Europas Mauer, die nicht so heißen darf

Dieser Tage wenden sich führende Köpfe der Europäischen Union gerne ab von Donald Trump, der ein faschistoides und reaktionäres Vorhaben nach dem anderen präsentiert. Stattdessen betont man die „Werte“ der europäischen Gemeinschaft, um sich als liberaler Gegensatz zu inszenieren. Das ist Doppelmoral vom Feinsten, denn in migrationspolitischen Fragen steht die EU dem neuen US-Präsidenten in nichts nach. Und Deutschland ist die treibende Kraft.

Ofziell haben Bundesregierung und EU seit einiger Zeit die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ auf die Tagesordnung gesetzt. Und keine Frage: Europa könnte, wenn die Herrschenden ernsthaft daran interessiert wären, mit einem Stopp von Waffenexporten oder mit gerechten Handelsbeziehungen viel dazu beitragen. Doch was die Regierenden der Öffentlichkeit unter diesem Schlagwort verkaufen, ist in Wahrheit nichts als die Ausweitung des Kampfs gegen Flüchtlinge und Migranten. Die EU benutzt die Außen-, Ent- wicklungs-, Wirtschafts- und Handelspolitik, um afrikanische Flüchtlinge und Migranten von Europa fernzuhalten. Dafür scheuen sie vor (fast) nichts mehr zurück.

Beispielhaft hierfür steht die vor wenigen Tagen ausgerufene Zusammenarbeit mit dem Bürgerkriegsland Libyen. Der EU-Türkei-Deal und die Schließung der Balkanroute haben die Fluchtrouten verschoben und gefährlicher gemacht. Jetzt will man die zentrale Mittelmeerroute weiter abschotten. Umgesetzt werden soll das Vorhaben durch eine Stärkung der bereits jetzt für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen bekannten libyschen Küstenwache sowie mit Auffanglagern direkt in Libyen.

Dabei ist die Situation der etwa 300.000 Migrantinnen und Migranten, die in solchen Lagern festsitzen, katastrophal. Exekutionen, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind an der Tagesordnung. Das wissen auch die europäischen Abschottungsstrategen. Ein interner Bericht des Auswärtigen Amtes prangerte sogar „KZ-ähnliche Zustände“ an. Mit dem neuen Pakt nimmt man solche Menschenrechtsverletzungen wissentlich in Kauf.

Libyen ist kein Einzelfall. Mittlerweile hat die EU mit Mali, Niger, Somalia, Nigeria und Äthiopien sogenannte „Migrationspartnerschaften“ abgeschlossen, die genaue Schritte zur Eindämmung von Flucht und Migration festlegen. Die Militärdiktatur Ägypten soll in Kürze folgen. Um Druck auf diese Länder auszuüben, arbeitet die EU mit Zuckerbrot und Peitsche. Afrikanische Staaten, die mitspielen, sollen mehr Entwicklungsgelder, mehr Wirtschaftsförderung sowie einen besseren Zugang zum europäischen Markt erhalten. Staaten, die die Kooperation verweigern, sollen dagegen bestraft werden.

Diese „Partner“ sind vorrangige Empfängerländer für Projekte aus dem 2,4 Milliarden Euro schweren EU-Treuhandfonds für Afrika, der der beim Valletta-Gipfel 2015 ins Leben gerufen wurde. Ganz in kolonialer Tradition verwehrt die EU ihnen jedoch jegliches Mitspracherecht bei der Planung dieser Projekte. Und so überrascht es nicht, dass allein die Hälfte der bisher ausgeschütteten Mittel nur für „Rückführungen“ und die Aufrüstung von Grenzen und Sicherheitsbeamten ausgegeben wurden. Ein Beispiel hierfür ist das mit 46 Millionen Euro nanzierte und von der staatlichen Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) geleitete „Better Migration Management“. Hier wird mit autoritären und despotischen Regimen und deren Sicherheitsapparaten wie im Sudan, Äthiopien oder Eritrea kooperiert. Die Logik und die Folgen solcher Projekte sind fatal, denn sie stärken eben jene autoritären Regime, vor denen viele Menschen iehen. Leider gilt dabei: Je autoritärer, desto „verlässlicher“. Denn nur autoritäre Regime verfügen über die nötige Durchsetzungskraft, die in der Bevölkerung höchst unbeliebten Maßnahmen zur Migrationskontrolle durchzusetzen. Je demokratischer afrikanische Länder organisiert sind und je mehr Zivilgesellschaft es gibt, desto stärker ist der Widerstand.

Jede Fluchtbewegung hat ihre Hintergründe
Foto: Jimmy Bulanik

Eine weitere Folge der Migrationsabwehr ist die massive Schwächung der politischen und wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den afrikanischen Staaten. Die Reise- und Warenfreiheit ist beispielsweise ein fundamentales Prinzip der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Diese muss nun geopfert werden, entgegen allen Warnungen afrikanischer und europäischer Experten, dass dies den Volkswirtschaften dieser Länder enorm schaden wird. So paradox es klingt: Dieser „Kampf gegen Fluchtursachen“ schafft nur neue Fluchtgründe.

Der Unterschied zwischen ei nem „Zehn-Punkte-Plan“ mit Libyen und einer fünfzehn Meter hohen Mauer aus Beton und Stahl an der US-Grenze zu Mexiko, ist nur die elegantere rhetorische Verpackung der EU. Im Kern steckt darin aber die gleiche unmenschliche Logik: Man opfert Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und den Schutz Hilfsbedürftiger der rassistischen Stimmungsmache von Rechtspopulisten. Der Artikel erschien zuerst in der Zeitung E:MO.

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