Der Tod der 22-jährigen Jina Mahssa Amini brachte all jene für eine kurze Zeit zusammen, die normalerweise nicht wirklich zusammengehören: die Linken, ethnische und religiöse Minderheiten, Gewerkschaften, Frauenbewegung und die Monarchisten um den Sohn der alten Diktatur!
Die Dynamik der ersten Tage nach der Revolution und die zum ersten Mal in der neuen Geschichte des Iran dagewesene Solidarität überlagerten politische Diskussionen und den Richtungsstreit. Dennoch hat es nicht lange gedauert, bis die Monarchisten anfingen, ihr wahres Gesicht zu zeigen, die Richtung der Revolution zu ändern, den Slogan zu nationalisieren und ihre Vorstellung vom Iran des Morgens zu offenbaren und nicht zuletzt, die Revolution für sich und eigene Ziele zu vereinnahmen.
Was geschah eigentlich?
Es war der Höhepunkt der Jina-Revolution im Oktober 2022, gerade waren zum wiederholten Male seit der Revolution in Kurdistan erfolgreiche Streiks am Laufen. Aufgerufen dazu hatten die kurdischen Parteien, zivile Organisationen und bekannte Aktivistinnen und Aktivisten. Und die Antwort des Regimes war vorherzusehen: Mit Militär wurde nach Kurdistan vorgerückt und in die ohnehin sehr militarisierten Städte wurde weiteres Militär gekarrt. Zum gleichen Zeitpunkt verübte das Regime in Zahedan, die Hauptstadt Belutschistans, ein Massaker mit hunderten Toten und Verletzen. Die Reaktion der anderen Städte im Iran war anders als in den letzten Jahrzehnten, überall im Land konnte man zum ersten Mal in dieser Dimension Solidarität mit den am meisten von Unterdrückung und Diskriminierung betroffenen Völker, den Kurden und Balutschen, vernehmen. Die Solidaritätsrufe mit Kurdistan und Belutschistan hallen durchs ganze Land.
Der Alptraum des Regimes wird wahr, das seit 44 Jahren Unmögliche scheint möglich zu sein, nämlich dass die Propaganda des Regimes (Treiber der Revolution seien Separatismus und kommunistische, vom Ausland gesteuerte Kräfte), mit der das Regime seit 44 Jahren seine Verbrechen in Kurdistan zu rechtfertigen versucht, zieht bei den Kurden nicht mehr. Das Regime ist damit überfordert, dass jetzt nicht nur unter Kurden, die seit 44 Jahren ohnehin gegen es kämpfen, sondern im gesamten Land die Solidaritätsrufe mit Kurdistan zu hören sind.
Neben Jin Jiyan Azadi-Rufen hört man Kurdistan, Kurdistan – Licht und Augen des Iran, doch auch die Solidarität mit den Balutschen ist überall im Land zu spüren und die Straßen gehören den Revolutionären, die Ethnien, Geschlechter, Schichten und Generationen übergreifend im Land rebellieren – und das zum ersten Mal in der 44-jährigen Geschichte in fast allen 31 Provinzen gleichzeitig, mit einem gemeinsamen Ziel, nämlich, dass ein anderer Iran notwendig ist, aber auch mit dem Glauben, dass es dieses Mal möglich ist zu protestieren.
Diese übergreifenden Proteste und die unglaubliche Solidität und Zusammenhalt im Land übertragen sich auch auf die Hunderttausenden Iraner*innen im Ausland. Am 22. Oktober kamen in Berlin fast einhunderttausend Personen mit unterschiedlichem Glauben, Ethnien und politischen Einstellungen und Weltanschauungen zusammen auf die Straßen. Dabei ist den Exil-Iraner*innen durchaus bewusst, dass sie in einigen Fragen unterschiedliche Meinungen haben können, doch viele glauben an die Einheit in Vielfalt!
Und genau zum Höhepunkt der Einheit und des Zusammenhalts bekommt der Sohn der alten Diktatur, Reza Pahlavi, die Möglichkeit, beim Fernsehsender Manoto zu sprechen. Er nutzt dieses Interview, um noch einmal etwas zu reaktivieren, was seit Beginn der Revolution in den Hintergrund gerückt ist, nämlich die „territoriale Integrität“ im Zusammenhang mit einem vermeintlichen, unterstellten Separatismus. Zwei Begriffe, die nicht nur die Bevölkerung spalten, die Kämpfe trennt und die noch nie dagewesene Ethnien übergreifende Solidarität schwächt, sondern auch ein Instrument gewesen sind, mit dem nicht nur das islamische Regime, sondern auch das diktatorische Regime seines Vaters und Großvaters die Unterdrückung und Angriffe auf Kurden, Balutschen und Aserbaidschaner gerechtfertigt haben. Dass solche Begrifflichkeiten nachvollziehbarerweise Trauma und Angst bei allen Nicht-Persern auslösen, sollte klar sein, und dass dies die Skepsis der nationalen Minderheiten gegenüber den zentralistischen Kräften, keine Lösung der nationalen Frage anbieten zu können, stärkt, ebenfalls.
Im Verlauf des Interviews offenbarte Reza Pahlavi weiterhin seine nationalistische Ideologie und sein Verständnis von Demokratie: „Wir werden mit separatistischen Kräften (gemeint sind kurdische Parteien), nicht zusammenarbeiten.“ Der Sohn der alten Diktatur stellt also Bedingungen und rote Linien für Gespräche mit den Kräften auf, aus deren jahrelangen Kämpfen die Jina-Revolution entstanden und jetzt überall im Land am Laufen ist. Und damit hat der Mann nicht nur die Spaltung der gesamten Opposition in Kauf genommen, sondern die Kurden und ihre Parteien zu Separatisten erklärt, von denen eine Gefahr für die territoriale Integrität des Landes ausgeht und man lieber die bekämpft als das Regime, das gerade in diesen Tagen wieder Hunderte auf den Straßen tötet.
Nichts Besseres könnte dem Regime passieren, als solche Personen als Opposition zu haben. Der Mann ist dem Regime sehr willkommen, denn zusammengefasst kann man sagen, er hat es geschafft, die nach 44 Jahren einmalige Einheit und Solidarität in weniger als 44 Minuten zu beschädigen. Er hat geschafft, was dem Regime in letzter Zeit nicht gelungen ist, nämlich die Einheit zu zerstören und die iranischen Völker zu spalten. Das Regime kann ihm nur dankbar sein, Pahlavi hat dem Regime einen Bärendienst erwiesen.
Alternative zum Regime
Im Westen und den westlichen Medien, aber auch von einigen Linksliberalen werden die Monarchisten und vor allem die Person Reza Pahlavi gerne als eine Alternative zum Regime angesehen, gar als eine Art Hoffnungsträger, dabei zeigen nicht nur die bislang nicht aufgearbeiteten Verbrechen seines Vaters und Pahlavis unkritische Haltung diesen Verbrechen gegenüber, wie etwa dem Unterdrückungs- und Verfolgungsapparat des berüchtigten Geheimdiensts Savak gegenüber, dass er keine Alternative sein kann. Auch der Umgang von ihm und seinen engsten Kreisen mit den Andersdenkenden im Laufe der letzten Monate bestätigen die Annahme, dass sie eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie im Iran sind. Dass er und seine Anhänger weder demokratiefähig noch -willig sind, ahnten viele. Bestätigt hat dies aber sein Umgang in der Gruppe um The Charter of Solidarity and Alliance for Freedom (The Mahsa Charter), was am Ende zum Ausstieg von Hamid Esmaliun, einer der bekanntesten Oppositionellen aus Kanada, geführt hat, der seinen Ausstieg mit der fehlenden Gruppenfähigkeit und den Alleingängen von Reza Pahlavi begründet hat.
Pahlavis Frau Yasmin hat vor kurzem bei Instagram ein Plakat gepostet, auf dem „Tod den Linken und Islamisten“ stand. Also für sie sind die Linken im Iran, die noch nie an der Macht waren, genauso verachtenswert wie das Islamische Regime, das seit 44 Jahren Tausende Menschen hingerichtet und getötet hat. Doch nicht nur die Linken bleiben vor den Angriffen der Monarchisten nicht verschont. So hat Yasmin Pahlavi am 28. März in einem Kommentar auf dem Instagram-Profil vom Hamed Ismaielunn, dem Mitorganisator der großen Demo in Berlin, geschrieben: „Wer Gerechtigkeit für die hingerichteten Anhänger der MEK fordere, der soll sich auf das Töten der Revolution konzentrieren.“ Aber auch kaum an Unverschämtheit zu überbieten ist die in Anwesenheit ehemaliger Funktionäre und mit Stolz von Savak-Mitarbeitern durchgeführte Demonstration in Washington. Und nicht zuletzt die Äußerungen des Vorsitzenden der Monarchisten-nahen Partei Neuer Iran, der sagte: „Jina hat sich selbst ihren Namen ändern lassen und es gibt keine Verbote kurdischer Namen. Damit negiert er, dass es im Iran überhaupt Unterdrückung aufgrund von Ethnien gibt.
Die Liste der Äußerungen und Handlungen der Monarchisten lassen sich endlos verlängern, das waren nur einige Beispiele. Aber auch insgesamt verdeutlichen ihre Handlungen der letzten Monate, dass die Monarchisten nicht auf der Seite der Revolution, sondern auf der Seite der Konterrevolution stehen. Seit Monaten haben sie den Diskursraum in persischen Medien und den sozialen Netzwerken, die eigentlich als Plattformen der Unterstützung für die Proteste dienen sollten, mit der Diskussion über Spaltung, territoriale Integrität und Angriffe auf kurdische Parteien und andere Aktivisten auf eine abscheuliche Weise besetzt und vergiftet. Tausende Aktivsten haben auch den Diskursraum über den Iran von morgen vereinnahmt. Dasselbe taten sie vor ein paar Monaten auch gegenüber Forderungen von Lehrern, Gewerkschaften, Arbeitnehmern und Frauen.
Sie trennten die Revolution von ihrer Hauptidentität, dem Slogan Frau, Leben, Freiheit, und ersetzten sie durch patriarchale, autoritäre Slogans und extremen Nationalismus: „Mann, Heimat, Wiederaufbau“. Sie zeigten Sympathie mit einem Teil der repressiven, terroristischen Kräfte und diskreditierten so praktisch die Frage um das Justizsystem von morgen. Sie haben die Versammlungen im Ausland mit Mobbing und Drohungen in eine Sackgasse geführt und die bestehende Bewegung in Europa praktisch zerstört.
Nur gegen Linke?
Sie rufen „Tod den Linken!“ und meinen dabei nicht die Linken alleine, sondern alle Demokraten, die ihre regressiven Vorstellungen von morgen nicht teilen. Doch warum rufen sie überhaupt „Tod den Linken!“, wohl wissend, dass unter den aktuellen Umständen die Linken unter anderem wegen der historischen Fehler der Revolution von 1979, aber auch wegen Zersplitterung und Spaltung weder die Kraft haben noch eine ernsthafte Gefahr besteht, dass sie alleine die Macht übernehmen könnten? Sie rufen „Tod den Linken!“, denn sie wissen auch, dass sich unter diesem Label alle Andersdenkenden und Demokraten bekämpfen lassen. Doch im Grunde geht es bei den Monarchisten nicht nur um den Hass und die Bekämpfung der Linken und der nationalen Minderheiten, sondern auch um alle, die an einen demokratischen Iran glauben.
Doch: Wer jetzt bei einer Revolution, die in ihrem Slogan das Wort Frau in sich trägt, den Sohn der alten Diktatur als eine Art Hoffnungsträger sieht, wer bei einer Revolution, die in ihrem Slogan das Wort Freiheit in sich trägt, diese Antidemokraten und Feinde der Freiheict als eine Alternative sieht, der hat weder die Revolution verstanden noch, warum sie gerade in Kurdistan ihren Ursprung hatte.
Daher kann es in Bezug auf die Monarchisten nur eine Art der Zusammenarbeit geben: und zwar eine in kämpferischer Opposition gegen sie! Denn die Demokratiefeinde werden nicht demokratisch, wenn man mit ihnen zusammenarbeitet, sondern vielmehr machen sie den Autoritarismus weiter salonfähig. Dies kennt man aus der deutschen Geschichte und diese Fehler sollten uns erspart bleiben.