Einbürgerung statt Exklusion – Deutschland braucht endlich ein progressives Staatsangehörigkeitsrecht

Heutzutage ist unbestritten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Doch die Gesetze vermitteln häufig noch eine ganz andere Botschaft. So vor allem das veraltete Staatsangehörigkeitsrecht aus dem Jahr 2000.

In Deutschland leben über elf Millionen Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Das Statistische Bundesamt bezeichnet diese Menschen in ihren Statistiken als „Ausländer“. Über 17 Jahre leben Menschen im Durchschnitt bereits in Deutschland, bis sie endlich eingebürgert werden. Das ist viel zu lange. Beide Zahlen sprechen Bände darüber, wie schwer es ist, deutsche Staatsangehörige zu werden. Die Anzahl der Einbürgerungen stagniert seit Jahren und ist für Angehörige von Drittstaaten sogar rückläufig. Soviel also zum Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft.

Deutschlands Einbürgerungsquote bleibt Jahr für Jahr deutlich hinter dem europäischen Durchschnitt zurück. Dabei könnte Deutschland von Ländern wie Schweden oder Portugal in Sachen Einbürgerung lernen, doch die Bundesregierung blockiert. Bereits mehrere unserer Anträge, das Staatsangehörigkeitsrecht zu modernisieren, sind in den letzten Jahren gescheitert. Noch immer dominieren weiße, privilegierte „Experten“ die Debatte, wer in Deutschland dazu gehören darf und wer nicht, während unsere Expertise und unsere Erfahrungen nur als Nebendebatte abgetan werden.

Hürden für Einbürgerungen abbauen

Bei meiner eigenen Einbürgerung habe ich ganz persönlich erfahren, mit welchen Hürden der Staat die Beantragung der deutschen Staatsangehörigkeit unnötig erschwert. Es reicht nicht etwa, seit acht Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland zu haben. Stattdessen müssen Antragstellerinnen und Antragssteller erhebliche Gebühren bezahlen, Sprachkenntnisse nachweisen und sich  Einbürgerungstests unterziehen. Dabei kommt es in der Praxis häufig vor, dass sich der Anforderungskatalog schon im nächst angrenzenden Landkreis unterscheidet, oft völlig willkürlich. Dass unseren Eltern und Großeltern, viele von ihnen ehemalige Gastarbeiterinnen, Gastarbeiter, Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen, neben der Bestreitung ihres Lebensunterhalts und der Kinderbetreuung meist kaum Zeit zum Spracherwerb blieb, wird völlig außer Acht gelassen. Von der fehlenden gesellschaftspolitischen Anerkennung einmal ganz zu schweigen. Es wird ignoriert, dass Sprach- und Einbürgerungstests gerade ältere Menschen und Menschen, die in ihrem Leben wenig Zugang zu Bildung hatten, abschrecken und so von einer Einbürgerung entmutigen. Darum fordern wir als LINKE in unserem AntragFür ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht und eine Einbürgerungsoffensivedie Abschaffung dieser Hürden.

Immer noch wird von Angehörigen aus Drittstaaten verlangt, dass sie ihre alte Staatsangehörigkeit aufgeben. Dabei macht Deutschland mal wieder ein Zweiklassensystem zwischen EU- und Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürgern auf. Nur Angehörige von Drittstaaten werden vor diese Zwangswahl gestellt, während EU-Bürgerinnen und -Bürger problemlos beide Pässe behalten dürfen.

Die Konsequenz: Viele Menschen leben über Jahre oder sogar Jahrzehnte hier, ohne sich einbürgern zu lassen. Für Angehörige von Drittstaaten bedeutet das, dass sie nicht mal auf kommunaler Ebene an Wahlen teilnehmen dürfen. Ohne das Wahlrecht wird zahlreichen Menschen ein beachtlicher Teil der demokratischen Partizipation verwehrt. Angehörige eines EU-Mitgliedstaats hingegen dürfen auch ohne Einbürgerung an Kommunalwahlen in Deutschland teilnehmen. Diese Ungleichbehandlung muss aufhören. So ein Mehrklassensystem hat nichts mit Demokratie und Partizipation zu tun.

Zwei Pässe, ein Mensch

Rechts-konservative Befürworterinnen und Befürworter verteidigen das Prinzip der Vermeidung der Mehrstaatigkeit mit absurden Loyalitätsargumenten. Dahinter steckt die widersinnige Annahme, wer zwei Pässe besitzt, würde sich deswegen weniger zu Deutschland „bekennen“. Doch Identifikation ist kein Nullsummenspiel. Wer zwei Pässe hat, kann sich sehr wohl zu Deutschland bekennen, sich „deutsch fühlen“ und gleichzeitig die Verbindung zum eigenen Geburtsland oder dem der Eltern oder Großeltern aufrechterhalten. Jede vierte Person in Deutschland hat Migrationsgeschichte. Wir, ein Viertel dieser Gesellschaft, sind es Leid, ständig beweisen zu müssen, auch „deutsch genug“ zu sein!

Der Diskurs um die doppelte Staatsbürgerschaft aber ist beeinflusst von rechten „Leitkultur“-Gedanken, von der Vorstellung, es gäbe eine homogene Mehrheitsgesellschaft, an deren Kultur wir Migrantinnen und Migranten uns anzupassen hätten. Was für ein reaktionärer Unsinn! Diese Gesellschaft ist eine vielfältige und genau darin liegt auch ihr Wert! Wir Menschen mit komplexen Identitäten, diversen Muttersprachen und unterschiedlichen Glaubensrichtungen sind eine Bereicherung für unser Land. Die Konservativen und Rechten sind diejenigen, die ihre engstirnigen Weltbilder aufbrechen müssen! Die Regelung zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit ist antipluralistisch und gehört abgeschafft.

Wie weit das veraltete Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit an der Lebensrealität vieler vorbeischlittert, zeigt sich allein daran, dass im Jahr 2018 bei über 61 Prozent aller Einbürgerungen ohnehin die alte Staatsangehörigkeit beibehalten wurde. Das liegt unter anderem daran, dass im Falle einiger Länder wie Brasilien, Syrien und dem Iran eine Ausbürgerung überhaupt nicht möglich ist.

Menschen mit türkischem Pass sind zahlenmäßig besonders betroffen von der rückwärtsgewandten Regelung, die ihnen die doppelte Staatsangehörigkeit verwehrt. Sie müssen in aller Regel ihre türkische Staatsbürgerschaft aufgeben, um sich in Deutschland einbürgern zu lassen. Kein Wunder, dass sich 2019 nur 1,2 Prozent von ihnen, die grundsätzlich Anspruch auf eine Einbürgerung hatten, auch wirklich einbürgern ließen. Nur knapp die Hälfte aller in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten aus der Türkei besitzt auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Viele von ihnen empfinden die unterschiedlichen Standards hinsichtlich der Mehrstaatigkeit als unfaire Ungleichbehandlung. Mit den Forderungen in unserem Antrag möchte ich dieser Ungleichbehandlung ein Ende setzen.

Mehrstaatigkeit muss Selbstverständlichkeit werden

Ich setze mich dafür ein, dass wir Gesetze verabschieden, die gesellschaftliche Realitäten abbilden, die den Menschen dienen. Dazu gehört, Mehrfachstaatsangehörigkeiten zuzulassen. Fakt ist, wir leben in einer postmigrantischen Gesellschaft – unsere Stärke liegt gerade in der Pluralität. Das Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit bringt viele Menschen in einen schwer lösbaren Konflikt. Es trägt auch dazu bei, Menschen mit Migrationsgeschichte das Gefühl zu vermitteln, weder hier noch dort „richtig“ dazuzugehören. Mehrstaatigkeit sollte längst Selbstverständlichkeit sein.

Im Bundestag fordere ich mit Kolleginnen und Kollegen aus der Linksfraktion eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und eine umfassende Einbürgerungsoffensive. Wie zahlreiche Studien belegen, führt ausbleibende Einbürgerung zu Benachteiligung und verringerten Bildungschancen. Als hätten Menschen mit Migrationshintergrund nicht ohnehin schon genug mit Diskriminierung und fehlender Chancengleichheit zu kämpfen. Eine Einbürgerungsoffensive wäre auch ein wichtiger Schritt im Kampf gegen soziale Ungleicheit, denn Eingebürgerte erreichen höhere Bildungsabschlüsse und sind erfolgreicher am Arbeitsmarkt. Eine vollständige und gleichberechtigte Teilhabe kann nur durch die Einbürgerung gelingen.

Dass der Staat Entscheidungen trifft, die das Leben von über elf Millionen Menschen betreffen, ohne dass diese durch Wahlen mitbestimmen dürfen, kommt einem massiven Demokratiedefizit gleich. Inklusion kann nur durch gesellschaftliche Teilhabe gelingen, davon bin ich überzeugt. Daher setze ich mich dafür ein, Mehrfachstaatsangehörigkeit grundsätzlich zuzulassen und durch den Abbau von Hürden Einbürgerungen zu fördern, statt sie zu verhindern. Dazu gehört für mich auch die Abschaffung verpflichtender Einbürgerungstests und die Ermöglichung der Einbürgerung unabhängig von Einkommen oder sozialem Status, und zwar ab fünf Jahren Aufenthalt.

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