Konzentration und Zuspitzung: Für eine starke Linke

Wer bezahlt für Pandemiefolgen und Klimawandel? Auf diese Frage wird der nächste Bundestag Antworten geben müssen. Für die Linke ist klar: Das dürfen nicht die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sein. Wir treten bei der Bundestagswahl an, um Politik im Interesse der großen Mehrheit der Menschen zu machen. Unser Wahlprogrammentwurf umreißt sehr gut, wie wir uns eine sozial gerechte Politik vorstellen. Für eine sinnvolle Zuspitzung wäre allerdings an einigen Stellen weniger mehr gewesen.

Nicht zuletzt die Pandemie und ihre Bewältigung durch die Herrschenden hat deutlich gemacht: Harte Verteilungsauseinandersetzungen werden in den kommenden Jahren die Gesellschaft prägen, denn Corona hat die soziale Spaltung zugespitzt. Auf der einen Seite sind die gut 100 Milliardäre um 100 Milliarden reicher geworden. Auf der anderen Seite, das zeigt der aktuell vorgelegte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, hat ausgerechnet das einkommensschwächste Viertel weiter verloren und ist nun noch schlechter gestellt als vorher. 

Der Entwurf des Wahlprogramms stellt zurecht fest: Noch nie waren Vermögen und Einkommen so ungleich verteilt wie heute. Unsere Schlussfolgerung ist klar: Eine einmalige Vermögensabgabe für Milliardäre ist ebenso unverzichtbar wie eine Vermögenssteuer für Multimillionäre und Milliardäre. Auf diese zentralen Verteilungsfragen sollten wir die Auseinandersetzung im Wahlkampf zuspitzen, denn die Folgen der Pandemie werden die groteske Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Reichtums in Zukunft immer sichtbarer machen.

Deshalb ist es auch richtig, dass die Linke in ihrem Programmentwurf die Erhöhung der Einkommen der vielen Millionen Arbeitnehmer erneut in den Mittelpunkt stellt: Wir wollen die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 13 Euro, die reale Durchsetzung der Tarifbindung in allen Branchen, etwa durch leichtere Allgemeinverbindlichkeitserklärungen und die Bekämpfung von Lohndumping durch Werkverträge, sachgrundlose Befristungen, Leiharbeit oder manipulative Arbeitszeitabrechnungen. Besonders wichtig erscheinen für die kommenden Auseinandersetzungen die Sicherung und Stärkung der Gewerkschaften. Auch hier macht der Entwurf konkrete Vorschläge: Wir wollen Union Busting, also die Verhinderung effektiver Gewerkschaftsarbeitstoppen, die Mitbestimmung auf wirtschaftliche Fragen ebenso ausweiten wie auf die Arbeitsorganisation, Personalbemessung, das Thema prekärer Beschäftigung und die Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. All diese Instrumente werden wir brauchen, um die Transformation der Arbeitswelt durch energetischen Umbau und Digitalisierung nicht zu einem Schlachtfest für Beschäftigtenrechte und Verteilungsgerechtigkeit werden zu lassen. Dagegen ist es zwar richtig, sich zum Ziel eines 30-Stunden-Normalarbeitsverhältnis zu bekennen, so wie es auch im Wahlprogramm von 2017 formuliert war. Aber zu schreiben, dass die Linke die 30-Stunden-Woche „schaffen“ wird, wirft dagegen unnötige Fragen auf. , zweifellos mehr Fragen auf, als sie beantworten.

Die Pandemie hat außerdem mit aller Härte gezeigt, dass wir uns die jahrzehntelange Privatisierung und Profitorientierung des Gesundheitssystem nicht mehr leisten können, wenn wir Arbeitsbedingungen und Patientenversorgung krisenfest machen wollen. Statt konkreten Verbesserungen lieferte die Große Koalition den Beschäftigten jedoch nur warme Worte. Der Programmentwurf verlangt verständlich und nachvollziehbar: Der Pflegenotstand muss endlich gestoppt werden, wir brauchen jeweils 100.000 Pflegekräfte mehr in Krankenhäusern Pflegeheimen. Und die dort beschäftigten brauchen dringend 500 Euro mehr Grundgehalt. 

Auch spitzen wir mit der Forderung nach einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung, die den Lebensstandard wieder sichert, die Rentenfrage treffend zu. Wir nennen die niedrige Durchschnittsrente von 1.048 Euro und unterstreichen damit die Dringlichkeit unserer rentenpolitischen Forderungen, wie der Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und die solidarische Mindestrente. Und wir sagen für die Leserinnen und Leser klipp und klar: „Niemand soll im Alter von weniger als 1.200 Euro leben müssen.“

Ebenfalls richtig ist, dass wir im Programmentwurf Antworten geben, wie sich die anhaltende Mietenexplosion bekämpfen lässt, was nach dem Stopp des Berliner Mietendeckels durch das umstrittene Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch wichtiger geworden ist. Denn in vielen Städten spitzt sich die Wohnungsnot weiter zu. Immer mehr Menschen finden keine bezahlbare Wohnung mehr oder können steigende Mieten nicht bezahlen – weil Wohnungsbestände privatisiert wurden, jedoch kaum Sozialwohnungen gebaut wurden und Reiche und Konzerne verstärkt mit „Betongold“ spekulieren und so die Preise für Grundstücke und Immobilien weiter in die Höhe treiben. In Berlin hat die Linke gezeigt, dass der Trend zu steigenden Mieten durch einen Mietendeckel gebrochen werden kann. Deshalb brauchen wir jetzt eine solche Regelung auf Bundesebene und die Vergesellschaftung großer Immobilienbestände.

Insgesamt gelingt es dem Entwurf also gut, unsere Leitthemen der kommenden politischen Auseinandersetzung auf den Punkt zu bringen. An einigen Stellen wäre allerdings weniger mehr gewesen. Wie schon in der Vergangenheit wurde auch diesmal die Lesbarkeit stellenweise einem Hang zum „Komplettismus“ geopfert. Müssen wir in einem Bundestagswahlprogramm tatsächlich zur Frage Stellung nehmen, wie E-Zigaretten steuerlich zu bewerten sind? Und braucht es tatsächlich im Zusammenhang mit unseren richtigen Forderungen zum ÖPNV auch noch die nach einer Mobilitäts-App, zumal deren Vor- und Nachteile von der Bundesregierung bereits in einem Projekt untersucht werden? Ein bisschen Konzentration und Verdichtung hätte dem Text gutgetan.

Denn: Wir sollten und müssen uns in den vor uns liegenden Monaten des Bundestagswahlkampfes auf zentrale Forderungen konzentrieren. DIE LINKE ist die Partei, die eine besonders hohe Glaubwürdigkeit bei sozialen Forderungen hat. Wir stellen die Verteilungsfrage und den sozialen Zusammenhalt in den Mittelpunkt, stehen auch in Zeiten eines schwierigen gesellschaftlichen Wandels fest an der Seite der Gewerkschaften, treten entschlossen Faschisten jeglicher Couleur entgegen und sind ohne Wenn und Aber Friedenspartei.

Es sind diese wichtigen Themen, weshalb es entscheidend ist, dass die Linke in den kommenden Bundestag einzieht und dort mit einer möglichst starken Fraktion vertreten ist. Wir erinnern uns: Zu Beginn dieses Jahrtausends gab es eine Zeit, in der drei Jahre lang KEINE Partei links von SPD und GRÜNEN im Bundestag vertreten war. Genau in diesen Jahren wurde mit der Agenda 2010 die Axt an den Sozialstaat gelegt: Die Hartz- Gesetze haben Erwerbslose entrechtet und Löhne gedrückt, die Jahrzehnte bestehende Arbeitslosenversicherung wurde zerstört, der Kündigungsschutz gelockert, Leiharbeit gefördert. Das Ergebnis: In keinem anderen EU-Land mit vergleichbarer Wirtschaftsleistung arbeiten heute so viele Menschen zu Niedriglöhnen – fast jede/r dritte Beschäftigte aus Ostdeutschland, mehr als jede vierte Frau, mehr als jede/r Fünfte insgesamt. Außerdem wurde im Interesse privater Finanzkonzerne die gesetzliche Rente teilprivatisiert, und im Gesundheitswesen führte man neoliberale Fallpauschalen ein, um Kliniken auf Profit zu trimmen. Auch in der Steuerpolitik fand eine schamlose Umverteilung von unten nach oben statt.

Bis heute haben sich SPD und GRÜNE nicht klar von der von ihnen damals beschlossenen unsozialen Agenda-Politik distanziert. Hartz IV ist weiter bittere Realität für Hundertausende – auch unter einem SPD-Finanzminister und Kanzlerkandidaten Scholz und SPD-Arbeitsminister Heil. Eine Neuauflage eines weiteren Sozialschlagspakets wie der damaligen Agenda 2010, diesmal mit Blick auf den energetischen Umbau von Produktion und Gesellschaft ist keineswegs ausgeschlossen. Das gilt umso mehr, als Grüne sowohl mit einer Schwarz-Grünen als auch mit einer „Ampel“-Koalition unter Einschluss der marktradikalsten Verfechter des Neoliberalismus – der FDP – liebäugeln. Doch was würde das in der Konsequenz bedeuten? Eine solche Regierung würde vielleicht den Ausstieg aus großen umweltschädigenden CO2-Verursachern wie Kohle und Verbrennungsmotoren durchsetzen. Aber für die vielen, die sich keinen Tesla für knapp 90.000 Euro aus der tariflosen und gigantische Wassermengen verbrauchenden Mega-Fabrik im brandenburgischen Wasserschutzgebiet leisten können, bliebe die Mobilität und soziale Teilhabe bei einer Regierung der Baerbocks und Lindners auf der Strecke. Sie müssten dann auf den nur selten kommenden Bus warten, weil sie sich den Sprit für den alten Golf einfach nicht mehr leisten können.

Und eines ist sicher: Weder bei einer Koalition der Grünen mit der Union oder der FDP ist mit einer friedlicheren Außenpolitik, einem Verbot von Waffenexporten und einem Ende weltweiter Kriegsspiele mit Hilfe einer immer globaler eingesetzten Bundeswehr zu rechnen. Ebenso wenig wird es zu einer dringend notwendigen und in unserem eigenen Interesse liegenden Verbesserung und Neuausrichtung des Verhältnisses zu Russland kommen, erst recht nicht zu Bemühungen, das Kriegsbündnis NATO durch ein neues kollektiven Sicherheitssystem zu ersetzen.  Und auch wenn Robert Habeck noch so versucht, uns ein Stöckchen hinzuhalten: Die Linke muss konsequente Friedenspartei bleiben. In diesem Sinne wäre eine etwas prominentere Positionierung des friedenspolitischen Kapitels im Wahlprogramm sinnvoll gewesen. Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. NATO-Großmanöver an der russischen Außengrenze oder die Beschaffung von US-Kampfjets, die sogar mit Atomwaffen bestückt werden können, sind kein Zeugnis für „Regierungsfähigkeit“, sondern für gefährlichen Irrsinn. Mit dieser Meinung sind wir keineswegs allein: Eine Mehrheit lehnt höhere Rüstungsausgaben ab, möchte Frieden mit Russland und befürwortet einen Abzug von US-Truppen und Atomwaffen.

Der Programmentwurf bietet eine gute Basis dafür, DIE LINKE als die Partei der sozialen Gerechtigkeit, des Friedens und des Antifaschismus in die kommende Wahlauseinandersetzung zu führen. Wir werden Erfolg haben, wenn wir uns auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren. Und lasst uns selbstbewusst in den Wahlkampf gehen, denn ohne eine starke LINKE gibt es keine starke und zuverlässige Kraft für eine soziale und friedenspolitische Wende. Wir haben deshalb eine hohe Verantwortung für alle Menschen, die auf eine bessere Zukunft hoffen. Gemeinsam wird uns das gelingen. Denn nur zusammen machen wir das Land gerecht.

Anmerkungen zur Programmdebatte von Christian Leye und Sahra Wagenknecht

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