Am Mittwoch, den 30. Mai 2018 gehen erschütternde Bilder durch die Welt: Der russische Journalist Arkadij Babtschenko wird vor seiner Wohnung im ukrainischen Kiew angeschossen, seine Frau ruft den Notarzt, kurze Zeit später meldet man den Tod des Journalisten. Die ukrainische Regierung beschuldigt Russland. Die russische Regierung habe ihren scharfen Kritiker Babtschenko schon häufig mit dem Tod bedroht. Ein Mann wird festgenommen, der verantwortlich für das Attentat sein soll. Regierungen, Menschenrechtsorganisationen und Journalist*innen weltweit empören sich über den grausamen Mord an Babtschenko.
Doch schon 16 Stunden später steht der Mann zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten und Männern des Geheimdienstes SBU vor den Kameras: Lachend und höchst lebendig. Sein Tod war nur vorgetäuscht, angeblich als Teil einer Geheimdienstoperation, mit der ein großer Anschlag verhindert werden sollte. Noch einige Stunden später erklärt Babtschenko, er wolle jetzt die ukrainische Staatsangehörigkeit annehmen.
Als Politikerin frage ich mich ja immer: Wem nützt das eigentlich? Bei dieser Aktion des ukrainischen Geheimdienstes gibt es (fast) nur Verlierer.
Arkadij Babtschenko, der renommierte Kriegsreporter, kann seinen Beruf an den Nagel hängen. Durch seine Beteiligung an einer Maskerade im Auftrag des Geheimdienstes, ist er nun zwar weltberühmt, hat zugleich aber jede Glaubwürdigkeit als Journalist verloren. Eigentlich kann er nur noch als Hofnarr der ukrainischen Regierung arbeiten, was bedauerlich ist, denn gute und aufrichtige Kriegsreporter, die nicht den Regierungen der kriegführenden Staaten nach dem Munde reden, sind Mangelware.
Auch wenn im Krieg immer die Wahrheit das erste Opfer ist, so hat die Glaubwürdigkeit von Medien und Politik insgesamt erneut einen schweren Schlag erhalten. Ohnehin befinden sich diese Institutionen in einer Glaubwürdigkeitskrise. Der Fall Babtschenko wird diese Krise vertiefen. Babtschenko rechtfertigte sich für die Aktion damit, dass er damit sein Leben retten wollte. Stichhaltige Beweise, dass dies nicht möglich gewesen wäre, ohne die komplette Weltöffentlichkeit hinter die Fichte zu führen, blieb er jedoch schuldig. So macht er sich zum Instrument in einem Informationskrieg, in dem es zunehmend nicht mehr um Wahrheit und Aufklärung geht, sondern darum, wer die packendste Geschichte zu erzählen hat.
Die ukrainische Regierung stellt sich zwar innenpolitisch als großer Gewinner der Aktion dar, hat aber außenpolitisch jede Menge Porzellan zerschlagen. All die Politiker*innen weltweit, die vor der Presse Trauer über den Tod Babtschenkos und Entsetzen über die grausame Tat verkündeten, sie werden der ukrainischen Regierung nicht so schnell wieder Glauben schenken. Und sie werden auch fragen, ob die Mord-Inszenierung vernünftig aufgeklärt wird und der Festgenommene ein rechtsstaatliches Verfahren erhält.
Verloren haben auch die Menschen in der Ostukraine und auf der Krim. Ihre Hoffnung, dass der schwelende Kriegszustand eines Tages gelöscht und ihr Leben wieder sicherer werden kann, ist nun wieder in weitere Ferne gerückt. Die Inszenierung hat auf beiden Seiten die Eskalationsschraube weiter gedreht und die Feindbilder verstärkt. Brüchiges Vertrauen wurde zerstört. Sie sind die eigentlichen Opfer der Maskerade.
Was kann noch getan werden, um den Schaden zu minimieren? Nur eine unabhängige, internationale Untersuchung durch die OSZE oder die Vereinten Nationen kann zumindest versuchen die Hintergründe dieser Aktion aufzuklären. Gab es die behaupteten Anschlagspläne aus Russland? Wurde der Journalist Babtschenko womöglich unter Druck gesetzt, um sich an der Inszenierung zu beteiligen? Und was wusste die Politik von dieser unsäglichen Aktion? Waren ausländische Geheimdienste mit im Boot? All das muss dringend und schnell aufgeklärt werden.