"LEBEN UND LIEBEN OHNE BEVORMUNDUNG" Demonstation und Kundgebung auf dem Platz des 18. März am Berliner Brandenburger Tor. Zahlreiche Frauen demonstrieren friedlich und in guter Stimmung mit Transparenten und Demo-Tafeln für die Abschaffung des § 218, mehr Selbstbestimmung und für die Stärkung ihrer Rechte. © Uwe Steinert, Berlin. www.uwesteinert.de

Die Folgen von Armut für die Rechte von Frauen

Wohnungsnot, Niedrigeinkommen, Bildungsungerechtigkeit  – diese wohl größten Brennpunkte sozialer Missstände wirken sich auch unmittelbar und nachhaltig auf Frauenrechte und weibliche Selbstbestimmung aus.  Hinzu kommt der zunehmende Verlust an Zeitsouveränität. Besonders Alleinerziehende können oft selbstverständliche Freiheits- und Menschenrechte nicht wahrnehmen.

Sie erleben vielfältigste Diskriminierungen. Etwa bei der Berufsfindung oder auf dem Wohnungsmarkt. Sie leben fünfmal häufiger in Armut als Haushalte, in denen Paare leben. Und haben so gut wie keine Chance, Armutsverhältnissen zu entkommen. Armut wird zudem vererbt und zwar flächendeckend: In strukturschwachen Regionen Deutschlands wie dem Ruhrgebiet oder in Sachsen-Anhalt, aber auch in Städten wie Bremen, manifestiert sich Armut in Familien, so Daten des Mikrozensus.

Die Ursachen der Armutsrisiken von Frauen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Frauen arbeiten überproportional in Teilzeit, unterbrechen ihre Erwerbsarbeit für Sorgearbeit  wie Kindererziehung, und pflegen bedürftige Angehörige. Sie sind häufiger in Berufen beschäftigt, die schlecht entlohnt werden. Nach wie vor bekommen Frauen zudem auch bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit weniger Geld für ihre Arbeit – vor allem dort, wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad gering ist, es keine Tarifverträge und keine Betriebsräte gibt. Weniger beachtet, aber nicht weniger bedeutsam sind die Auswirkungen häuslicher Gewalt auf die Erwerbsfähigkeit von Frauen: „Von Häuslicher Gewalt betroffene Frauen fehlen nicht nur häufiger am Arbeitsplatz und lassen in der Arbeitsleistung nach. Sie sind weniger belastbar und verlieren deshalb manchmal sogar ihre Stelle. Die Auswirkungen körperlicher oder seelischer Verletzungen können so gravierend sein, dass die betroffenen Frauen nur noch eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr erwerbsfähig sind. Manche Frauen können infolge der Verletzungen nicht mehr lange sitzen oder stehen, oder Ängste wie die vor Menschenansammlungen schränken die Arbeitsmöglichkeiten ein.“[1]

Aus dem jüngst veröffentlichten „Atlas der Arbeit“[2] der Hans Böckler Stiftung geht zudem hervor, dass sich die Spaltung der Gesellschaft manifestiert hat: zehn Prozent der Bevölkerung Deutschlands arbeiten in prekären Verhältnissen – dieser Wert war noch nie so hoch. Der geschlechtsspezifische Blick auf dieses Phänomen offenbart, dass Frauen trotz gestiegener Erwerbsquote zu den Verliererinnen der heutigen Arbeitswelt gehören. Was auch daran liegt, dass Frauen nach wie vor die Hauptverantwortlichen für Familien- und Hausarbeit sind. Selbst wenn beide Partner*innen Vollzeit arbeiten.

Trotz jährlich wiederkehrender Kampagnen gegen diese sexistische Schieflage wie auch Quotenregelungen und Vorzeigefrauen gibt es keine Trendwende. Dennoch waren sich die Regierungsvertreter*innen nicht zu schade, darauf hinzuweisen, was sie in der vorherigen Wahlperiode alles für den Abbau von Diskriminierungen getan haben: In der Ausschussdebatte vor genau einem Jahr, in der der von der LINKEN geforderte Aktionsplan gegen Sexismus thematisiert wurde, hieß es von Seiten der Union, man „habe die Hausaufgaben gemacht, man habe einen Plan, man brauche keinen“[3].

Ein Trugschluss, eine Vernebelung der strukturellen Ursachen von Sexismus: Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor nach Geschlechtern selektiert, die Gesellschaft erfüllt nicht einmal die wichtigsten Voraussetzungen, damit Frauen gleichgestellt leben können. Das geht bei der unzureichenden Bereitstellung von Kita-Plätzen los und hört beim Ehegattensplitting noch lange nicht auf. Hinzu kommen immer neue Varianten von Ausbeutung. Die Arbeitsmärkte internationalisieren sich zunehmend, schaffen neue Gruppen, die unter sklavenähnlichen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Weltweit sind 40 Millionen Menschen davon betroffen – die meisten davon Frauen.[4] Verschärfend haben in den letzten Jahren in Deutschland Deregulierungen wie Leiharbeit oder Befristungswahnsinn dazu beigetragen, Beschäftigtengruppen weiter aufzuspalten und zu entsolidarisieren. Der Niedriglohnsektor in Deutschlands ist einer der größten Europas. Unternehmen wird es leicht gemacht, Diskriminierungen Vorschub zu leisten: Bei Bewerberauswahlverfahren den Männern den Vorrang zu geben und sie besser zu bezahlen, den Wiedereinstieg in den Beruf zu behindern, Mindestlöhne zu umgehen. Die reproduktiven Fähigkeiten von Frauen sind bis heute als Maßstab patriarchaler Ungleichbehandlung und werden gegen die Frauen gerichtet.

Die bisherigen Bundesregierungen haben ihre „Hausaufgaben“ eben nicht gemacht: Schlechte Kompromisse tragen Sorge dafür, dass Ungerechtigkeiten bleiben – wie beim Entgeltgleichheitsgesetz, so folgenlos wie es ist. Das Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit ist ein offener Punkt der letzten GroKo geblieben – und scheint auch in dieser Wahlperiode lähmender Zankapfel zu werden. Grundsätzliche bessere Voraussetzungen, Diskriminierungen zu bekämpfen, werden nicht angepackt. Zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz so zu novellieren, dass Gewerkschaften und Verbände ein Verbandsklagerecht erhalten. Oder das Ehegattensplitting endlich zu beenden. Eine abgesicherte Finanzierung der Frauenhäuser würde dafür sorgen, dass von Gewalt betroffene Frauen zum einen nicht mehr abgewiesen werden müssen wegen Überfüllung und zum anderen nicht auch noch für den Aufenthalt zahlen müssen. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.

Eine dringende Kursänderung müsste auch bei der Rente erfolgen. Hier wurde in den vergangenen Jahren ebenfalls massiv nach unten geschraubt, viele Menschen um ihre Altersbezüge betrogen. Die Rente erst ab 67 gehört dazu. Immer mehr Rentner*innen werden außerdem steuerpflichtig. Immer mehr von ihnen müssen zusätzlich arbeiten: Binnen eines Jahrzehnts hat sich ihr Anteil von fünf auf elf Prozent verdoppelt – für mehr als ein Drittel von ihnen ist es die Haupteinkommensquelle.[5] Eine Rentnerin in Westdeutschland hat im Durchschnitt 576 Euro, ein Rentner 994 Euro pro Monat erhalten. In Ostdeutschland waren es 818 Euro für eine Rentnerin, 1.057 Euro für einen Rentner.[6]

Geschlechtsspezifische Armut ist kein individuelles Schicksal, sondern ein gesellschaftspolitischer Skandal. Dabei sind die Staaten nach dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, abgekürzt „Frauenkonvention“ oder CEDAW, seit Jahren aufgefordert, Frauenarmut gezielt entgegenzutreten.[7] Doch es scherte die Bundesregierungen nicht viel. Die LINKE zeigt Sexismus gezielt und vielfältig die rote Karte: Als die Bundestagsfraktion 2016 in einem Antrag[8] einen bundesweiten Aktionsplan gegen Sexismus forderte, darin das Versagen von Regierung und Staat benannte, die Defizite aufzeigte, stimmten die Expert*innen in der Fachanhörung den der Intention zu. Nähme die Bundesregierung die Ergebnisse der Anhörung ernst, würde sie die linken Vorschläge zum Kampf gegen Sexismus in ihr Regierungshandeln einfließen lassen! Was sie nicht tut und damit Diskriminierungen weiterhin fördert und verfestigt.

[1] https://www.frauenrechte.de/online/index.php/themen-und-aktionen/haeusliche-und-sexualisierte-gewalt/146-was-ist-haeusliche-gewalt/293-folgenhaeuslichergewalt

[2] https://www.boeckler.de/atlas-der-arbeit

[3] http://www.bundestag.de/presse/hib/2017_06/-/511368

[4] https://www.boeckler.de/atlas-der-arbeit

[5] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/arbeit-im-alter-doppelt-so-viele-erwerbstaetige-rentner/20049618.html

[6] https://rente-staerken.verdi.de/nachrichten/++co++c486758c-e91d-11e6-9166-525400b665de

[7] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/frauenrechtskonvention-cedaw/

[8] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/087/1808723.pdf

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