Die Wahlen zum Europäischen Parlament am 26. Mai sind von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der Europäischen Union. Zwar sind die Rechte des Europaparlaments begrenzt, doch die politischen Kräfteverhältnisse, die sich darin abbilden, prägen die europäische Politik und damit auch den Charakter der Union.
Die EU befindet sich nach wie vor in einer tiefen Krise. Ökonomisch gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, wobei insbesondere der deutsche Handelsüberschuss für die anderen Länder ein Problem darstellt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, insbesondere bei der Jugend mit dramatischen Zahlen insbesondere in Spanien, Griechenland und Italien. Prekäre Arbeit breitet sich aus, gerade auch in Deutschland. Die soziale Ungleichheit steigt europaweit an. Ursache dafür ist die in Europa dominierende neoliberale Politik – mit der Konsequenz, dass trotz einer grundsätzlichen Bejahung Europas die Unzufriedenheit mit der europäischen Politik zunimmt. Dies hat auch zu erheblichen politischen Veränderungen geführt. Deren signifikantesten Elemente sind der Ausstieg der Rechten und der extrem Rechten sowie die tiefe Krise der Sozialdemokratie. So liefern sich etwa in Frankreich, wo das traditionelle Parteiensystem nahezu zusammengebrochen ist, Macron und Le Pen mit ihrem rechtsextremen Rassemblement National (der umbenannten Front National) ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Auch im übrigen Europa ist die Rechte außerordentlich stark.
Die Linke als politische Alternative
In dieser Situation muss sich die Linke als eine politische Alternative sowohl zur neoliberalen Politik als auch zur nationalistischen und rassistischen Rechten profilieren. Dazu ist sie allerdings nicht gut gerüstet. Die Linke ist in Europa fragmentiert und findet nur unzureichend zu einer wirklichen Zusammenarbeit. Schlagendes Beispiel ist die Kandidatur von Yanis Varoufakis in Deutschland mit seiner Bewegung DiEM25 bzw. European Spring, womit er sich in Konkurrenz zur LINKEN befindet. Die Situation der Linken in Europa ist sehr unterschiedlich. Sie ist mit Ausnahme Italiens stark in den südeuropäischen Ländern – Spanien – trotz der Verluste bei den jüngsten Wahlen -, Griechenland und Portugal. Recht bedeutsam ist sie auch in den skandinavischen Ländern. Ausgesprochen schwach ist die Linke in Osteuropa. In Deutschland ist sie stabil und hat sich in der politischen Landschaft etabliert. In Belgien gewinnt die Partei der Arbeit (PTB) deutlich an Zustimmung.
In Frankreich gibt es mit France Insoumise eine neue linke Bewegung. Das Gesamtbild der Linken ist jedoch durch Fragmentierung gekennzeichnet. Die in der Partei der Europäischen Linken zusammengeschlossenen linken Parteien in Europa versuchen ihre Kräfte zu bündeln und sich zu koordinieren. Ausdruck davon ist die Benennung von Violeta Tomic von der slowenischen Linkspartei Levica und von Nico Cué, einem belgischen Gewerkschafter, als Spitzenkandidaten ebenso wie die Verabschiedung einer gemeinsamen politischen Plattform. Freilich sind wichtige linke Parteien wie Podemos in Spanien, die kommunistische Partei Portugals, die PTB, die niederländische sozialistische Partei oder die schwedische Linkspartei nicht Mitglied der EL.
Einheit der linken Kräfte?
Allerdings gibt es durchaus auch eine gewisse Kooperation, so etwa bei dem 2017 zum ersten Mal durchgeführten Europäischen Forum in Marseille, das letztes Jahr in erweiterter Besetzung in Bilbao durchgeführt wurde und im November dieses Jahres in Brüssel fortgesetzt werden soll. Es versteht sich als Plattform für einen breiten politischen Diskurs der Linken in Europa. Festzustellen ist dennoch, dass die Strategien der Linken unterschiedlich sind, was auch mit unterschiedlichen politischen Positionen zusammenhängt. Eine strittige Frage innerhalb der europäischen Linken ist, ob die EU auf der Basis der Verträge von Maastricht und Lissabon reformfähig ist oder nicht. Die Mehrheit – auch in der deutschen LINKEN – ist der Auffassung, dass das angestrebte demokratische, soziale, ökologische und friedliche Europa auf dieser Basis nicht erreicht werden kann, sondern es einer Neugründung Europas bedarf. Die Kritik ist allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt. Während die einen stärker auf Veränderung der Politik durch konkrete politische Alternativvorschläge setzen, rufen andere zum Ungehorsam gegenüber den Verträgen aus. Dies gilt für die von Jean-Luc Mélenchon und France Insoumise zusammen mit Podemos und dem portugiesischen Linksblock ins Leben gerufene Bewegung „Maintenant le Peuple“. Sie wird auch von den skandinavischen Linksparteien unterstützt. Damit gibt es mit der EL, „Maintenant le Peuple“ und DiEM25 drei unterschiedliche strategische Formationen der Linken, die nur sehr unzureichend zusammenarbeiten. Lange Zeit wurde und wird auch ein Plan B diskutiert, wonach des den einzelnen Ländern möglich sein soll, aus der Eurozone oder gar aus der EU auszuscheiden, wenn die angestrebte grundlegende demokratische Reform der EU nicht gelingt. Die Rolle des Euro ist sicherlich eine ökonomisch außerordentlich interessante Frage, doch m.E. nicht wirklich entscheidend, sondern müsste in den Gesamtkontext einer alternativen Politik gestellt werden.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Im Hinblick auf eine linke europäische Politik sind die Unterscheide nicht so groß, wie die unterschiedlichen Strategien und Schwerpunkte vermuten lassen. Alle linken Kräfte stimmen überein, dass die neoliberale Austeritätspolitik beendet werden muss und dass es umfangreicher öffentlicher Investitionen in gesellschaftlich wichtigen Bereichen und in Zusammenhang mit der notwendigen sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft bedarf. Dazu muss auch die EZB ihren Beitrag leisten. Notwendig ist die Eindämmung der prekären Arbeit zugunsten der Schaffung „Guter Arbeit“, wie dies auch von den Gewerkschaften gefordert wird. Es bedarf einer anderen Finanz- und Steuerpolitik. Insbesondere gilt es die sozialen Rechte zu stärken und damit die bestehende Säule sozialer Rechte in bindende soziale Rechte zu überführen. Die Linke eint vor allem auch der Widerstand gegen eine Militarisierung der EU.
Zwar sind erhebliche Unterschiede etwa im Hinblick auf Einschätzung der EU und der strategischen Vorgehensweise vorhanden, doch gibt es ausreichend gemeinsame politische Positionen für ein gemeinsames Agieren der Linken. Dies ist dringend notwendig angesichts des Anstiegs rechter und rechtsextremer Kräfte. Die Gefahr, dass es neben er GUE/NGL als linker Fraktion im Europäischen Parlament eine zweite linke Gruppierung gibt, die durchaus bestand, ist gebannt. Mit Ausnahme der griechischen kommunistischen Partei KKE, die ohnehin bereits abseitsstand, werden sich die linken Parteien in einer Fraktion zusammenfinden. Doch es wird für die europäische Linke und ihren politischen Einfluss entscheidend sein, dass sie sich als europäische Linke stärker profiliert. Dies ist angesichts ihrer Heterogenität und auch angesichts des geltenden konföderalen Prinzips in der Fraktion schwierig, jedoch unausweichlich. Notwendig ist auch, dass die bereits begonnene Zusammenarbeit mit anderen linken Kräften aus der sozialdemokratischen/sozialistischen und grünen Fraktion im Rahmen des „Pogressive Caucus“ fortgesetzt wird.
Ein Beitrag von Heinz Bierbaum, er ist Vorsitzender der internationalen Kommission der Linken.