In mehreren Städten stürmten serbische Nationalisten auf die Straße, zündeten Pyrotechnik und sangen alte nationalistische Lieder aus dem Krieg. Dem Krieg, der noch nicht einmal 30 Jahre her ist. Eine kurze Chronik des Geschehenen.
Anfang des Jahres kreiste ein Video im Netz, das einen serbischen Polizisten aus Priboj zeigt, der sichtlich alkoholisiert „Oj Pazaru novi Vukovaru, oj Sjenice nove Srebrenice“ anstimmt. Ein Lied, das die Kriegsverbrechen in Vukovar an Kroaten und in Srebrenica an Bosniaken verherrlicht und zu neuen Kriegsverbrechen aufruft, in Novi Pazar und Sjenica. Auf dem Video sind sonst weitere Polizisten zu erkennen, auch höheren Ranges, die zu dem Lied anstoßen. Nach einem großen Aufschrei gibt es nun ein Disziplinarverfahren gegen die besagten Polizisten.
Priboj ist eine kleine Stadt im Südwesten Serbiens, einer Region namens Sandzak. Im Sandzak leben seit jeher muslimische Bosniaken und orthodoxe Serben zusammen. Man sieht Moscheen neben Kirchen, Friedhöfe beider Religionen und alle Feiertage werden gleich behandelt. Novi Pazar und Sjenica gehören ebenfalls zu Sandzak, wo es neben Landwirtschaft und kleineren Dienstleistungen kaum wirtschaftliche Möglichkeiten gibt. Die Perspektivlosigkeit in einer der ärmsten Regionen des eh schon armen Balkans führt bei allen Seiten zu mehr Hass, zu mehr Angst. Nationalistische Stimmen werden lauter, Linke gibt es kaum noch, obwohl viele gerade ältere Menschen noch eine starke Verbundenheit zum ehemaligen Jugoslawien spüren.
Einige Tage später, am orthodoxen Heiligabend, gingen in Priboj wieder Nationalisten auf die Straße. „Bozic je, Bozic je, pucaj u dzamije“, zu deutsch „Es ist Weihnachten, es ist Weihachten, schießt auf Moscheen.“ Das Fest der Liebe fand bei einigen Vereinzelten eine ganz neue Bedeutung.
Vorgestern, am 9. Januar wurde in Bosnien und Herzegowina, in der serbischen Entität Republika Srbska ihr 30-jähriges bestehen gefeiert, verfassungswidrig, mit einer großen Militärparade. Eine Militärparade in sehr instabilen Zeiten, um an das Ausrufen der Teilrepublik zu erinnern. Knapp vier Monate nach dem Vorstoß der serbischen Politiker brach damals der Bosnienkrieg aus. Dieser Tag ist regelmäßig Anlass für nationalistische Eskapaden, die dieses Jahr aber eine neue Stufe erreichten. So wurden auch die Straßen Novi Pazars in Rauch und Angst gehüllt.
Der serbische Präsident Vucic, der in den 90er Jahren noch mit Aussagen wie „Für jeden getöteten Serben wird man hundert Muslime umbringen“ auffiel und unter Milosevic Informationsminister war, kritisierte die Geschehnisse nun und versprach, dass alle Bosniaken in Serbien absolut sicher seien. Ob weitere Konsequenzen folgen werden, bleibt erstmal abzuwarten. Zurzeit wünschen sich viele Menschen, dass es nur bei diesen leeren Drohungen und Sachbeschädigung bleibt. Aber das Jahr startet sowohl für Bosnien und Herzegowina als auch für den Sandzak besorgniserregend.
Sunaja Baltic stammt aus der Region Sandzak und ist in Novi Pazar geboren. Sunaja ist MItglied in der Aachener Linken Aachen.