Gaza - Bild Motaz Azaiza

Die Menschen im Gazastreifen verhungern – Humanitäre Hilfe darf jetzt nicht eingestellt werden

Anfang des Jahres entschied der Internationale Gerichtshof, dass das Vorgehen Israels im Gazastreifen vermutlich den Tatbestand des Völkermords erfüllt. In seinem Urteil forderte das einflussreichste Rechtsorgan der Welt Israel daraufhin auf, das Töten von Zivilisten einzustellen und mehr humanitäre Hilfe zuzulassen. Doch Israel ließ sich nicht darauf ein.

Das israelische Töten geht weiter, über 30 000 Palästinenser und Palästinenserinnen im Gazastreifen sind inzwischen tot – Zehntausende weitere laufen Gefahr, an Hunger und dem Ausbruch von Krankheiten zu sterben. Es kommt kaum noch Hilfe an. Schlimmer noch: Die USA haben sich Israels Bemühungen angeschlossen, die wichtigste Hilfsorganisation für den Gazastreifen handlungsunfähig zu machen.

Nur wenige Stunden nach der Bekanntgabe des Gerichtsbeschlusses erhob Israel den Vorwurf, dass 12 Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für den Gazastreifen (UNRWA) – die wichtigste und primär zuständige Einrichtung für die humanitäre Unterstützung von Palästina-Flüchtlingen – Hamas-Mitglieder seien und mit den Anschlägen vom 7. Oktober in Verbindung stünden.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert erbringt das UNRWA im Gazastreifen alle Versorgungsleistungen und -dienste, die üblicherweise von einer Regierung erbracht werden müssten. Fundamentale Anteile – bis hin zu den meisten Ärzten, Krankenschwestern, Lehrern, Ingenieuren sowie Straßenkehrern im Gazastreifen sind UNRWA-Mitarbeiter. Ohne das UNRWA können auch alle anderen UN-Organisationen sowie andere gemeinnützige Organisationen ihre lebensnotwendige Funktion und Arbeit in der Region nicht ausüben.

Die UNRWA beschäftigt tausende von Menschen in Gaza. Die Behauptung Israels über 12 der Mitarbeiter ist zweifelhaft – die Regierung des Landes hat keinerlei Beweise dafür vorgelegt. Vielmehr wurden die Namen aller UNRWA-Beschäftigten Israel Anfang des Jahres zur Begutachtung vorgelegt und seitens des Staates keine Bedenken geäußert. Das Hilfswerk UNRWA kündigte umgehend an, die genannten (abzüglich der zwei getöteten) Mitarbeiter zu entlassen. Die Vereinten Nationen leiteten zwei separate Untersuchungen ein.

Anstatt die Ergebnisse dieser Untersuchungen abzuwarten, kürzte die Regierung Bidens sofort die gesamte Hilfe für das Hilfswerk, obwohl UNRWA zweifelhaft eine zentrale Rolle dabei spielt, die dringend benötigte Hilfe nach Gaza zu bringen. Viele der wichtigsten Verbündeten der USA schlossen sich diesem Beispiel an1, und der US-Senat stimmte dafür, dem UNRWA künftig ausdrücklich keine humanitäre Hilfe mehr zu gewähren. Einige Politiker in Washington schlugen vor, die UNRWA-Mittel an Organisationen wie UNICEF und das Welternährungsprogramm umzuleiten, aber UNICEF und WFP haben gemeinsam weniger als 70 Mitarbeiter im Gazastreifen – das UNRWA über 13.000. US-Beamte hatten zuvor selbst zugegeben, dass das UNRWA „die einzige Möglichkeit“ sei, um nennenswerte Hilfe nach Gaza zu bringen.

Die Auswirkungen dieser Kürzungen auf das bereits gefährdete Leben von 2,3 Millionen Vertriebenen aus dem Gazastreifen – sowie von Millionen weiterer palästinensischer Geflüchteter im Westjordanland, in Jordanien, im Libanon und in Syrien – können nicht genug betont werden. Die Streichung der Mittel für die Agentur untergräbt den Zugang der Palästinenser und Palästinenserinnen zu lebenswichtigen Ressourcen wie Wasser, Lebensmittel, Medikamente, Unterkünfte und Treibstoff und macht Washington neben der anhaltenden militärischen Unterstützung Israels durch die USA zum Komplizen eines Völkermords.

Tausende von Palästinensern und Palästinenserinnen- vor allem aber Babys, Kinder, schwangere Frauen und ältere Menschen – werden an den direkten Folgen dieser Kürzungen sterben. Und die Millionen von palästinensischen Geflüchteten in der Region werden die einzige internationale Organisation im UN-System verlieren, die den Auftrag hat, ihre Rechte zu schützen. Das schließt ihr Recht ein, eines Tages in ihre Heimat in den illegal besiedelten Gebieten zurückzukehren.

Das Schaffen von Bedingungen, die das Überleben aller oder eines Teils einer bestimmten Bevölkerung bedrohen, ist Teil der Definition des Völkermords nach internationalem Recht. Um Kinder zu ernähren, Verwundete zu behandeln und unschuldige Leben zu retten – und sich nicht mitschuldig an einem Völkermord zu machen – müssen die USA sowie alle anderen beteiligten Staaten die Finanzierung des UNRWA wiederherstellen und ihren Einfluss geltend machen, um einen sofortigen Waffenstillstand in dem Konflikt zu erzwingen.

Von Phyllis Bennis, 29.02.2024, zuerst veröffentlicht bei ZNetwork


  1. Neben den USA haben auch Österreich, Estland, Finnland, Deutschland, Italien, Lettland, Litauen, die Niederlande, Rumänien, Island, das Vereinigte Königreich, Japan und Australien die Finanzierung des Palästinenserhilfswerks der UN ausgesetzt. Das entspricht einer Streichung von über 60%. Länder, wie Irland, Spanien und Norwegen, haben angekündigt die Finanzierung fortzusetzen, teils sogar zu erhöhen; Which countries are still funding UNRWA amid Israel’s war on Gaza? | Israel War on Gaza News | Al Jazeera; Israel/OPT: States must reverse cruel decision to withdraw UNRWA funding – Amnesty International; Which countries have cut funding to UNRWA, and why? | News | Al Jazeera ↩︎

Dir gefällt der Artikel? Dann unterstütze doch unsere Arbeit, indem Du unseren unabhängigen Journalismus mit einer kleinen Spende per Überweisung oder Paypal stärkst. Oder indem Du Freunden, Familie, Feinden von diesem Artikel erzählst und der Freiheitsliebe auf Facebook oder Twitter folgst.

Unterstütze die Freiheitsliebe

Zahlungsmethode auswählen
Persönliche Informationen

Spendensumme: 3,00€

Teilen:

Facebook
Twitter
Pinterest
LinkedIn
Freiheitsliebe Newsletter

Artikel und News direkt ins Postfach

Kein Spam, aktuell und informativ. Hinterlasse uns deine E-Mail, um regelmäßig Post von Freiheitsliebe zu erhalten.

Neuste Artikel

Abstimmung

Sollte Deutschland die Waffenlieferungen an Israel stoppen?

Ergebnis

Wird geladen ... Wird geladen ...

Dossiers

Weiterelesen

Ähnliche Artikel

Legitimitätsverlust an zwei Fronten

Nicht erst seit dem Rachefeldzug in Folge des 7. Oktober verliert Israel zunehmend an Legitimität. Palästinensischer Widerstand, gepaart mit jüdischem Legitimitätsentzug, werden für den israelischen