Eine gute alte Tradition Deutschlands: auf der falschen Seite der Geschichte stehen

Wie Pseudo-Liberale den palästinensischen Kampf für Freiheit im deutschen Bundestag bekämpfen.

Deutschland hat vor kurzem eine Resolution verabschiedet, die den Boykott Israels als antisemitisch brandmarkt – zur großen Genugtuung Israels. „Die Argumentationsmuster und Methoden, die von der BDS-Bewegung genutzt werden, sind antisemitisch“, heißt es in der Resolution der CDU, SPD, der Grünen und der FDP.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu begrüßte die Bundestagentscheidung in einem Twitter-Statement: „Ich hoffe, dass dieser Entscheidung konkrete Schritte folgen und fordere andere Länder dazu auf, ähnliche Gesetzgebungen zu erlassen.“

Die BDS-Bewegung verurteilte den Vorgang als anti-palästinensisch und die palästinensische Zivilgesellschaft hat mit einer ausführlichen Verurteilung der deutschen Resolution geantwortet. Deren Titel lautet: „Die Anti-BDS-Resolution verletzt Prinzipien des internationalen Rechts und positioniert sich gegen die palästinensische Zivilgesellschaft und das Streben nach Freiheit, Gerechtigkeit und Würde.“ Der Brief argumentiert, dass Deutschland mit dieser Resolution nicht nur internationales Recht und europäische Positionen untergräbt, sondern auch die eigene Verfassung.

Es ist sicher nicht das erste Mal, dass Deutschland auf der falschen Seite der Geschichte steht. Vordergründig ging es Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg – in dem es eine noch nie dagewesene genozidale Rolle bei der Zerstörung Europas und seiner Bevölkerung auf der Basis einer rassischen Überlegenheitsdoktrin gespielt hatte – darum, den Wiederaufbau des eigenen Landes als liberaler demokratischer Kraft voranzutreiben. Nichtdestotrotz hat Deutschland in der Folge eine führende Rolle in der Allianz mit äußerst rassistischen Gebilden wie Apartheids-Südafrika gespielt.

Deutschlands Rolle bei der Unterstützung Apartheid-Südafrikas

Deutschland unterstützte Südafrika massiv – militärisch, finanziell und geheimdienstlich, und wurde zum weltweit wichtigsten Finanzier der Apartheid – zu einem Zeitpunkt, als sogar die USA sich Ende der 1980er aus der Allianz mit Südafrika zurückzogen. Während andere international agierende Banken ihre Investitionen aus dem Land, das zunehmend zum Paria der Weltgemeinschaft wurde, zurückschraubten oder ganz einstellten, steigerten westdeutsche Banken ihre Anteile noch. Deutschlands Unterstützung für Südafrikas Regime beinhaltete die Bereitstellung von nachrichtendienstlichen Dokumenten, die dabei halfen, Nelson Mandela 1956 für Hochverrat hinter Gitter zu schicken. Nach dem UN-Embargo gegen Südafrika 1977 umging Deutschland dieses – und schickte Waffen und technisches Gerät, vermittelt durch Drittländer und Briefkastenfirmen. Darunter zum Beispiel Hubschrauber zur Überwachung von Massendemonstrationen und zur Identifikation führender Aktivisten. Und wie im Falle Israels half Westdeutschland auch Apartheids-Südafrika auf dem Weg zu einer Nuklearmacht.  

Opferrolle und verlangsamte Einstellung auf die neuen Realitäten

Deutschland bemerkte erst spät, dass sich eine neue Realität abzeichnete und dass Mandela nun nicht mehr als Terrorist, sondern als Freiheitskämpfer betrachtet wurde. Sogar nachdem Mandela 1990 aus dem Gefängnis entlassen wurde und in der ganzen Welt zu einem gefeierten Helden avancierte, hielt die westdeutsche Regierung Abstand zu ihm, als er das gerade wiedervereinigte Deutschland besuchte. Er wurde nicht von Helmut Kohl empfangen. Erst als abzusehen war, dass er gewählt werden würde, wurde er eingeladen, vor dem Parlament eine Rede zu halten.

Derlei atavistische „Verzögerungen“ sind nicht ungewöhnlich. Mandela stand bis 2008 auf der US-amerikanischen Terrorliste. Man könnte sich jedoch ein etwas stringenteres und progressiveres Verhalten von Ländern erwarten, die sich selbst als Ikonen des Liberalismus darstellen.

Stattdessen identifizierten sich viele mit der selbstzugeschriebenen Opferrolle des weißen Apartheidsregimes. Der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der verschiedene Ministerposten auch auf Bundesebene bekleidete, sagte noch 1988 zum südafrikanischen Außenminister Pik Botha, dass die Abschaffung der Apartheid „unverantwortlich“ sei und gleiche Rechte für die schwarze Bevölkerungsmehrheit „nicht wünschenswert“. Er behauptete ebenso:
„Nie in meinem 40-jährigen politischen Leben habe ich eine so ungerechte und unfaire Behandlung eines Landes erlebt, wie sie Südafrika widerfährt.“

Die aktuellen Verzerrungen der Debatte durch die deutsche Politik

Deutschland setzt nun den Boykott des Apartheidsstaates Israel mit den Nazi-Boykotten gegen die Juden gleich. Eine weitere darin enthaltene Gleichsetzung ist die zwischen dem Staat Israel einerseits und allen Juden andererseits. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass diese Position -die wenig überraschend von Israel selbst vertreten wird- antisemitisch ist.  Deutschland gibt vor, dass Israel ein schutzloser, staatenloser „kollektiver Jude“ sei, der unfairerweise angegriffen wird. Und dies nicht wegen der von ihm praktizierten Politik, sondern aufgrund seiner Ethnie- eben laut dieser Definition ein weiterer antijüdischer Rassismus wie in der Vergangenheit.

Deutschland wischt mit diesem Vorgehen Israels langjährige Besatzung als irrelevant vom Tisch. Wie das palästinensische Protestschreiben anmerkt:

„Zusätzlich und alarmierender Weise versagt die besagte Resolution darin, zwischen dem Territorium des Staates Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten zu unterscheiden; die letzteren umfassen die Westbank, inklusive Ost-Jerusalem und dem Gazastreifen und es wurden über 250 israelische Siedlungen und Außenposten auf diesem Territorium errichtet, in denen mehr als 600.000 israelische Siedler leben und damit Internationales Recht brechen. Daher stellt die Resolution auch einen Bruch mit der von Deutschland und Europa langjährig vertretenen Position dar, dass die israelischen Siedlungen auf besetztem palästinensischen Gebiet nach Internationalem Recht und mit Bezug auf die Verpflichtungen von Drittländern illegal sind. Somit nährt die Resolution Israels weiter anwachsende Annexion und die Verfestigung der Kolonisierung palästinensischen Territoriums unter vollständiger Missachtung der Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrates von 2016, die Drittländer dazu aufruft, in ihrem Umgang zwischen dem Territorium des Staates Israels und den besetzten palästinensischen Gebieten zu unterscheiden.“

Dieser Aspekt der israelischen Apartheid – die Besatzung von 1967 – wird als irrelevant erklärt im Zusammenhang mit den Boykottmaßnahmen. Viele beziehen sich auf die 1967er Besatzung als Hauptmotivator für diese Boykotte, obwohl BDS auch andere schwerwiegende Probleme adressiert – das Rückkehrrecht der Flüchtlinge wie auch die rechtliche Gleichstellung der palästinensischen Bürger Israels; in beiden Fällen handelt es sich um Punkte, die Israel institutionell leugnet. Wenn Deutschland die eigentlichen Herzthemen des Boykotts nicht benennen kann – oder vielmehr nicht benennen will – dann stärkt dies natürlich im Umkehrschluss seine fatale Annahme, dass es BDS um die „Stigmatisierung israelischer Bürger und jüdischer Bürger insgesamt“ gehe und dass diese „antisemitischen Statements und Attacken, die vordergründig als Kritik der Politik des Staates Israel formuliert sind, tatsächlich aber Ausdruck des Hasses auf jüdische Menschen und ihre Religion sind.“, wie die Resolution behauptet.

Das Märchen von der „Zwei-Staaten-Lösung“

Die deutsche Resolution gibt vor, sich auf die „Zwei-Staaten-Lösung“ zu berufen. Die Zwei-Staaten-Lösung hat sich als Lebensretter für diejenigen bewährt, die einen liberalen Anschein wahren und gleichzeitig den Protest gegen Israels Menschenrechtsverletzungen eindämmen wollen. Diese aufgeweichte internationale „Soft-Kritik“ macht diese Liberalen zum Handlanger Israels und zementiert die Kolonialisierung Palästinas. Deutschland ermöglicht sich selbst dadurch einerseits weiterhin von der „Zwei-Staaten-Lösung“ zu reden und gleichzeitig die Verbrechen, auf die sich die Boykottbewegung beruft, zu ignorieren, die Protestierenden als „Nazis“ zu bezeichnen und das Ganze als erledigt zu betrachten. Es ist gerade so als könne das Wort von der „Zwei-Staaten-Lösung“ als magische Beschwörungsformel dienen, die jeden Angriff auf Meinungsfreiheit rechtfertigt und den Stichwortgeber zugleich als Liberalen kennzeichnet. Diese Formel ist dieser Tage zur billigsten politischen Worthülse verkommen.

Deutschland spielt nun ganz unverhüllt auf der Seite Israels. Keine Zwei-Staaten-Worthülse kann übertünchen, was Deutschland mit dieser beschämenden Resolution wirklich getan hat.

Die falsche Seite der Geschichte: „besondere Beziehungen“

Deutsche Politiker scheinen zu glauben, dass sie sich von der Nazi-Vergangenheit des eigenen Landes freisprechen können oder die historische Schuld abbezahlen könnten, indem sie nun BDS-Aktivisten als Nazis bezeichnen. Aber Deutschland macht es nur schlimmer. Deutschland scheint sich zu weigern, die richtige Lektion aus dem Holocaust zu ziehen, indem es seine „besondere Beziehung“ zu Israel betreibt. Um es einmal auszubuchstabieren: es gibt keine „besonderen Menschen“. Wer auch immer glaubt, dass eine derartige „Besonderheit“ für ein angebliches „Volk“ (in diesem Fall das „jüdische Volk“) bestehe, ist nicht nur ein Rassist – er bereitet auch den fruchtbaren Boden für die nächste rassisch motivierte Unterdrückung.

Jonathan Ofir

Wie wir gesehen haben, handelt es sich keineswegs um das erste Mal, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ein Apartheidsregime unterstützt. Die Worte „Nie wieder!“ werden bedeutungslos – es sei denn man lässt die Möglichkeit zu, dass abolut niemand immun gegen diese Verbrechen ist und absolut jedermann potentiell zum Unterdrücker werden kann – es gibt keine DNA, die einige Menschen zu ewigen Opfern macht oder andere zu ewigen Verbrechern.

Mein politisches Verständnis als Mensch, sogar meine Perspektive als Israeli und Jude sagen mir, dass es Deutschland mit dieser Resolution abermals tut: auf der falschen Seite der Geschichte stehen.

Ein Beitrag von Jonathan Ofir, er ist israelischer Musiker, Dirigent und politischer Kommentator. Er lebt und arbeitet in Dänemark und veröffentlicht regelmäßig auf dem Blog mondoweiss.net. Übersetzer: Christoph Glanz


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