Die Bundeskanzlerin hat Barack Obama zu einem letzten Besuch als Präsident der USA in Berlin empfangen. Am Ende steht eine gemeinsame Bekundung mit anderen Staats- und Regierungschefs großer EU-Staaten, die anti-russischen „Sanktionen“ verlängern zu wollen und auf dem TTIP-Abkommen doch zu bestehen.
Das ist offene Konfrontation gegenüber dem neuen, gewählten Präsidenten Donald Trump. Und alle Beteiligten wissen, dass derlei Abreden den 20. Januar 2017, den Amtsantritt des Neuen, nicht überdauern werden, wenn dieser sie nicht will. Es ist dem scheidenden Präsidenten nicht gegeben, den Nachfolger auf bestimmte Positionen politisch festzunageln. Deshalb versucht er das normalerweise nicht. Dass Obama es entgegen aller Tradition doch probiert, zeigt ebenso, wie sein Wahlkampfauftreten für Hillary Clinton, dass er diese doch sehr als seine Nachfolgerin sehen wollte. Was umgekehrt wieder Trumps Anwurf bestätigt, es sei recht eigentlich um eine dritte Amtszeit Obamas gegangen.
Das alles ist Pfeifen im Walde. TTIP in der von Obama, Merkel & Co. erstrebten Richtung dürfte erledigt sein, weshalb die EU-Kommission die Entwürfe schon mal in den Gefrierschrank gelegt hat. NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat als erstes betont, die Beistandsklausel des von ihm verwalteten Bündnisses sei „bedingungslos“. Alle Fachleute wussten aber schon früher, dass unter Umständen bereits eine papierne Protestnote reicht, um dem Genüge zu tun. Die DDR hatte mit der Sowjetunion einen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, der „ewigen“ Bestand proklamierte. Als das der Gorbatschow-Führung Ende der 1980er Jahre nicht mehr in den Kram passte, scherte sie sich darum nicht. Ein Imperium ist nicht wirklich berechenbar, wenn es sich ausdehnt, aber auch nicht, wenn es sich wieder zurückzieht. Dass das im Falle der Sowjetunion zu ihrem Ende führte, war dem politischen Dilettantismus ihrer Führung und dem Alkoholkonsum einiger Hauptakteure geschuldet. Bei den USA ist das nicht zu erwarten.
Aber Trump und seine Berater haben deutlich gemacht, dass sie nicht die Absicht haben, US-Truppen in einem Konflikt gegen Russland einzusetzen, den estnische oder polnische Nationalisten angezettelt haben. Das gilt auch für die Regierenden in Kiew, die von der Obama-Administration gezielt angestachelt wurden, nun aber nicht wissen, ob sie auch künftig auf Washingtons Spesenliste stehen. Insofern ist die Beunruhigung einiger europäischer Regierungen in Sachen NATO durchaus vergleichbar der Lage der damaligen osteuropäischen kommunistischen Führungen, die seit 1987 wussten, dass sowjetische Truppen für ihre Machterhaltung nicht mehr zur Verfügung stehen. Nachdem der Westen die Ukraine-Krise ausgelöst hatte, war nicht klar, ob das Hinüberziehen der Ukraine aus dem Einflussgebiet Russlands in den Orbit von EU und NATO eine US-Politik (von Obama und Clinton) ist, die von der EU bezahlt werden soll, oder eine deutsche beziehungsweise „europäische“, für die die USA das militärische Drohpotential im Hintergrund zur Verfügung stellen. Sollte sich jedoch jemand in Berlin darauf kapriziert haben, neue deutsche Weltpolitik gestützt auf US-amerikanisches Militär machen zu wollen, dürfte sich dies nun vollends als Schimäre erweisen.
Das „America First“ der Trump-Kampagne ist ernst gemeint und hat sich im konservativen Amerika seit langem vorbereitet. Das bedeutet eine Schwerpunktsetzung auf Innenpolitik und Wirtschaft; „Make America Work Again“ war eine der Tageslosungen auf Trumps Parteitag. Das hat unter Umständen einen Wirtschaftskrieg gegen China zur Folge (vielleicht auch Restriktionen gegen das deutsche Exportmodell), nicht aber einen Schießkrieg gegen Russland, wie ihn Hillary Clinton zumindest über Syrien für den Fall ihrer Präsidentschaft bereits angekündigt hatte. Trumps Wahl war alles in allem die „Rache der Arbeiterklasse“ an der politischen Elite und den neoliberalen Spekulanten für ihre Verarmung und Enteignung im Namen der Globalisierung, die unter der Präsidentschaft von Bill Clinton mit salbungsvollen Worten eingeleitet worden war. Da können die liberalen Mittelstandskinder aus den Küstenstaaten der USA, deren Familien oft zu den Gewinnern dieser Entwicklung gehören, schimpfen und demonstrieren, soviel sie wollen.
Die deutschen Reaktionen auf die Wahl waren, gelinde gesagt, eigenartig. Grünen-Chef Cem Özdemir verstieg sich zu der Erklärung: „Jetzt sind die, die uns die westlichen Werte gebracht haben, vom Glauben abgefallen.“ Die deutsche politische Klasse ist inzwischen also so weit, nicht nur Russland, Polen, Österreich, Großbritannien (nach dem Brexit) und andere europäische Länder über „wahre Demokratie“ belehren zu wollen, sondern auch die USA. Angela Merkel gratulierte dem neuen Präsidenten, verband dies aber ganz in diesem Sinne mit der Aufzählung von „Werten“, die Grundlage der Beziehungen seien. Das mag man in Berlin so sehen, wird aber das Grundprinzip, dass große Mächte Interessen, aber keine Freunde haben, nicht außer Kraft setzen. Aufmerksame Beobachter in Washington, die nicht unbedingt zu Trumps Lager gehören, haben diesen „Glückwunsch“ denn auch als Drohung verstanden. Womit aber will denn dieses Deutschland den USA drohen?
Diese Bekundung war übrigens nahezu wortgleich mit der Erklärung von Hillary Clinton aus Anlass ihrer Niederlage. Zufall? Oder ebenfalls Ausdruck dessen, wie sehr man sich in der deutschen Hauptstadt auf einen Sieg Clintons „verlassen“ hatte. Die Tagesschau meinte: „Deutschland ist irritiert“, Berlin „total geschockt“. Militärministerin von der Leyen erklärte sich „besorgt“. Norbert Röttgen von der CDU, derzeit Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, nannte die Wahl von Donald Trump ein „Warnzeichen für Europa“. Und fügte hinzu, „wir wissen zu wenig“. Das „Wir“ meinte die professionellen Außenpolitiker der Regierung und ihres Umfeldes sowie die entsprechenden Medienakteure. In der Tat wurde allenthalben bestätigt, dass diese Leute sehr viele Kontakte und Verbindungen zum Clinton-Lager hatten, aber keine zu Trump. Wie kann das sein, wo doch die Beziehungen zu den USA für dieses Deutschland von so essentieller Bedeutung sind? Selbst in der kleinen DDR war es üblich, dass bei Wahlen in den USA, bei denen es knapp zuging – etwa 1976, als Jimmy Carter gegen Gerald Ford siegte, oder 1980, als Ronald Reagan gegen Carter gewann –, man sich auf beide Möglichkeiten einstellte. Im Institut für Internationale Beziehungen in Potsdam-Babelsberg wurden immer zwei Studien erarbeitet, in denen jeweils stand, was passiert, wenn der eine gewinnt oder der andere, warum das geschah und welche Folgen für die internationale Politik zu erwarten wären. Die Studien wurden in je Kuverts gesteckt, versiegelt und beim Institutsdirektor deponiert. Nach der Wahl wurde das eine Kuvert im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten in Berlin abgegeben, das andere vernichtet.
Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland hatte jetzt offensichtlich nur ein Kuvert. Noch schlimmer, Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte Donald Trump während des Wahlkampfes einen „Hassprediger“ genannt. Das kann er als hemdsärmeliger Provinzpolitiker aus Niedersachsen oder Brandenburg tun, aber nicht als Chefdiplomat eines großen Staates. Und noch eins drauf – Steinmeier hat Trump nach der Wahl auch nicht beglückwünscht, sondern verkündet: „Das Ergebnis ist anders, als die meisten in Deutschland sich das gewünscht haben.“ Das mag sein. Das in seiner Funktion laut zu sagen, ist unprofessionell und undiplomatisch.
In diesen Tagen zeigt sich, Deutschland wird in schwierigen Zeiten außenpolitisch schlecht geführt. Da ist es vielleicht ganz gut, wenn Steinmeier jetzt Bundespräsident wird. Nicht weil er so gut ist, wie seine Parteigänger zu betonen nicht müde werden. Da ist es nicht mehr so wichtig, was er sagt oder tut.
Ein Gastbeitrag von Erhard Crome.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus der heute erschienenen neuesten Ausgabe von „Das Blättchen – Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft“. Die komplette Ausgabe kann auf der Website www.das-blaettchen.de kostenfrei eingesehen werden.
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