Ein Protestbrief von einigen anonymen Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich Ebert Stiftung führte zur Absage einer Preisverleihung an die US-amerikanische Women’s March Organisation. Bei näherer Betrachtung des Textes wird jedoch klar, dass eine Großzahl der Antisemitismus-Vorwürfe gegen führende Aktivistinnen der Frauenorganisation schlichtweg falsch sind, auf falschen Clickbait-Titeln basieren und teilweise aus rechtsextremen Publikationen stammen.
So behaupten die Verfasserinnen und Verfasser, Linda Sarsour sei für ihren Antisemitismus bekannt, das sie im März 2017 ausgesagt hätte, dass „Feminist*innen keine Zionist*innen sein können“ oder dass „Zionist*innen Nazis sind“. Beide Aussagen hat sie jedoch nicht gesagt, wie auch die von den Verfasserinnen und Verfasser verlinkten Artikel klar belegen. Im ersten Fall geht es um einen provokanten Titel eines Interviews mit Sarsour, in dem jedoch keine ähnliche Aussage zu finden ist, im zweiten Fall geht es um einen Artikel der rechtsextremen israelischen Webseite Arutz Sheva, der über einen Protest in Solidarität mit dem Footballspieler Colin Kaepernick berichtet, in dem Sarsour die Gegenproteste von Polizei-Unterstützern, rechte Zionisten, White supremacist und Neo-Nazis kritisiert – eine Gleichsetzung von Zionisten und Nazis findet dort nicht statt. Auch die Behauptung, dass Sarsour im September 2018 sagte, „dass wenn Polizist*innen in Amerika unbewaffnete Schwarze erschießen, im Hintergrund jüdische Verantwortliche lauern würden“ ist völlig falsch. Sogar die rechtsrepublikanische und islamophobe Publikation „The Allgemeiner“ , aus der dieser Vorwurf stammen sollte, zitiert Sarsours eigene Worte, die nur die Organisation Anti-Defamation-Leage dafür kritisiert, dass sie polizeiliche Ausbildungsreisen nach Israel organisiert. Auch die Behauptung, dass die Aktivistin Tamika D. Mallory „Juden und Jüdinnen als Aggressoren dar[stellt]“ die „töten, stehlen und was auch immer tun, um das Land zu erobern“ ist eine Lüge – sie sprach eindeutig über Aktionen des Staates Israel.
Dass es innerhalb der Women’s March Organisation zu höchst problematischen Positionierungen in Bezug auf den Antisemiten und Homophoben Louis Farrakhan gekommen ist, wurde tatsächlich intensiv unter Aktivistinnen und Aktivisten der Bewegung stark kritisiert und führte auch zu einer Stellungnahme der Organisation, die seine Aussagen klar verurteilte. Die Behauptung der Verfasserinnen und Verfasser des Briefes, dass die Organisation in seinem Statement „lediglich auf einen antisemitischen Vorfall“ beziehe, ist nicht belegbar – dort verurteilt die Organisation im Allgemeinen die Aussagen von Farrakhan über jüdische, trans* und queere Menschen.
Der diffamierende Brief dieser Stipendiatinnengruppe zeigt vor allem eins: sie versuchen systematisch jede Kritik an rechten Zionisten und Siedlern als Kritik an allen Zionisten und daher an allen Jüdinnen und Juden zu deuten, und scheuen sich nicht davor, Aussagen der feministischen und nicht-weißen Aktivistinnen umzudrehen oder sogar zu erfinden. Kritik an Antisemitismus, auch unter linken und nicht-weißen
Aktivistinnen und Aktivisten ist notwendig und richtig – mit Lügen und Diffamierungen, die teilweise aus rechtsextremen Publikationen stammen, schaden die Verfasserinnen und Verfasser des Briefes jedoch den gemeinsamen Kampf von jüdischen und nicht-jüdischen Aktivistinnen und Aktivisten gegen Rassismus, Antisemitismus und Sexismus. Dass diesen beschämenden Text auf der Webseite des „Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA)“ unkommentiert veröffentlicht wurde, ist leider ein weiterer Beleg dafür, dass eine seriöse und faktentreue Auseinandersetzung mit den facettenreichen Erscheinungsformen des Antisemitismus von dieser Organisation nicht zu erwarten ist.
Der Text wurde von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost geschrieben.
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