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Israel will Palästinenser zu Staatsbürgern zweiter Klasse machen

Entgegen dem vorgeschlagenen Nationalstaat-Gesetz, das praktisch versucht, den Status arabischer Staatsbürger offiziell als Staatsbürger zweiter Klasse in ihrem Land festzuschreiben, hat Knesset-Abgeordneter Yousef Jabareen (Chadasch/al-DschabhaGemeinsame Liste) einen Entwurf eines grundlegenden Gesetzes ausgearbeitet: Israel – ein demokratischer, multikultureller und auf Gleichberechtigung beruhender Staat.

Die Parallele zum Nationalstaat-Gesetz wurde mit Absicht gewählt: Entgegen jedem diskriminierenden und restriktiven Artikel des Nationalstaat-Gesetzes stellt Jabareen, ein promovierter Jurist, eine demokratische Alternative vor, die auf der Gleichberechtigung aller Staatsbürger basiert. Während das Nationalstaat-Gesetz laut Gesetzentwurf bezweckt, „Israels Status als Nationalstaat des jüdischen Volkes zu schützen, um in einem grundlegenden Gesetz die Werte des israelischen Staats als jüdischer und demokratischer Staat im Sinne der in der Gründungserklärung des Staats Israel enthaltenen Prinzipien zu verankern“, zielt Jabareens Gesetzentwurf darauf ab, „die Werte des israelischen Staats als demokratischer, multikultureller Staat, der die staatsbürgerliche, kulturelle und nationale Gleichheit all seiner Staatsbürger wahrt, festzuschreiben.“

„In den letzten Monaten wurde immer intensiver über das Nationalstaat-Gesetz, Israel als dem Nationalstaat des jüdischen Volkes, gesprochen“, erklärte Jabareen in Bezug auf die Hintergründe seines Gesetzentwurfs. „Wir haben diesen Entwurf des Nationalstaat-Gesetzes scharf kritisiert, vor allem, weil er die jüdische Vormachtstellung in einem Gesetz festschreibt, das ein Teil der Verfassung sein soll. Darüber hinaus untergräbt er auch den Status des Arabischen als offizielle Sprache. Ich dachte, dass es gerade angesichts dieses nationalistischen Diskurses wichtig ist, einen alternativen Diskurs vorzuschlagen, damit wir nicht nur den nationalistischen Diskurs kritisieren, sondern auch unsere eigenen Werte vorstellen, die in demokratischen internationalen Konventionen und Verfassungen anderer Länder verankert sind. Ein solches Vorgehen könnte auch die rassistischen Aspekte des Nationalstaat-Gesetzes entlarven, die von dem internationalen Trend hin zum Schutz von Menschenrechten und von Minderheiten abweichen, und Werte in den Diskurs einbringen, die dort fehlen, nämlich die gemeinsame Staatsbürgerschaft, Solidarität und gegenseitigen Respekt.“

In der Vergangenheit wurde in der palästinensischen Öffentlichkeit in Israel häufig über die Idee einer kulturellen Autonomie gesprochen, und auch Sie haben das getan. Besteht ein Zusammenhang zwischen dieser Idee und dem gegenwärtigen Gesetzentwurf?

Die Idee der kulturellen Autonomie ist eine gesellschaftlich-politische Idee bezogen auf Menschenrechtskonzeptionen, aber auf der rechtlichen Ebene muss sie konkreten Ausdruck finden, es muss im Einzelnen genau dargelegt werden, was diese Idee beinhaltet. Meine derzeitige Vorstellung einer „substantiell-transformativen Gleichheit“[1] basiert auf drei Grundprinzipien: Das erste betrifft den Staat als Treuhänder der gesamten Bevölkerung. Als solcher muss er alle seine Ressourcen gerecht und dem Gleichheitsgrundsatz endsprechend verteilen. Dazu gehören materielle Ressourcen, wie Budgets und Land; politische Ressourcen, wie Sprache, Kultur und partnerschaftliche Mitwirkung in Entscheidungszentren; sowie symbolische Ressourcen: alle staatlichen Symbole und die Mittel für Einwanderung und Einbürgerung. In diesem Stadium konzentriert sich der Gesetzentwurf auf die Verteilung dieser Ressourcen.

Das zweite Grundprinzip betrifft die Partikularität jeder der beiden nationalen Gruppen [also der jüdischen Bevölkerungsmehrheit und der arabisch-palästinensischen Minderheit]; auf der internen partikulären Ebene sollte jede Gruppe ein gewisses Maß an Selbstverwaltung genießen, im Bereich von Bildung, Religion, Kultur, Medien, Planung und Bau. Hier ist auch die Idee der kulturellen Autonomie verortet. Die Möglichkeit nationale und kulturelle Identität so zu entwickeln, dass Identität bewahrt und weiterentwickelt werden kann. Dieser Aspekt kommt noch weniger im Gesetzentwurf zum Ausdruck und erfordert eine tiefergehende Diskussion innerhalb der arabischen Gesellschaft über das Wesen der Autonomie, einschließlich der Rechte von Minderheiten innerhalb der arabischen Gesellschaft.

Das dritte Grundprinzip ist die historische Dimension. Historische Rechte der arabischen Bevölkerung, die mit den Folgen der Nakba verbunden sind, das Problem der Vertriebenen und ihrer Rückkehr in ihre Dörfer, der Status des Waqf-Besitzes[2] und der Status der nicht anerkannten Dörfer. Dies sind offene Wunden in der Lebenserfahrung der arabischen Bevölkerung, die im Rahmen des Gesetzentwurfs rechtlich noch nicht zum Ausdruck gebracht wurden. Dies erfordert noch viel Diskussion innerhalb der arabischen Gesellschaft und gegenüber den demokratischen Kräften in der jüdischen Öffentlichkeit. Derzeit konzentriert sich der Gesetzentwurf auf einen grundlegenden Rahmen. Wer mit diesem Rahmen einverstanden ist, kann über alle anderen Dinge auch reden.

 

Können Sie Beispiele für die konkreten Implikationen des Gesetzentwurfs nennen? Soll der Jüdische Nationalfonds aufgelöst werden? Soll das Rückkehrgesetzaufgehoben werden?

Der Gesetzentwurf führt die praktischen Implikationen nicht aus, aber zweifellos ist eine der wichtigsten davon, dass jedes Gesetz in Israel, das der jüdischen Bevölkerung einen privilegierten Status zuschreibt, ein Gesetz ist, das das Kriterium der Gleichstellung aller Staatsbürger nicht erfüllt und mithin aufzuheben wäre. Ein prominentes Beispiel ist der Status der jüdischen Institutionen, die dem jüdischen Volk eine klare Präferenz in Bezug auf Eigentum an Land, Entwicklung und Planung geben. Sowie alle Einwanderungsbestimmungen, die nur der jüdischen Mehrheit dienen. Der Jüdische Nationalfonds sollte sicher aufgelöst werden. Es gibt heute keinen demokratischen Staat in der Welt, in dem 13 Prozent des Staatsgebiets von einer Institution kontrolliert werden, die offen erklärt, dass sie nur der Gruppe in der Gesellschaft dient, die die Mehrheit bildet. Aus demokratischer Perspektive ist dies eine Unding.

 

Sie schlagen vor, die Staatsfahne, die Hymne und andere Staatssymbole so zu ändern, dass sie alle Staatsbürger repräsentieren. Haben Sie diesbezüglich konkrete Ideen?

Interessanterweise wird dies häufig gefragt; das ist wohl etwas, was die Neugier erregt. Ich habe dieses Prinzip vorgestellt: Die Symbole des Staats, einschließlich der Fahne und der Hymne, sollten eine auf Gleichheit beruhende Haltung gegenüber allen Staatsbürger widerspiegeln. Dies kann in zivilgesellschaftlichen Symbolen, an denen alle teilhaben, zum Ausdruck kommen, wie zum Beispiel ein Olivenbaum, oder in kreativeren Ideen, die Symbole aus der jüdischen Tradition und der arabisch-palästinensischen miteinander kombinieren. Persönlich tendiere ich zu zivilgesellschaftlichen Symbolen, aber das Wichtige hier ist das Prinzip.

 

In der israelischen Politik wird der Opposition, insbesondere der palästinensischen, zunehmend die Möglichkeit genommen, innerhalb des Systems zu agieren. Wie verstehen Sie unter diesen Umständen Ihre Rolle als palästinensische Knesset-Abgeordnete?

Ein wesentlicher Teil unserer Aufgabe besteht darin, das Ausmaß der Gefahren aufzudecken, die den Maßnahmen innewohnen, die die Regierung vorantreibt, sei es in Bezug auf das Verhältnis des Staats zu seinen arabischen Bürger, auf die Wahrung oder Missachtung grundlegender demokratischer Standards, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und der Schutz der Menschenrechte, oder sei es in Bezug auf die Annexion der Gebiete, die 1967 erobert wurden. Es ist unsere Aufgabe, diese Gefahren in der Knesset aufzuzeigen, aber auch vor der israelischen Öffentlichkeit, soweit es die hebräischen Medien zulassen. Und natürlich auch in der internationalen Arena.

 

Das Gespräch wurde von Orly Noy geführt und erschien zuerst auf den Seiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung. 

Orly Noy, 1970 in Teheran geboren, ist eine israelische Aktivistin iranischer Abstammung, Journalistin und Redakteurin des Online-Magazins Lokales Gespräch sowie Übersetzerin aus dem Persischen ins Hebräische.

 

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