Am vergangenen Samstag kam es in Lützerath zu Massenprotesten gegen die Räumung des Dorfes und die geplante Abbagerung der Kohle darunter. Elisa Baş, Aktivistin bei Friday for Future und Rednerin bei den Protesten, berichtet uns über den Ablauf und über die Enttäuschung über die Politik der Grünen.
Die Freiheitsliebe: Du hast am Wochenende an den Protesten in Lützerath teilgenommen, wie würdest du die Proteste bewerten?
Elisa Baş: Mit über 35.000 Menschen am Samstag waren mehr Menschen denn je in Lützerath. Wir setzten ein unmissverständliches Zeichen gegen die energiepolitisch nicht notwendige Zerstörung Lützeraths für die Kapitalinteressen RWEs. In der breiten Zivilgesellschaft ist ein klarer Bruch zu erkennen mit der Selbstverständlichkeit, fossile Energien wie Kohle inmitten einer Klimakrise verbrennen zu lassen und damit mehr Klimakatastrophen in Kauf zu nehmen. Die neue Normalität ist, dass sich die Menschen diesem brutalen Wahnsinn in den Weg stellen. Darauf wird sich jede Regierung einstellen müssen.
Die Freiheitsliebe: Trotz massiver Proteste wurde nahezu ganz Lützerath geräumt, sind die Proteste ein Misserfolg gewesen?
Elisa Baş: Der Kampf um Lützerath ist nicht verloren, solange die Kohle darunter nicht abgebaggert wurde. Nicht nur als Klimagerechtigkeitsbewegung und Zivilgesellschaft, sondern auch zusammen mit über 700 Wissenschaftler*innen fordern wir weiterhin ein sofortiges Moratorium, um das Abbaggern der Kohle zu verhindern. Halten die Grünen weiterhin an dem dreckigen Deal mit RWE fest, handeln sie mit Vorsatz menschenfeindlich. Denn sie wissen, was sie tun. Sie wissen um die 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen, die laut des neuesten Weltklimaratberichts durch die Klimakrise gefährdet sind. Sie wissen um die Flutkatastrophen in Pakistan und Nigeria letzten Jahres, die zig Millionen Menschen über Nacht obdachlos machten. Sie wissen es und dennoch ist Klimagerechtigkeit keine Maxime Grüner Politik. Damit tragen die Grünen aktiv dazu bei, dass auch 2023 noch gilt: Klimakrise made in Germany, getrieben von einer lobbygeleiteten Politik. Alle, die in Lützerath waren, sind Zeug*innen der massiven und vor allem – verhinderbaren Klimaungerechtigkeit, die mit exzessiver Polizeigewalt durchgesetzt wird. Das werden wir – egal wie es um Lützerath zukünftig stehen sollte – niemals vergessen.
Die Freiheitsliebe: Der Beschluss, der zur Räumung geführt hat, wurde von Grünen Bundes- und Landesregierungen beschlossen, hat sich die Klimabewegung in den Grünen getäuscht?
Elisa Baş: Am Samstag war der Unmut und die Enttäuschung zahlreicher Aktivist*innen und Demonstrant*innen deutlicher denn je zu spüren. Was die Klimagerechtigkeitsbewegung gerade eint, ist vor allem Wut über die Heuchelei der Grünen Partei: Die Wirtschaftsministerin Mona Neubaur posierte im Wahlkampf im Garzweiler Braunkohlerevier mit dem Hashtag #AlleDörferBleiben, nur um dann, nach ihrer Wahl, höchstpersönlich für Gegenteiliges zu sorgen.
Und als Robert Habeck “Lützerath sei das falsch gewählte Symbol” sagte, war das nichts weiter als ein Versuch, die reale Bedeutung seiner klimafeindlichen Politik zu bagatellisieren. Nein, Lützerath ist kein Symbol, hier drunter steckt reale Kohle im Umfang von 280 Millionen Tonnen, die die Grünen für die realen Kapitalinteressen RWEs real abbaggern lassen und dabei eine ganz konkrete und erlebbare Klimakrise anheizen. Und das, trotz realer Wahlversprechen. Vielmehr wird deutlicher denn je: Lützerath ist die Achillesferse der Grünen. Das Dorf steht wortwörtlich am Rande des Abgrunds und die Grünen sind kurz davor, mit Lützerath ihre Wahlversprechen und Glaubwürdigkeit zu opfern.
Die Freiheitsliebe: Bei den Protesten selbst kam es zu verschiedenen Fällen von Polizeigewalt, hat euch das Ausmaß überrascht? Was bedeutet diese Härte für die Klimabewegung?
Elisa Baş: Der Polizeieinsatz ähnelt in ihrer Aggression dem im Hambacher Forst. Damals ist aufgrund der rabiaten und eskalierenden Herangehensweise der Polizei ein Journalist aus einem Baumhaus gestürzt und gestorben, im Nachhinein wurde die Räumung des Hambis als rechtswidrig erklärt. Bei der Räumung von Lützerath wurde in Kauf genommen, dass Menschen aus mehreren Metern Höhe stürzen könnten, nur mit Glück konnte sich ein Baumbesetzer in letzter Sekunde an einem Stamm festhalten. Und auch Samstag sind anlässlich der Großdemo unzählige Demonstrierende aggressiv verprügelt worden, teils krankenhausreif. Wie sich die Polizei in Reih und Glied aufgestellt hat, um brüllend auf Demonstrant*innen loszugehen, die den Nachhauseweg von der angemeldeten Demo antraten, ist nicht zu rechtfertigen. Die Folgeschäden für die Verletzten sind aktuell nicht absehbar. Ein unmissverständliches Zeichen ging aus dieser eskalierenden Räumung und dem Umgang mit Demonstrierenden allerdings hervor: Kapitalinteressen haben auch inmitten der eskalierenden Klimakrise Vorrang für die Regierung und diese Interessen werden im Zweifel mit aller Härte durchgeprügelt.
Die Freiheitsliebe: Was sind die nächsten Schritte?
Elisa Baş: Am Dienstag, 17.01. gab es eine eine vielfältige Massenaktion des Aktionsbündnis „Lützerath Unräumbar“, bei dem u.a. Kohlebagger besetzt wurden. Weil auf die Politik kein Verlass ist, bleibt Klimagerechtigkeit auch weiterhin Handarbeit. Wir haben in Lützerath gezeigt, dass wir auch unter den widrigsten Bedingungen, bei starkem Regen, kräftigem Wind und im Matsch maschierend, nicht aufzuhalten sind. Und solange die Ampel-Regierung am fossilen und ausbeuterischen Status Quo festhält, der sich über die 1,5 Grenze hinwegsetzt, nimmt sie mit Vorsatz weitere Klimatote sowie irreversible Schäden am Ökosystem weiter in Kauf. Wir stellen uns am 3.3., am Tag des nächsten globalen Klimastreiktags, dieser Brutalität in den Weg und erkämpfen Klimagerechtigkeit.
Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.