Die Linke muss die Friedensbewegung ernstnehmen

DIE LINKE muss nach der Kundgebung „Aufstand für den Frieden„, die Friedensbewegung ernstnehmen und mitmachen. Nur so kann die erschreckende Militarisierung der Gesellschaft und die grassierende Kriegslogik aufgehalten werden.

Zehntausende standen am vergangenen Samstagnachmittag vor dem Brandenburger Tor und riefen „Frieden schaffen – ohne Waffen!“. Der Platz vor der Bühne war voll von blauen Friedensfahnen. Auch Plakate von DIE LINKE waren zu sehen. Es ist gut, dass sich so viele mobilisieren ließen. Es ist noch besser, dass viele Menschen verstehen, warum der Krieg enden muss, etwas, was viele in der Partei DIE LINKE anscheinend vergessen haben.

Krieg tötet Menschen, egal ob Russin, Russe, Ukrainer oder Ukrainerinnen. Wenn es eine Wahrheit im derzeitigen Konflikt in der Ukraine gibt, dann diese. Die Diskussion rund um das „Manifest für den Frieden“ wurde nicht vor dem Hintergrund dieser einfachen Tatsache geführt. DIE LINKE geht oft einem Kriegsnarrativ auf dem Leim, in dem es viel mehr um Waffenlieferungen, neue NATO-Bündnisse oder militärische Erfolge geht. Die Schrecken des Krieges oder Stimmen aus den Konfliktregionen gehen dabei unter. Strategien wie Waffenruhen oder Verhandlungen geraten dabei ins gedankliche Hintertreffen.

Die Kriegsrealität kann sich jeder anschauen. Es gibt unzählige Aufnahmen in denen Artelleriefeuer Panzer trifft oder russische Raketen in Wohnhäusern einschlagen. Und dann gibt es Aufnahmen, wie dieses verstörende Zeugnis: Ein Soldat erschießt aus etwa 10 Meter Entfernung einen russischen Angreifer. Aus Propagandagründen ist die Aufnahme mit Techno-Musik unterlegt. Kurz nachdem der russische Angreifer niedergestreckt wurde, wird er im Dreck liegend dann mit einer Salve getötet. Es ist gar nicht klar, wer hier Angreifer und Verteidiger ist. Sicher ist: Hier tötet ein Mensch einen anderen. Vor etwas mehr als einem Jahr sind diese beiden Menschen noch gewöhnlichen Tätigkeiten nachgegangen, jetzt ist einer tot und viele weitere werden folgen. Und das haben die vielen Videos vom Krieg in der Ukraine gemein: Ob Propaganda oder nicht – sie dokumentieren das gegenseitige Morden von Menschen einer Klasse. Es sind ganz gewöhnliche Menschen, die hier kämpfen und sterben.

Diese Realität findet im öffentlichen Diskurs kaum beachtung. Das zeigt die Debatte rund um die Kundgebung am Wochenende und dem Aufruf „Manifest für den Frieden“. Die Delegetimierung einer Friedensperspektive wird dabei von rüstungs- bis geopolitischen Interessen angetrieben.
Aus Regierungskreisen, insbesondere von den Grünen, heißt es, wer jetzt einen Waffenstillstand mit Putin fordere, der akzeptiere einen Diktatfrieden von Russland. Dabei ereifern sich viele Grüne, Sozialdemokratinnen, Sozialdemokraten und Konservative über die Forderung, Waffenlieferungen zu stoppen. Denn damit würde die Ukraine im Stich gelassen werden und Russlands Position sei gestärkt. Hier wird unterstellt, dass auf jegliche Forderung des Aggressors Russlands sofort eingegangen werden würde, als seien Verhandlungen eine automatische Kapitulation der Ukraine.
Mit einer ähnlichen Vereinfachung wird für Waffenlieferungen plädiert. Hier wird suggeriert nur Waffenlieferungen könnten den Krieg beenden. Mehr Kampfpanzer werden gleichgestellt mit einem schnelleren Sieg der Ukraine. Dass aber auch Russland weiter eskalieren kann, wird unterschlagen. Mit den Waffenlieferungen folgt ein lang anhaltender Abnutzungskrieg mit vielen weiteren Toten, zerstörten Familien und einer weiteren Zerschlagung der zivilen Infrastruktur der Ukraine. Das wird im Getöse der öffentlichen Debatte um die „Wunderwaffen“ wie den Leopard zurückgehalten.

Delegetimierung

Diese Delegitimierung wischt jede Verhandlungsoption vom Tisch. Sie nimmt dabei eine Gestalt an, die vor knapp einem Jahr nicht vorstellbar war. So bezeichnete Cem Özdemir Teilnehmende der Kundgebung als „Friedensschwurbler„. Menschen, die für Frieden argumentieren, werden somit einfach ins Lächerliche gezogen.

Bei den Grünen ist der Schwenk zum Militarismus und der Befürwortung eines Kriegs besonders stark. Anton Hofreiter lobbyierte schon im Frühjahr 2022 für Panzerlieferungen an die Ukraine. Ende letzten Jahres folgte Außenministerin Baerbock, die zu diesem Zeitpunkt noch zurückrudern musste. Bundeswehrverband und Heerinspekteur Mais äußern sich bereits jetzt, dass das Sondervermögen von 100 Milliarden EUR wahrscheinlich nicht ausreichen wird. Einer weiteren Aufstockung des Militäretats werden die Grünen nicht im Wege stehen (Wer das nicht glaubt, der die lese bitte die Tweets von Sara Nanni, Sicherheitspolitische Sprecherin B90/Grüne Bundestag Die Grünen).

Der Militarismus beschränkt sich nicht auf die Grünen, er ist nur hier besonders deutlich. Er wird von allen Regierungsparteien gleichermaßen betrieben. Die Kriegslogik dringt dabei immer tiefer in die Gesellschaft. Sie geht soweit, dass Jugendliche heute wahrscheinlich die Typenbezeichnung von Schützenpanzern, Artillerie und Kampfpanzern aufzählen können und denken, dass diese Waffen – und nicht die Diplomatie – die wahren Friedensbringer sind.

Keine Sache der Rechten

Eine andere Form der Delegitimierung besagt, die Forderung nach Waffenstillstand und Verhandlung sei eine Sache der Rechten. Das hat vor allem nach der Veröffentlichung des Manifests innerhalb der Linken für weitere Konflikte gesorgt. Dem Aufruf wurde vorgeworfen, er sei „rechtsoffen“. Dabei grenzte sich Wagenknecht schon früh im Spiegel von einer Vereinnahmung durch die AfD ab. Völlig verschwiegen wurden die vielen linken Erstunterzeichnerinnen und Erstunerzeichner wie Hajo Funke, Christoph Butterwegge, Gerhard Trabert, etc. Auf der Demo selbst stellte Wagenknecht in ihrer Rede klar: „Selbstverständlich haben Neonazis und Reichsbürger […] nichts zu suchen.“ Der Versuch von Jürgen Elsässer, bei der Kundgebung mit einem Transparent aufzutauchen, wurde von Teilnehmenden der Kundgebung unterbunden. Das hatte auch damit zu tun, dass entgegen des fehlenden Aufrufs des Parteivorstands der LINKEN viele Mitglieder der Partei vor Ort waren. Das Interesse der Rechten die Bewegung zu vereinnahmen und ein linke Bewegung zu schwächen ist groß. Es wäre falsch die Bewegung nicht von links aus zu stärken. Hierzu schrieb Ulrike Eifler treffend: „Wenn DIE LINKE sich der Mobilisierung für die wohl wichtigste friedenspolitische Initiative seit 20 Jahren verweigert, begeht sie gleich zwei Fehler: Sie trägt zum einen dazu bei, dass ein starkes Friedenssignal möglicherweise ausbleibt und außenpolitisch mindestens ein „Weiter so“ zur Folge hätte. Gleichzeitig aber bleibt sie in der Auseinandersetzung mit der AfD um die Deutungshoheit in der Friedensfrage passiv.“

Vorteile werden nicht wahrgenommen

Sahra Wagenknecht hat sich nicht von gestern auf heute verändert: Sie vertritt weiterhin linksnationale Ansichten. Das findet zurecht keine Mehrheit in ihrer Partei. Auch ist ihr Aufruf nicht perfekt. So fehlt die Kritik am Sondervermögen für die Bundeswehr bzw. die Gefahr eines Kahlschlags der Sozialpolitik zugunsten des Militäretats. Auch die Frage imperialer Interessen im Konflikt wird nicht angerührt. Dennoch hat sie es geschafft (wie so oft), eine viel diskutierte Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Innerhalb kürzester Zeit schuf sie mit dem Aufruf ein breites Bündnis. Hunderttausende Menschen unterschrieben den Aufruf, zehntausende kamen nach Berlin. Diese Leistung muss anerkannt werden. DIE LINKE ist momentan nicht fähig, Ähnliches umzusetzen. Das müssen auch ihre ärgsten Widersacherinnen und Widersacher zugeben.

Da macht es geradezu stutzig, dass der Parteivorstand zumindest die taktischen Vorteile des Aufrufs und der Kundgebung nicht wahrnimmt. Es ist schwer zu vermitteln, warum viele Landesverbände medial auf Abstand gingen, während gleichzeitig viele Mitglieder der Partei die Kundgebung prägten.

Die Zeit der Eitelkeiten ist vorbei: Die Partei befindet sich seit der letzten Bundestagswahl im Krisenmodus. Den Luxus, große Bewegungen zu missachten und nicht zu beeinflussen, hat sie nicht mehr. Für DIE LINKE wird es jetzt Zeit, diese Bewegung endlich anzuerkennen.

Das Einzige, was sie der Kriegslogik entgegenhalten kann, ist die Organisierung einer neuen Friedensbewegung. In der die gewöhnlichen Menschen im Krieg ein Gehör bekommen. Eine Bewegung, die sich nicht geopolitische Interessen aneignet, die in Waffen keine Friedensbringer sieht und dem alltäglichen Töten ein Ende bereiten will.

DIE LINKE hat nach der Kundgebung alle Argumente auf ihrer Seite: Die bürgerliche Erzählung einer Querfront hat sich nicht erwiesen. Jetzt muss die Bewegung in ihren guten Positionen gestärkt werden. AfD und andere Rechte müssen herausgedrängt werden, und das Verhältnis zu großen Bewegungen wie der Klimabewegung geklärt werden. Viele junge Menschen stehen der derzeitigen Friedensbewegung sehr skeptisch gegenüber. Wie lassen sie sich dazu gewinnen? Auf diese Fragen kann DIE LINKE Antworten geben, wenn sie ernsthaft mitmacht.

Ein Beitrag von Martin Wähler, Gewerkschaftssekretär und Mitglied der Linken

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