölln als „Ausländer“ oder Einwanderer zu bezeichnen, wenn sie in 2. oder 3. Generation hier leben, ist besonders falsch.

Die Freiheitsliebe: Es heißt, dass Problem hinge mit „kultureller Überfremdung“ oder einem „westasiatischen“ Menschentyp zusammen, was sagst du zu solchen Einschätzungen?

Ahmed Abed: Das ist einfach Nazisprech. Es ist billig und einfach „den Ausländer“ schuldig zu machen, statt die soziale Situation oder Jugendlichkeit in den Fokus zu nehmen. Die jungen Menschen haben In Neukölln kaum eine Perspektive auf gute Bildung und damit auf einen Job. Jeder fünfte, also 20 %, bekommt keinen Schulabschluss. In Neukölln liegt die Kinderarmutsquote bei 50%. Das weiss auch die SPD-Bürgermeisterin Frau Giffey, weil sie hier Bürgermeisterin war und sogar Bundesvamilienministerin. Getan hat sie jedoch nichts. An vielen Schulen fehlen die notwendigen Lehrerinnen und sogar Schulleiterinnen. Ich glaube aber, dass es viel mit jugendlichem Provokationswille zu tun hat, der weder mit Herkunft noch mit sozialem Status zu tun hat. Schließlich gibt es auch Schlägereien und Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte bei Fußballspielen oder wie kürzlich vor Kneipen auf Fuerteventura. Das waren dann aber englische Fußballfans.

Die Freiheitsliebe: Kritische Stimmen sehen das Problem eher in der Wut von abgehängten Jugendlichen, würdest du das ähnlich beschreiben?

Ahmed Abed: Das Das ist schwierig zu sagen. Wir wissen eigentlich wenig über die Jugendlichen und die Gründe für die Exzesse. Wenn es aber mit dem sozialen Situation zu tun hat, dann gäbe es in Neukölln, Berlin und eigentlich auch in Ostdeutschland wegen der hohen Jugendarbeitslosigkeit und den vielen Hartz4-Empfängern einige Gründe.

Die Freiheitsliebe: Was wäre deine Antwort auf das Problem?

Ahmed Abed: Zunächst würde ich sagen, dass die Rettungskräfte ausreichend geschützt und anstelle der Sensationsfixierung und des starken Rassismus gegen migrantische Jugendliche ein nüchterner Blick auf die Ereignisse stattfinden sollte. Die erste Frage wäre, ob es wirklich mehr Ausschreitungen als in den Vorjahren gab oder hier jetzt für den alljährlichen Normalzustand ein Sündenbock gesucht wird. Dann würde ich endlich die Armut hier angehen, die Schulen ausreichend ausstatten und aufhören die Menschen mit arabischem, türkischem und muslimischem Hintergrund mit solchen Projekten wie „konfrontative Religionsbekundung“ und Gewerbekontrollen mit Maschinengewehren zu stigmatisieren. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann könnte der soziale Frieden ernsthaft bedroht sein.

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