Es war ein wirklich entwürdigendes Schauspiel, das Bundesinnenminister Horst Seehofer in den letzten Wochen geboten hat. Ein Schauspiel war es, weil sich Kanzlerin Merkel bei Seehofers „Masterplan Migration“ weder an der vorgesehenen Ausweitung der Abschiebehaft störte noch an den geplanten Abschiebungen trotz eingelegter Rechtsmittel oder an den beschleunigten Asylverfahren in den „Ankerzentren“.
Der Dissens zwischen den Unionsparteien bestand lediglich darin, dass Seehofer Flüchtlinge, die auch die CDU nicht im Land haben möchte, direkt an der Grenze abweisen möchte, während Merkel auf europäische Asylverfahren und Kontingente setzt.
Auf dem EU-Gipfel hat sich nun die „Europäische Lösung“ durchgesetzt: eine stärkere Abschottung der EU- Außengrenzen, Verlagerung der Asylentscheidungen in die Nähe der Grenzen, am liebsten außerhalb der EU, und die Beschneidung der Rechte von Ayslbewerber*innen, die es nach Europa geschafft haben.
Und da die SPD aus Angst vor Neuwahlen ohnehin alles abnickt oder im besten Fall mit einem anderen Namen versieht, war das Auseinanderfallen der Regierung wohl zu keinem Zeitpunkt eine reale Option.
Beschämend war dieses Schauspiel nicht nur, weil Seehofer bei dieser Inszenierung seinen letzten Rest an Würde verlor, sondern weil diese Tage auch gezeigt haben, dass die Kategorie der Menschenwürde bei den Regierenden und in weiten Teilen des medialen Diskurses keine Rolle mehr spielt. „Oder soll man es lassen?“ – war dieser Tage ein Artikel in der „Zeit“ überschrieben und meinte damit die Hilfe für Geflüchtete in Seenot. Eine renommierte bürgerliche Zeitung diskutiert im Jahr 2018 somit, ob es sinnvoll ist, Menschenleben zu retten. Damit hat die „Zeit“ den zynischen Grundton dieser Tage auf den Punkt gebracht.
Aber Menschenwürde besitzt man als ein unveräußerliches Recht – man verdient sie sich nicht durch Wohlverhalten oder bekommt sie mit dem Geburtsort mitverliehen. Jeder Geflüchtete, der über das Mittelmeer flieht, hofft, gerettet zu werden. Aber keiner flieht, nur weil es private Seenotrettung gibt. Wer Seenotrettung verhindert, nimmt billigend den Tod von Menschen in Kauf. Menschen ertrinken zu lassen, um andere abzuschrecken, bedeutet, nicht mehr über Menschen, sondern über „Fälle“ zu sprechen. Das ist der vorläufige Höhepunkt der moralischen Verrohung dieser Debatte.
Diese Verrohung wurde unter anderem möglich, weil die Parteien der selbsterklärten bürgerlichen „Mitte“ systematisch Forderungen von rechtspopulistischen und faschistischen Formationen aufgreifen. In der CSU galt ja seit jeher die Devise, dass es rechts von ihr keine andere Partei geben dürfe. Aus Angst vor dem Abschneiden der AfD bei der anstehenden Landtagswahl in Bayern steigert die CSU nun nochmal ihren rassistischen Tonfall. Doch inzwischen dürfte auch dem Letzten klar sein: wer die Forderungen der Faschist*innen übernimmt, legitimiert ihre Positionen und bestärkt sie. Und genauso läuft es natürlich auch diesmal: in aktuellen Umfragen bleibt die AfD stabil bei 14 Prozent in Bayern, während die CSU abschmiert.
Schon zweimal in der jüngeren Vergangenheit drohte eine faschistische Partei, sich in Deutschland bundesweit festzusetzen: die NPD 1966-69 und die Republikaner 1985-1993. Beide Male waren es nicht die CDU/CSU, die das durch die Übernahme deren Argumente stoppte, sondern antifaschistische und demokratische Bewegungen verhinderten die Konsolidierung der Nationalisten.
Zehntausende Menschen beteiligten sich in den vergangenen Tagen an Aktionen für eine zivile Seenotrettung. Nach einer Forsa Umfrage finden 75% der Menschen in Bayern, dass es Probleme gibt, „die genauso wichtig oder sogar noch wichtiger sind“ als die so genannte Flüchtlingsfrage. Zu Recht! Das beste Mittel gegen den Aufstieg der neuen und alten Rechten und ihrer menschenverachtenden Pläne wäre ein neuer Aufstand der Anständigen. Dann hätte der Streit zwischen CDU und CSU um die beste Scheinlösung für ein Scheinproblem rasch ein Ende.Photo by Michael Panse