Neue Bündnisse für neue Kämpfe

Wie wir den Kampf für eine soziale und klimagerechte Zukunft gewinnen können, beschreibt Bernd Riexinger in seinem neuen Buch „System Change – Plädoyer für einen linken Green New Deal“. Darin fordert er Gewerkschaften und Klimaschutzbewegung zur Zusammenarbeit auf und skizziert, welche Aufgabe für DIE LINKE ansteht.

Im Folgenden veröffentlichen wir auszugsweise ein leicht gekürztes Kapitel aus System Change.

Von Bernd Riexinger

Die Gewerkschaften könnten ein wichtiger Bündnispartner für die Klimaschutzbewegung sein und umgekehrt. Der Vorsitzende des BUND, Olaf Bandt, betont, wie wichtig für die Umweltverbände inzwischen die soziale Frage und die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und linken Parteien geworden sind. Auch wenn die Schwerpunkte unterschiedlich gelegt werden, bieten sich Möglichkeiten für (neue) Allianzen. In einem gemeinsamen Beitrag mit Ulrich Schneider, dem Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, plädiert Bandt für eine neue „Gemeinwohlökonomie“.

Es ist jetzt an den Gewerkschaften, die Chance für neue Bündnisse zu ergreifen. Gerade jüngere Beschäftigte sehen, dass die Klimakrise auch ihre Zukunft und die ihrer Kinder bedroht. Für viele von ihnen gehören soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit untrennbar zusammen. Zusammen mit der wachsenden Organisierung von Beschäftigten im Dienstleistungssektor, insbesondere in den sozialen Dienstleistungen, Bildung, Erziehung und Gesundheit, ist eine – noch nicht überall sichtbare – Basisbewegung zu einer Erneuerung der Gewerkschaften auf dem Weg.

Wichtig zur Revitalisierung der Gewerkschaften ist, dass neue Streikformen erprobt und weiterentwickelt werden: die Demokratisierung von Streiks, Arbeitskämpfe als Organisierungsinstrument und die Verbindung mit öffentlichen Aktionen. Neue Kampfformen bedeuten, dass sich die Beschäftigten selbst als strategisches Zentrum der Kämpfe erfahren. Das klingt für manche in den Führungsetagen der Gewerkschaften bedrohlich oder utopisch. Tatsächlich ist es der Weg, auf dem die Gewerkschaftsbewegung wieder an Stärke gewinnen kann, mit Millionen kampflustigen und erfahrenen Aktiven, die mit ihren Führungen zusammen eine gerechte Zukunft in den Blick nehmen. DIE LINKE versteht sich als Teil dieser Bewegung. Viele Mitglieder arbeiten in den Gewerkschaften, verstehen linke und gewerkschaftliche Politik als zwei Seiten desselben Kampfes. Aber auch als Organisation und Partei ist die LINKE für die Gewerkschaftsbewegung ein wichtiger und verlässlicher Partner.

Gewerkschaften am Scheideweg

In der gegenwärtigen Krise müssen die Gewerkschaften sich entscheiden, ob sie sich als mobilisierende, organisierende und konfliktorientierte Interessenvertretung stärken oder ob sie sich auf die korporatistische Zusammenarbeit mit dem (exportorientierten) Kapital konzentrieren wollen. Von dieser Weichenstellung hängen nicht zuletzt das gesellschaftliche „Klima“ und die Chancen eines sozial-ökologischen Aufbruchs ab. Die Verbindung konkreter betrieblicher und tariflicher Arbeit mit einem gesellschaftlichen (tendenziell antikapitalistischen) Projekt wäre gleichbedeutend mit der Repolitisierung der Gewerkschaften nach links.

Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, warnt vor der weit in der Gesellschaft vorhandenen „Sehnsucht nach der Normalität der guten alten Vorkrisenzeiten“ und hält fest, dass der deutsche Vorkrisenkapitalismus nicht als Utopie fortschrittlicher Politik taugt. Er fordert neue Weichenstellungen nach links, „grundlegende Korrekturen in den Produktions- und Verteilungsverhältnissen“. Neben einem Investitionsprogramm u.a. in klimaschonende Infrastrukturen, energiesparende und emissionsvermeidende Produktionsverfahren und naturverträgliche Produkte ginge es auch um Eingriffe in Eigentums- und Verfügungsrechte. Regionale und bundesweite Transformationsräte sollen den Einstieg in die Wirtschaftsdemokratie bereiten. „Kurzum, nicht Privatkapitalismus, sondern Wirtschaftsdemokratie lautet die Perspektive“.

Selbstverständlich gibt es auch ganz andere Stimmen, Betriebsräte und Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die Abwrackprämien auch für neue Dieselautos fordern. Sie tun damit selbst den mittelfristigen Interessen der Beschäftigten keinen Gefallen. Ich habe das als Gewerkschafter bei der Energieversorgung erlebt. Die Betriebsräte von EnBW (Energie Baden-Württemberg AG) verteidigten wie ihre Manager die Atomkraft und die Kohlekraftwerke. Als immer mehr Kommunen begannen, ihre Stromnetze zurückzukaufen und eigene Stadtwerke gründeten, organisierte der zuständige Fachbereich in Stuttgart eine Demonstration gegen die Gründung eines Stadtwerkes. Ich wurde heftig von Teilen des Fachbereichs kritisiert, weil ich das für einen falschen Weg hielt. Die EnBW wurde vom Atomausstieg völlig überrascht und hatte durch die stärkere Dezentralisierung der Energieversorgung ihr Geschäftsmodell verloren. Sparprogramme waren die Folge und heftige Anstrengungen, wieder den Anschluss an die regenerativen Energien zu finden. Das ist ein Beispiel dafür, dass es keine Perspektive für die Gewerkschaften ist, sich an die Seite der Manager zu stellen. Sie müssen neue Wege gehen und neue Perspektiven aufzeigen.

Die Gewerkschaftsbewegung hat immer dann an Ausstrahlung und gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen, wenn sie nicht nur pragmatisch um konkrete Verbesserungen kämpfte, sondern für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft eingetreten ist. Der linke Green New Deal ist mein Vorschlag, diese beiden Elemente gewerkschaftlicher Politik zu verbinden.

Mehr als die Summe der Teile

Zahlreiche soziale Bewegungen haben sich in den letzten Jahren herausgebildet und es zu erstaunlicher Mobilisierungskraft gebracht. Millionen von Menschen haben in der Klimabewegung kraftvoll eine radikal neue Politik eingefordert. Diese Bewegung wird nach der Corona-Krise auf die Straße zurückkehren. Zehntausende protestierten gegen die Abholzung des Hambacher Forsts oder mit „Ende Gelände“ für einen schnellen Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle. Hunderttausende demonstrierten für eine humane Geflüchtetenpolitik, gegen Rassismus, Ausgrenzung und rechte Hetze (Aktion Seebrücke, Unteilbar, Ausgehetzt, We’ll come united). Sie sind keine „Ein-Punkt-Bewegungen“. Sie betonen z.B. die Verantwortung der westlichen Industrieländer für Armut, Waffenexporte und Krieg und damit die wichtigsten Ursachen für Flucht und Vertreibung. Denn: Die Klimaerwärmung, die daraus resultierende Erosion und Verwüstung der Böden, Überschwemmungen, die Häufung von Stürmen, Wald- und Buschbränden werden Millionen Menschen ihrer Existenzgrundlage berauben und in die Flucht treiben. Die Zusammenhänge drängen mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein. Und mit dem Bündnis „Unteilbar“ haben viele dieser Bewegungen im Namen ausgedrückt: Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Solidarität ist unteilbar.

Die vorstehende Aufzählung ist unvollständig: Demonstrationen für gesunde Ernährung und für biologische Landwirtschaft („Wir haben es satt!“) oder soziale Bewegungen für bezahlbare Mieten, gute Pflege oder Streiks für die bessere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher kommen hinzu, ebenso wie eine neue Generation, die den Internationalen Frauenkampftag am 8. März neu belebt. Diese Bewegungen existieren nicht isoliert voneinander, sondern sind in den politischen Überzeugungen und zum Teil personell vielfach miteinander verbunden. Es wäre auch ein Fehler, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf Löhne und Arbeit zu reduzieren. Viele Krankenhausbeschäftigte oder Erzieherinnen und Erzieher, die für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne streiken, sind auch für Klimaschutz aktiv und engagieren sich gegen Rassismus und für Solidarität mit Geflüchteten. Umgekehrt sind viele aktive Klimaschützerinnen und -schützer nicht blind gegenüber den Arbeitsplatzinteressen der Beschäftigten und deren Forderung nach sozialer Gerechtigkeit.

Die Klimaschutzbewegung politisiert erhebliche Teile der jungen Generation. Die US-amerikanische Gewerkschaftsaktivistin Jane McAlevey, die in der Bewegung für einen Green New Deal aktiv ist, schreibt: „Die Mainstream-Medien und sozialen Netzwerke sind voll von Bildern junger Leute wie Greta Thunberg, die auf die Plätze der Welt drängen, Bremser in der Politik zur Rede stellen und sich offensiv mit den Mächtigen anlegen. Schon immer brachte die Jugend zwei essenzielle Dinge in soziale Bewegungen ein: ihren klaren moralischen Kompass und eine einzigartige, aufwühlende Energie. Ihre Vision ist mutig, ihr Vorgehen kompromisslos. Doch die kohlenstoffbasierte Wirtschaft zurückzudrängen und schließlich zu beseitigen, den Planeten zu retten und zugleich eine Zukunft zu ermöglichen, die jungen Menschen die Art von Arbeit verschafft, die sie gerne machen – all das erfordert mehr Macht und eine ernsthafte Strategie.“

Vorreiterinnen und Vorreiter einer neuen Bewegung

Mehr Macht entsteht in gesellschaftlichen Bündnissen, die sich auf ein gemeinsames Projekt verständigen, in dem ihre Forderungen und Ziele enthalten sind und sich mit denen anderer Akteure verbinden. Dabei geht es um mehr als die bloße Summierung der einzelnen Bewegungen. Es geht um eine neue politische Qualität, um einen Schulterschluss von Gewerkschaften (oder erheblichen Teilen davon), sozialen, ökologischen, demokratischen Bewegungen und Initiativen für eine solidarische Gesellschaft. Ich lade zusammen mit Katja Kipping seit Jahren Gruppen und Organisationen der sozialen und ökologischen Bewegungen zu gemeinsamen Treffen, sogenannten Bewegungsratschlägen, ein. Das ist noch keine Verständigung auf ein gemeinsames politisches Projekt, es hat aber neue Kanäle der Verständigung zwischen Partei und Bewegungen eröffnet. Die tatsächliche Kooperation zwischen der LINKEN und diesen Bewegungen findet in den unzähligen Bündnistreffen vor Ort statt. Aber es ist gut, auch einen gemeinsamen strategischen Blick „von oben“ auf die notwendigen Entwicklungen zu werfen.

Die werden befördert, wenn ver.di und Klimaschutzbewegung gemeinsam um einen Tarifvertrag im Personennahverkehr kämpfen. Gemeinsame Streiktage von „Fridays for Future“ und den Beschäftigten in den Verkehrsbetrieben sind ein gutes Beispiel für gelungene Bündnisse und verbindende Klassenpolitik, auch deshalb, weil sie Vertrauen schaffen. Die Interessen der Busfahrer*innen nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen treffen sich mit den Zielen der Klimaschützerinnen und -schützer nach einem Ausbau des ÖPNV.

Die Beschäftigten im Niedriglohnsektor, die sich sowohl eine bessere Zukunft für ihre Kinder, als auch Löhne wünschen, die für ein gutes Leben reichen; die Pflegekräfte und Arbeiterinnen und Arbeiter in den sozialen Dienstleistungen, die sich für eine Anerkennung ihrer wichtigen Arbeit organisieren; junge Familien und Alleinerziehende; Beschäftigte in der Industrie, die sich gute Arbeitsbedingungen und sinnvolle Arbeitsplätze mit Perspektive wünschen; Studierende, Schülerinnen und Schüler, Muslime, Christen und Atheisten; Menschen unterschiedlichen Glaubens oder Geschlechts und sexueller Orientierungen – sie alle können zu Vorreiterinnen und Vorreiter einer grundlegenden gesellschaftlichen Bewegung werden. Wenn sie das tun, können sie nicht mehr beiseitegeschoben und vertröstet werden.


Wir bedanken uns vielmals beim VSA-Verlag für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieses leicht gekürzten Kapitels aus Bernd Riexingers jüngstem Buch „System Change – Plädoyer für einen linken Green New Deal“.

Das Buch ist im August im VSA: Verlag Hamburg erschienen. Die 144 Seiten sind für 12 Euro hier zu haben.



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