Verstaatlichung des Bergbaus, Bodenreform, Wirtschaftskammern: In den britischen Besatzungszonen war weitgehender öffentlicher Einfluss auf die Marktwirtschaft geplant. Gescheitert sind sie letztendlich am eigenen Mut und der antikommunistischen Gegenkräfte der deutschen Politik.[1]
Im postnationalsozialistischen Deutschland wurde in den verschiedenen Besatzungszonen der Einfluss der besetzenden Staaten sichtbar. In der sowjetischen Besatzungszone wurden Großbetriebe enteignet sowie Politik und Wirtschaft durch die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur Staatspartei SED gelenkt, während die amerikanische Besatzungszone auf die Stärkung marktwirtschaftlicher Ordnung und strikter Ablehnung staatlichen Eingriff bevorzugte.
Großbritanniens Wohlfahrtstaat und sein langer Arm in den deutschen Nordwesten
In der britischen Besatzungszone (heutiges NRW, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein) versuchte die heimische Regierungspartei um den Premierminister Clement Attlee, einen sozialdemokratischen Kurs zu fahren. Geplant war es, mehr demokratische, gemeinorientierte Wirtschaftspolitik in den jeweiligen neugegründeten Bundesländern durchzuführen. Der Bergbau sollte ähnlich wie in Großbritannien sozialisiert werden, eine Bodenreform in Kraft treten, die eine Umverteilung des ländlichen Besitzes zu Gunsten ärmerer Bäuerinnen und Bauern mit sich gebracht hätte. Darüber hinaus sollte mit der Einführung von Wirtschaftskammern weitgehende staatliche Kontrolle über die Ökonomie geregelt werden.
Die damalige britische Arbeiterpartei konnte ihr sozialdemokratisches Programm in großen Teilen umsetzen. So wurde dank ihnen auch ein einheitliches Gesundheitswesen eingeführt, von denen vor allem die ärmsten Menschen profitierten. Mit der neoliberalen Hardlinerpolitik von Margaret Thatcher (konservative Tory-Partei) in den 80er Jahren wurden die öffentliche Hand und der Sozialstaat massiv angegriffen und gekürzt, was die soziale Ungleichheit im Vereinigten Königreich anheizte.
Die gespaltene deutsche Christdemokratie in den 40er Jahren
Zurück nach Westdeutschland: Die Vorhaben der britischen Besatzung wurden zuerst von den deutschen lokalen wirtschaftsfreundlichen Politikern gestoppt. Der erste nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rudolf Amelunxen (Zentrum) versuchte mit allen Mitteln, den öffentlichen Einfluss durch Verlangsamungspolitik zu stoppen.
Mit dem personellen Wechsel von Amelunxen zu Karl Arnold (CDU) im Jahre 1947 wurden die Karten noch einmal neu gemischt. Karl Arnold war christlicher Gewerkschafter und befürwortete das Ahlener Programm der CDU aus dem gleichen Jahr. Darin stand unter anderem:
„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. […] Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht.“[2]
Antikommunistischer Gegenschlag
Ganz im Zeichen der Zeit, also dem Wiederaufbau Deutschlands mit seinen großen Versorgungskrisen, waren selbst Teile der christdemokratischen Parteien für eine deutliche Ausweitung staatlicher und gemeinwirtschaftlicher Befugnisse. Karl Arnold selbst stand auch dafür in NRW und ließ viele Sozialwohnungen bauen und stellte sich im späteren Verlauf als innerparteiische Gegenperson zum konservativen und wirtschaftsliberaleren Kurs von Konrad Adenauer, der zugleich Bundeskanzler wurde, dar.
Der zweite NRW-Ministerpräsident Arnold setzte sich stark für die britischen Pläne mit breiter Unterstützung weiterer Parteien aus dem Landtag wie der SPD, KPD, Zentrumspartei und Teilen der CDU, ein, ehe Großbritannien selbst doch einlenkte. Grund hierfür war die Bündnispolitik mit den USA. Diese waren alles andere als begeistert von den britischen Plänen und sahen darin eine zu nahe Orientierung am sowjetischem Stil. Washington konnte deutlich Druck ausüben, weil eine politische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten bei den staatlichen Eingriffen in weite Ferne gerückt werden würde.
Vertane Chance
Was wäre passiert, wenn damals die genannten Pläne umgesetzt worden wären? Möglicherweise hätten viele Arbeiter*innen im Bergbau im späteren notwendigen Strukturwandel vor der Arbeitslosigkeit bewahrt werden können. Staatliche Betriebe haben größere Möglichkeiten, Beschäftigte umzuschulen und neue Arbeitsperspektiven anzubieten. Darüber hinaus hätte die Ballung ökonomischer Macht großer Landbetriebe verhindert werden können. Allgemein hätte die Politik ein deutlich größeres Gewicht in der Mitsprache der Wirtschaft gehabt.
Trotzdem wäre es kein Allheilmittel gewesen. Die globale wirtschaftliche Krise in den 70er Jahren mit den beiden Ölkrisen und der tiefen Rezession haben neoliberale Thinktanks Aufschwung gegeben, ihren Kurs in Regierungsarbeit wie in Großbritannien umzusetzen. Die Folgen wurden beschrieben, die soziale Ungleichheit klaffte auseinander. Vielleicht wäre unter der Schröder-Regierung selbiges wieder kehrt gemacht worden.
[1] Die Informationen dieses Artikels stammen nahezu vollständig aus Christoph Nonn (2016): Geschichte Nordrhein-Westfalens.
[2] Ahlener Programm der CDU: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=76a77614-6803-0750-c7a7-5d3ff7c46206&groupId=252038
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