Heute zieht die AfD, eine Partei, die offen mit dem Nationalsozialismus liebäugelt, in ein Parlament nach dem anderen ein. Und die Umfragewerte der AfD bleiben seit drei Jahren hoch, egal welchen Skandal ihr Führungspersonal verursacht oder ob die rechte Hetze der Partei zu offener Gewalt anstachelt.
Linke und emanzipatorische Politik hat damit einen neuen Gegner, der viel eher zum Einsatz von Gewalt bereit ist, auf der Straße, aber auch mit staatlichen, repressiven Mitteln.
Alex Demirovic beschreibt die Neue Rechte an der Regierung zu Recht als dritte Welle des Neo-Liberalismus. Diese setzt verstärkt auf reine Machtdurchsetzung, auch wenn der politische Preis dafür eine nachhaltige politische Spaltung der Gesellschaften ist. Auch dieser Selbstentlarvungsprozess der Herrschenden läuft seit einigen Jahren vor allem in Form der zunehmenden internationalen Spannungen und Kriege. Da wird mit immer härteren Bandagen gekämpft.
Ich denke, dieser Hintergrund ist wichtig, um zu verstehen, dass der Aufstieg der AfD nicht einfach den wachsenden Sorgen der Menschen vor Einwanderung oder dem wachsenden Rassismus in unserer Gesellschaft geschuldet ist. Programm und Zweck der Neuen Rechten ist, die Angriffe auf die sozialen und emanzipatorischen Errungenschaften der Nachkriegszeit fortzuführen und die dafür nötigen gesellschaftlichen Kräfte zu sammeln – auch gegen die Bevölkerungsmehrheit.
Einen harten rechten Rand hat es in der Bundesrepublik immer gegeben. Darüber hinaus ist aber Rassismus in verschiedenen Abstufungen von Skepsis bis offener Ablehnung gegenüber Migrantinnen und Migranten das eine große Thema, bei dem die Mehrheit leider fast immer rechts von der politischen Linken steht. Davor sind übrigens Arbeiterinnen und Arbeiter ebenso wenig gefeit wie die akademisch gebildete Mittelschicht.
Die spannende Frage ist jedoch, unter welchen Umständen diese Einstellungen politisch zum Tragen kommen, von Medien und Politik salonfähig gemacht werden oder sich gar in neuen politischen Formationen niederschlagen.
Rassismus als Brücke
Rassismus ist die eine Brücke, über die die Rechte in die Bevölkerung ausgreift, um angeblich deren Sorgen und Nöte aufzugreifen. Die AfD macht im Bundestag vor, wie sie jedes erdenkliche Problem auf Einwanderer und Geflüchtete oder auf andere Staaten zurückführt. Die so genannte Migrationsfrage ist auch die einzige, bei der plötzlich praktisch alle Parteien die Sorgen der Menschen ernst nehmen wollen. Ich erinnere mich derweil an die Umfragen, die jahrelang zeigten, dass sämtliche zentralen Projekte des neo-liberalen Umbaus – von den Hartz-Reformen über die Gesundheitsreform, die Rentenreform oder den Umbau der Bundeswehr zu einer weltweit Krieg führenden Armee – von zwei Dritteln bis drei Vierteln der Befragten abgelehnt wurden. Das hat die politisch Verantwortlichen bis heute nie interessiert. Und das wird ihnen von vielen Menschen, die heute gar nicht mehr wählen gehen oder ihr Kreuz aus Protest bei der AfD machen, zu Recht übelgenommen. Die Agenda 2010 ist trotzdem bis heute das verbindende Mantra aller etablierten Parteien und im Grunde auch der AfD, die in vielen sozialen und arbeitsmarktpolitischen Fragen noch radikalere Forderungen vertritt.
Wenn wir uns allein die Wählerwanderungen betrachten, sehen wir, dass die AfD die meisten Stimmen von ehemaligen Nicht-Wählern, Anhängerinnen und Anhängern der „sonstigen Parteien“ sowie der Volksparteien erhält. Aus dem Wählerinnenpotential der LINKEN kann sich gerade einmal ein Prozent der Menschen vorstellen, auch die AfD zu wählen.
Gleichzeitig ist es nicht so, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter scharenweise zur AfD überlaufen und die AfD zu einer Arbeiterpartei machen. Die lohnabhängig Beschäftigten sind heute ziemlich genau zur Hälfte (48 % zu 52%) weiblich. Ein knappes Viertel der deutschen Bevölkerung, 22,5 Prozent, hat Migrationshintergrund. Die Arbeiterklasse ist heute nicht mehr weiß, männlich und Facharbeiter mit Tarifvertrag. Das war sie übrigens mehrheitlich auch nie. Deutschland ist ein seit langem ein Einwanderungsland.
Der Einsatz gegen Rassismus und Sexismus ist daher heute keine Frage der Moral, die angeblich von weltfremden und besserverdienenden Gutmenschen gegen die Interessen der benachteiligten Mehrheit ins Feld geführt wird. Im Gegenteil, die sozialen und emanzipatorischen Interessen der arbeitenden Klasse kann diese nur durchsetzen, wenn sie die Spaltungen überwindet und sich der Abwertung und Ausgrenzung ihrer Mitglieder widersetzt.
Arbeiterklasse als zentraler Bezugspunkt
Als Linke sollten wir die Arbeiterinnenklasse als zentralen Bezugspunkt und Motor linker Politik weder abschreiben noch romantisieren. Ohne die lohnabhängig Arbeitenden bleibt linke Gesellschaftsveränderung kraftlos und kann sich nur in Nischen der Besserverdienenden entfalten. Arbeiterin zu sein allein macht einen aber nicht schon zur Anti-Kapitalistin. Trotzdem wäre es ein fataler Fehler, wenn wir im Kampf gegen die Neue Rechte ausschließlich auf die Menschen setzen würden, die ohnehin schon linke Ideale teilen. Diese Menschen brauchen wir, aber wir müssen ausgreifen und Menschen ein Angebot machen, die erst einmal nur von den Verhältnissen enttäuscht sind, ohne daraus noch politische Schlussfolgerungen zu ziehen. Deren Wut dürfen wir nicht den Rechten überlassen.
Das Wählerpotential der AfD ist in vielerlei Hinsicht recht nah am Bevölkerungsdurchschnitt. Bei den Einstellungen unterscheiden sich Wählerinnen und Wähler der AfD von anderen vor allem im Hinblick auf ihr Nationalbewusstsein, ihr Festhalten an Hergebrachtem und ihre Betonung von Recht und Ordnung. Sie haben sehr konservative Ansichten. Die Boeckler-Stiftung kommt in einer Untersuchung zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass der eine Faktor, der Menschen, die nach allen statistischen Kriterien zur AfD tendieren sollten, von einer Zustimmung zu dieser Partei abhält, ihr ehrenamtliches Engagement ist. Kurz gesagt: wer sich mit anderen Menschen zusammen für die Verbesserung seines oder ihres sozialen Umfelds einsetzt, findet die AfD aller Wahrscheinlichkeit nach nicht attraktiv. Zur AfD hingezogen fühlen sich Menschen, die unter der Wahrnehmung von Kontrollverlusten leiden und der Aussage zustimmen, „Was mit mir passiert, wird irgendwo draußen in der Welt entschieden.“ Sie fühlen sich ausgeliefert und hegen großes Misstrauen gegen ihre Mitmenschen. Und ihnen fehlt die Erfahrung von Solidarität.
Unsere Antwort
Was sollten wir dem Erstarken der Neuen Rechten also entgegensetzen?
Als erstes will ich mit Horkheimer sagen, „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ Wir sollten die Neue Rechte als Ausfluss des globalen Kapitalismus in seiner Krise verstehen und über diesen Kapitalismus reden. Wir sollten das Misstrauen vieler Menschen gegenüber den etablierten Institutionen ernst nehmen und nicht die Vergangenheit verklären.
Wir sollten klar machen, dass wir für ein solidarisches und respektvolles Miteinander sind und für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der ist in den letzten Jahren unter die Räder gekommen, und das verunsichert und verärgert viele Menschen zurecht. Solidarität müssen wir erfahrbar machen in konkreten gemeinsamen Initiativen, im gemeinsamen Einsatz für bessere Lebensverhältnisse und im Widerstand gegen Verschlechterungen wie Privatisierungen und Kürzungen. Solche gemeinsamen Kämpfe setzen dem Gefühl der Vereinzelung und Hilflosigkeit die konkrete Erfahrung entgegen, dass man nicht alleine ist und dass man die gesellschaftlichen Verhältnisse beeinflussen kann.
Wir können dabei Mut schöpfen aus den großen Demonstrationen der vergangenen Wochen: 65.000 in Chemnitz, die klar und deutlich sagten „Wir sind mehr“ als die Rassisten, und 250.000 bei #unteilbar in Berlin. Diese Menschen gibt es. Und ich finde es eigentlich einen Skandal für sich, dass die Sorgen und Ängste dieser Menschen in den Talkshows und im Parlament so wenig zur Sprache kommen, während alle Welt tagtäglich die Sorgen vor den Geflüchteten wiederkaut.
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