Am 2. 10. wurden in Brasilien neue Bürgermeister und Stadträte gewählt, dabei bestätigte sich eine Entwicklung, die mit der Krise im letzten Jahr begann: Zulauf bei den rechten Parteien, massive Niederlagen für die PT (Arbeiterpartei, wegen Korruptionsvorwürfen abgesetzte vormalige Regierungspartei, AdÜ), ein leichtes Plus bei der sozialistischen Linken, repräsentiert durch die Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL)
Dies waren die ersten Kommunalwahlen, in denen keine Spenden von Unternehmen zugelassen waren, zum Vorteil vieler Kandidaten aus dem rechten Lager, die auf beträchtliche Spenden von „Privatpersonen“ zurückgreifen konnten, oder ihre Kampagnen selbst finanzierten. Untersuchungen haben jetzt schon zahlreiche Verstösse festgestellt, darunter angebliche Spenden von Verstorbenen, Arbeitslosen, und Sozialhilfeempfängern.
Nach einem neuen Gesetz, das der inzwischen abgesetzte Präsident der Abgeordnetenkammer, Eduardo Cunha (PMDB), 2015 durchgesetzt hatte, wurde die Zeit für Fernsehwerbung nach der Anzahl von Parteien in einer Koalition vergeben, die Rechten Parteien und die PT hatten dies ausgenutzt und möglichst viele kleine Parteien eingeschrieben. Die PSOL, die nicht auf solche zweifelhaften Taktiken zurückgreifen wollte, ging dabei leer aus.
Die Rechte
Die Sozialdemokratische Partei Brasiliens (PSDB), die neoliberale Partei von Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso, war der grosse Gewinner an den Urnen. Sie konnte den Anteil ihrer Bürgermeister von 695 (2012) auf 800 erhöhen, darunter der spektakuläre Erstrundensieg von João Doria in der grössten Metropole, São Paulo. Von allen Parteien hatte sie die meisten Stimmen, in acht Landeshauptstädten werden ihre Kandidaten in der zweiten Runde am 30. 10. antreten.
Die PMDB (Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens) von Michel Temer, Übergangspräsident seit der Korruptionsaffäre, hat insgesamt den grössten Anteil an Bürgermeistern und Stadträten, daran hat sich seit den 90er Jahren nichts geändert. Die PMDB hat bislang noch keine Präsidentschaftswahl gewonnen (Vizepräsidenten der PMDB haben aber bereits dreimal das Amt des Präsidenten übernommen), sie vereint als ‚Sammelpartei‘ verschiedenste Lokalpolitiker, ohne ein einheitliches Programm. Die PMDB gewann mehr als 951 Städte, ein Fünftel aller Kommunen des Landes, darunter mehrere Grosstädte.
Kleinere Parteien des rechten Spektrums konnten auch einen leichten Zulauf verzeichnen, so auch Vertreter der extremen Rechten aus dem Umfeld der evangelischen Kirche und der Polizei.
Insgesamt haben die rechten Parteien das Klima nach der Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff und den ideologischen Bankrott der PT genutzt, um mit Unterstützung der privaten Medien und der Justiz die Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Im Fall São Paulo hat sich der Wahlgewinner João Doria ausserdem bizarrerweise als ‚Anti-Politiker‘ dargestellt, der sich als erfolgreicher Geschäftsmann eher als ‚Verwalter‘ als ‚Politiker‘ sieht.
Es überrascht nicht, dass er damit bei der Bevölkerung gut ankommt, die inzwischen genug von Politikern und ihren Skandalen hat. Doria hat aber bereits jetzt erste Wahlversprechen zurückgenommen und damit sein wahres Gesicht gezeigt.
Die ehemalige Linke
Die PT hat bei dieser Wahl ihre grösste Niederlage seit zwanzig Jahren erlitten. Sie verlor im Vergleich zu 2012 sechzig Prozent der Städte und die Hälfte der Stimmen in den Stadtratswahlen. Nur in einer (kleinen) Landeshauptstadt stellt die PT noch den Bürgermeister, in einer weiteren ist sie zumindest in die zweite Runde gelangt. In São Paulo bekam der Kandidat der PT, Fernando Haddad, gerade einmal sechzehn Prozent der Stimmen, dies ist das schlechteste Ergebnis seit Ende der Diktatur 1985 und das erste Mal, dass sie schon im ersten Wahldurchgang ausscheidet.
Es ist offensichtlich, dass die Verwicklung führender Mitglieder in den Petrobras-Skandal die schlechten Wahlergebnisse der PT mitverursacht hat. Die Partei konnte nichts tun gegen die Ungerechtigkeit der Justiz, die ausschliesslich die Korruption in der PT untersucht hat, und nicht auch in der PMDB oder PSDB. Ungeachtet dessen hat die PT in mehr als 1400 Städten mit Parteien koaliert, die für die Absetzung waren.
Es ist jedoch vor allem der Wechsel zu einer neoliberalen Agenda, die dem Ruf der PT geschadet hat. 2014 hatte Dilma Rousseff Arbeitsplätze und soziale Reformen versprochen, im Amt jedoch massive Kürzungen im Sozialbereich vorgenommen, die zur Zeit von der illegitimen Regierung, die sie abgesetzt hat, noch weiter vorangetrieben werden. Diese Massnahmen haben viele Mitglieder der PT, wie auch viele ihrer ehemaligen Wähler, verunsichert.
Das Wahlkampfprogramm der PT unterschied sich 2016 kaum von dem der Parteien der bürgerlichen Mitte. In São Paulo hatte Fernando Haddad nachhaltige Projekte wie Fahrrad- und Busstrecken im Programm, aber keine Lösungen gegen Arbeislosigkeit, Inflation und Mängel im öffentlichen Dienst. Es ist bezeichnend, das er seine besten Ergebnisse in zwei Stadtteilen der Mittelklasse hatte.
Der einzigen grösseren Erfolg erzielte der linke Stadtrat Eduardo Suplicy, der landesweit von allen Kandidaten die meisten Stimmen erhielt. Suplicy ist PT-Mitglied, hat aber enge Beziehungen zur sozialistischen Linken.
Die sozialistische Linke
Die PSOL stellt bislang nur in zwei kleinen Städten die Bürgermeister, hat es aber in den zwei grossen Landeshauptstädten Rio de Janeiro und Belem in die nächste Wahlrunde geschafft, sowie in einer mittelgrossen Industriestadt im Bezirk São Paulo. In vielen Bezirken konnte die PT die Wähler der PSOL für sich gewinnen, indem sie sich als das ‚geringere Übel‘ im Vergleich zu rechten Kandidaten darstellte. In vielen Bezirken landesweit konnte die PSOL die Zahl ihrer Stadträte von neunundvierzig auf gerade einmal dreiunfünfzig erhöhen, darunter sind jedoch Stadträte in wichtigen Städten, sechs in Rio de Janeiro, zwei in São Paulo, drei in Porto Alegre, und drei in Belem.
Diese bescheidenen Ergebnisse lenken von einer wichtigen Entwicklung ab: in vielen grossen Städten erhielten die Stadträte der PSOL mit die meisten Stimmen. Und die meistgewählten PSOL Kandidaten waren bekannte Sozial- und Gewerkschaftsaktivisten.
In Rio de Janeiro, Belo Horizonte und Niteroi stellte die PSOL drei schwarze Kandidatinnen auf, die auf ein langes Engagement im Bereich Antirassismus und Gewerkschaft zurückblicken. In Porto Alegre und São Paulo erzielten feministische Kandidatinnen wichtige Erfolge. Wenn man berücksichtigt, dass die PSOL unfairerweise mit den Problemen der PT assoziiert wird, ist das eine positive Entwicklung.
Insgesamt gibt es jedoch Anlass zur Sorge: die Rechte wird mit neuem Selbstbewusstsein ihre neoliberale Agenda vorantreiben. Auf Bundesebene arbeitet die Regierung von Temer an einem Gesetzesentwurf, der Ausgaben im sozialen Bereich einschränken soll, erhebliche Einschnitte bei Renten und Arbeitnehmerrechten wurden angekündigt. Auf kommunaler Ebene sind weitere Privatisierungen und Kürzungen von Sozialleistungen zu erwarten.
Die ungewählte Übergangsregierung von Temer hat aber schon jetzt mit Skandalen und schlechten Umfragewerten zu kämpfen. Es bleibt abzuwarten, wie lange die Goldgräberstimmung der Rechten nach dem Staatsstreich andauern wird.
Ein Beitrag von Sean Purdy, Dozent für Geschichte der Arbeiter- und Sozialbewegungen an der Universität von São Paulo und Aktivist in der Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL). Erstveröffentlicht beim Jacobin Mag. Übersetzt von San Holo