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Denkpanzer des grünen Kapitalismus

Die Gründung des Club of Rome vor 50 Jahren ist ein Lehrstück über die Entstehung des grün-humanistischen Kapitalismus – und warum dieser nicht funktioniert. „Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer ›das laut zu sagen, was ist‹“. Stimmt dieser Ausspruch von Rosa Luxemburg, so würde der legendäre Club of Rome für sich beanspruchen, als Hort der Revolution in die Geschichte einzugehen.

Vor 50 Jahren, als Linke, Studentinnen und Studenten und Intellektuelle in ganz Europa gegen die gesellschaftliche Enge des Kalten Krieges an den Grundfesten der westlich-kapitalistischen Nachkriegsgesellschaften rüttelten, gründete ein Kreis liberal-humanistisch gesinnter Industrieller und Wissenschaftler das, was man heute als Think Tank bezeichnet. Der „Denkpanzer“ war auf Initiative des italienischen Unternehmers Aurelio Pecci ins Rollen gekommen. Die Zielrichtung des Wirtschaftsberaters und seiner Mitstreiter ist knalliger IdeologieSprengstoff: Die Widersprüche des Kapitalismus wurden, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, analysiert und benannt. Rezepte wurden entwickelt, um die Ausbeutung von Mensch und Natur und seiner siamesischen Zwillinge von Wachstum und Profit ideologisch und praktisch in Einklang zu bringen. Der Club of Rome wollte eine kleine Revolution vom Zaun brechen. Um einer anderen Revolution den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Kleine Revolution?

Denn auch in Italien brodelt es damals. Die Studentenproteste werden immer heftiger. Bei den Parlamentswahlen im Mai 1968 kommt Italiens „Partito Comunista“ (PCI) auf fast ein Drittel aller Parlamentssitze. Die systemfreundlichen Eliten Westeuropas sehen sich angesichts des Vormarschs sozialistischer Ideen seit Ende des Weltkrieges gezwungen, Verstaatlichungen, gute Löhne, Arbeit und Soziales und betriebliche Mitbestimmung ganz oben auf die Agenda zu nehmen. Die Sowjetunion als ideologisch-ökonomischer Gegenentwurf hat auf die Arbeiterklasse eine große Strahlkraft. Pecci, von Beobachtern als liberaler Philanthrop und Humanist beschriebener Ex-Partisan, der nach dem Sieg gegen die Nazis in Deutschland und Italien die heimische Automobil- und Flugzeugindustrie mit auf die Beine stellt, ist klar: Es braucht neue Ideen, oder der ganze Laden fliegt uns um die Ohren. Warum keinen menschlichen Kapitalismus ohne Not und Hunger entwerfen. Einen Kapitalismus im Einklang mit der Natur. Einen Kapitalismus ohne Kriege. Warum nicht die Quadratur des Kreises wagen.

Der Club wird zu einem Verein der vernünftigen Mahner, die sich als Erben der europäischen Aufklärung sehen. Schon vier Jahre nach der Gründung in Rom kommt 1972 mit dem Bestseller „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ die Bibel des grün-humanistischen Kapitalismus auf den umkämpften Markt der Ideen. Niemals wieder sollte eine wissenschaftliche Studie so oft über die Ladentische gehen. Der Öffentlichkeit vorgestellt beim St. Gallen Symposium in der gleichnamigen Schweizer Universität stellte das rund 200-Seiten-Papier, finanziert von der deutschen Volkswagenstiftung, eine für damalige Zeiten tatsächlich neue, steile These auf: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht“. Ein Aufschrei bei klassischen Ökonomen und Politikern war die Folge. Die moderne Vorstellung von unbegrenztem Fortschritt war beschmutzt. Im Kreml wird die Wachstumskritik als bürgerliche Propaganda des Klassenfeindes abgelehnt, auch der Staatssozialismus setzt auf höher, schneller und weiter.

Fehlende Radikalität

Der Geist der Nachhaltigkeit, diesem kapitalistischem Greenwashing-Gummibegriff von der Versöhnung von Wirtschaft, Sozialem und Ökologie, war damit erstmals aus der Champagner-Flasche. Auf 205 Seiten taucht nicht einmal das Wort „Kapitalismus“ auf. Dafür aber wird viel von „Kapital“ geschrieben. Eine Antwort auf zu viel Wachstum bei begrenztem „Produktionskapital“ haben die Forscher, die ihre Berechnungen über die Zukunft der Welt mit einem World-3-Computerprogramm erhielten (das heute auf jedem PC läuft) nicht. In der Tat revolutionär aber ist die Einsicht, dass allein neue Technologien den prognostizierten Systemzusammenbruch durch Überlastung nicht verhindern können: „Aus diesem teuflischen Regelkreis können uns technische Lösungen allein nicht herausführen.“ Stattdessen sollen Geburtenkontrolle, weniger Ressourcenverbrauch, eine Verbesserung der Landwirtschaft und Recycling zur Rettung der Menschheit die Welt unter bestehenden Produktions- und Eigentumsverhältnissen bewerkstelligen. Genau hier liegt die Dialektik des Wirkens des „Club of Rome“: Einerseits hat er eine dringend notwendige Debatte angestoßen, die eine ganze Generation geprägt hat und die heute noch nachwirkt, auch wenn andere Protagonist*innen an ihre Stelle getreten sind.

Andererseits muss aus heutiger Sicht der Club für seine fehlende Radikalität kritisiert werden: Von einem Kapitalismus ohne Wachstum zu träumen, ist bestenfalls ehrenwert. Auf die Überlastung der Natur und die damit verbundene Zerstörung der Lebensgrundlagen für Mensch, Tier und Artenvielfalt hinzuweisen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ohne eine fundamentale Systemkritik aber bleiben die Analysen und Empfehlungen des Clubs ein Trostpflaster für Sonntagsreden. Die Ökokrise mit Klimakatastrophe und Artensterben und die globale soziale Frage sind bis heute direkte Folge kapitalistischer Profitmaximierungslogik. Es gilt für uns also, die richtigen Impulse aufzugreifen und zu würdigen, aber die Kritik über das Bestehende hinauszutreiben: So abgedroschen es klingt, so brandaktuell bleibt die linke Kritik am Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell: Wer von Wachstum redet, der darf vom Kapitalismus nicht schweigen.

Lorenz Gösta Beutin ist Historiker, energie- und klimapolitischer Sprecher von DIE LINKE. im Deutschen Bundestag und Sprecher seiner Partei in Schleswig-Holstein. Erstveröffentlichung in den „Mitteilungen“ (Juli 2018, Heft 7) der Kommunistischen Plattform in der Linken

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