Der Westen unterstützt massiv die erbarmungslose Bombardierung des Jemens durch eine von Saudi-Arabien geführte Koalition, die auf unterschiedlichen Ebenen engste Verbindungen zur Al-Qaida im Jemen hat. Enge Verbündete des Exil-Präsidenten Hadi sind hochrangige Al-Qaida-Funktionäre.
#5 eines mehrteiligen Jemen-Specials auf Die Freiheitsliebe.
Nachdem im April 2014 der ISIS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi in der Großen Moschee in Mossul sein Kalifat ausrief, stand die Weltöffentlichkeit für die kommenden Jahre wie im Bann der kopfabschlagenden Mörderbande in Syrien und Irak. Im Schatten der medialen Dschihad-Superstars wurde nur ein Jahr später am Südzipfel der Arabischen Halbinsel nahezu unbemerkt von der globalen Presse ein weiteres Kalifat ausgerufen: das „Al-Qaida Emirat Jemen“ mit einer Fläche der Größe Syriens.
Der Aufstieg der Al-Qaida im Jemen
In der post-9/11-Welt erlangte der Jemen eine zweifelhafte Reputation als sicherer Rückzugsort für Al-Qaida-Kämpfer, nachdem der Druck auf die Dschihadisten in Afghanistan und Pakistan weiter anstieg. Im Chaos der jemenitischen Revolution von 2011 erstarkte der Jemen-Ableger von Al-Qaida, der sich seit der Fusion mit dem saudi-arabischen Zweig 2009 Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel nennt (AQAP) und vom Pentagon als mit Abstand gefährlichste Filiale der globalen Al-Qaida-Franchise angesehen wird.
Zu den prominentesten Anschlägen der AQAP zählen das Selbstmordattentat auf die USS Cole 2000, bei dem 17 US-Seemänner getötet wurden, der „Unterhosenbomber“ Weihnachten 2009 und die Charlie Hebdo-Anschläge in Paris 2015.
Als dann im März 2015 das erbarmungslose Bombardement des Jemens durch die vom Westen unterstützte Saudi-Koalition begann, brachte dieser absurde Krieg neben der unvorstellbaren humanitären Katastrophe nur einen echten Profiteur hervor: die Dschihadisten der Al-Qaida, die in den folgenden Monaten so mächtig wurden wie zu keinem anderen Zeitpunkt ihrer 20-jährigen Jemen-Historie.
Hochgerüstet wurde die AQAP einerseits durch Waffenlieferungen der Saudis, die eine Vielzahl von Anti-Houthi-Kräften belieferten. Andererseits plünderten die Dschihadisten im Süden des Landes schwerstes Kriegsgerät aus Militärbasen, deren Soldaten im großen Stil zum Kampf gegen die Houthis in den Norden verschoben wurden.
Im Schatten der saudischen Bomben konnte die AQAP erfolgreich in dieses Machtvakuum hineinstoßen, übernahm eine Stadt nach der anderen und brachte so große Teile der bevölkerungsarmen – und dafür umso ölreicheren – Wüstenregion im Zentrum des Landes sowie 600 Kilometer der Küstenregion am Golf von Aden unter ihre Kontrolle.
Darunter auch die 500.000 Einwohner zählende Hafenstadt Mukalla – der Hauptstadt des im April 2016 ausgerufenen „Al-Qaida Emirat Jemen“, welches länger als ein Jahr Bestand haben sollte.
Robin Hood meets Al-Qaida
Es ist gewiss kein Zufall, dass AQAP nicht etwa in den dicht bevölkerten Regionen von Aden bis Sana’a im Westen des Landes Fuß fasste, sondern in den dünnbesiedelten riesigen Wüstengebieten im Zentrum. Wie schon der Norden des Landes – die Keimzelle der Houthi-Rebellion – wurden auch diese entfernten Gebiete von der Zentralregierung des Diktators Saleh weitestgehend im Stich gelassen und der Geldhahn abgedreht.
Der höchstgradig korrupte Saleh füllte sich mit den Steuergeldern seines Landes – sowie mit einem Großteil des Cashs, welches die US-Regierung ihm zur „Anti-Terrorbekämpfung“ über die Jahre überwies – seine Privatschatulle, in der er bis zu seinem Tod 2017 bis zu 60 Milliarden US-Dollar zusammengeraubt hatte, anstatt etwa in die Entwicklung der marginalisierten Regionen zu investieren. Und so füllte die AQAP zu einem gewissen Grad dieses finanzielle, humanitäre und soziale Vakuum in diesen Regionen.
AQAP erkaufte sich die Gunst der lokalen Bevölkerung durch Großzügigkeiten der täglich 2-5 Millionen Dollar Einnahmen – und der 120 Millionen, die sie aus der Zentralbank in Mukalla gestohlen hatte: Die „Robin-Hood-Taktik“.
„Seit je her bezahlten die Armen Almosen an die Reichen, und die Reichen bezahlten gar nichts“, poltert ein vielgeklicktes YouTube-Video von Al-Qaida der Bevölkerung des ehemals sozialistischen Südjemen entgegen: „Und die Tyrannen und Unterdrücker schnappen sich dieses Geld.“ (Als wäre Populismus eine Domäne des Abendlandes…)
Der Umstand, dass die AQAP teils fest in den gesellschaftlichen Strukturen im Südjemen verankert ist, gründet sich nicht auf Ideologie, sondern auf Pragmatismus.
Al-Qaida von der Müllabfuhr
Benedetta Berti von der Tel Aviv University erforscht die gesellschaftliche Verankerung von Terrorgruppen im Nahen Osten am Beispiel der Hamas, der Hisbollah und des IS und erklärt, dass diese Gruppen – bei all ihren fundamentalen Unterschieden – „die Grenze zwischen einem staatlichen und einem nicht-staatlichen Akteur verwischen“, da sie einerseits klassische Terroranschläge begehen, jedoch andererseits als quasi-staatliche Armeen fungieren und darüber hinaus „komplexe politische Gebilde und hochentwickelte soziale Organisationen darstellen, die in der Verwaltung und Bereitstellung sozialer Dienste vor Ort eingebunden sind.“
Differenzierte Analysen, die die soziale und gesellschaftliche Dimension derartiger Gruppierungen anerkennen, mögen mir als westlichem Beobachter schwer im Magen liegen – erscheinen sie doch wie Relativierungen von Terrorismus – nur ist es fatal, diese fernab der Gewalt liegenden Kategorien aus ideologischen Gründen auszublenden oder gar zu leugnen.
Während einige Al-Qaida-Ableger andernorts eher Terrorgruppen im klassischen Sinne sind, stellt auch der Jemen-Zweig die von Benedetta Berti beschriebene Hybridform dar.
Al-Qaida betrieb im Jemen einen „de-facto-Staat vor allem deshalb, weil sie bereit waren, den Müll von den Straßen zu fegen.“, spitzt Ben Watson in The Atlantic zu. Zu den sozialen Diensten der Dschihadisten gehörten und gehören unter anderem das Regeln der Wasserversorgung, Mediation bei Landstreitigkeiten, Organisation von Infrastrukturprogrammen, Verteilung von Nahrungsmitteln an bedürftige Familien sowie medizinische Güter an Krankenhäuser bis hin zur Planung von Community-Events und Straßenfesten, wie die International Crisis Group in einem ausführlichen Bericht dokumentiert.
Dort, wo die Zentralregierung versagt hat, stellte die Al-Qaida im gewissen Maß öffentliche Dienstleistungen bereit und etablierte soziale Sicherungssysteme – hierauf gründet sich deren gesellschaftlicher Rückhalt, nicht auf die Terrorliebe der Bevölkerung.
Es ist wichtig, diesen Pragmatismus von Menschen in Angst und Not zu verstehen und nicht jede Person, die in der Nähe einer Al-Qaida-Fahne gesichtet wird, als Freiwild zu begreifen. Der US-geführte Westen hat schon zu Genüge unter Beweis gestellt, welches Chaos er in Ländern anrichtet, deren Gesellschaften er nicht versteht.
Der Feind meines Feindes ist mein Freund – auch wenn er Al-Qaida heißt
Im gemeinsamen Kampf gegen die Houthi-Rebellen wurden Allianzen geschlossen, die nicht nur die „War on Terror“-Logik zum Einsturz bringen, sondern auch die Restglaubwürdigkeit des US-geführten Westens hierin: Die Houthis werden neben den Truppen des pro-westlichen Exilpräsidenten Hadi ebenso erbittert auch von den radikalen Dschihadisten im Jemen bekämpft. Hierdurch entstand die absurde Situation, dass die westlichen Alliierten der Saudi-Koalition Seite an Seite mit IS- und Al-Qaida-Terroristen gegen die Houthis kämpft, wie die Dokumentarfilmerin Safa Al Ahmad als eine der letzten Journalisten vor Ort eindrücklich dokumentiert hat.
„In vielen Fällen haben sich die Saudis im Kampf gegen die Houthis mit Al-Qaida verbündet, was unsere Anti-Terror-Operationen untergräbt.“, erkannte auch Ro Khanna, Abgeordneter aus Kalifornien für die Demokraten.
Auch unterstützt die Führung der pro-Hadi-Milizen, Al-Qaida-Kämpfer im Jemen direkt mit Geldern und Waffenlieferungen. Die Associated Press deckte auf, dass diese operativen Beziehungen von den höchsten Ebenen der Hadi-Regierung aus dirigiert werden.
In der berüchtigten Razzia von US Special Forces auf das Dorf Yakla nördlich von Aden im Januar 2017 – bei der neben einem US Navy SEAL Dutzende Zivilisten, mindestens 19 Frauen und Kinder darunter, ermordet wurden – wurde auch ein Stammesführer namens Abdel-Raouf al-Dhahab getötet, von dem die US-Regierung behauptet, er sei ein „hochrangiger Befehlshaber und Waffenexperte“ der Al-Qaida im Jemen, und dessen drei Brüder ebenfalls hochrangige AQAP-Mitglieder waren. Unmittelbar vor dem Massaker von Yakla traf sich eben dieser mutmaßliche Al-Qaida-Funktionär über mehrere Tage mit dem militärischen Stabschef von Exil-Präsident Hadi – dem Verbündeten der USA – um den gemeinsamen Kampf zwischen Hadis Truppen und der Al-Qaida gegen die Houthi-Rebellen zu koordinieren und erhielt von ihm 60.000 Dollar in Cash, die er an lokale Islamistenmilizen verteilte.
Selbst der AQAP-Führer höchstpersönlich erklärte, dass Al-Qaida im Jemen an der Seite der US-gestützten Koalition kämpfe.
Darüber hinaus finanzieren und unterstützen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – die engsten Verbündeten des Westens am Persischen Golf – „ultrakonservative islamistische Milizen“, die Seite an Seite mit Al-Qaida kämpfen.
Die Associated Press bezeichnet Al-Qaida daher vollkommen zutreffend als „de-facto-Alliierten” der Hadi-Regierung und der Saudi-Koalition – was Al-Qaida im Jemen damit zum „de-facto-Alliierten“ des Westens macht.
„Wir“ bringen Al-Qaida an die Macht
Die Exilregierung des gestürzten Präsidenten Hadi – der Verbündete des Westens – stellt weiterhin die international anerkannte Regierung des Jemen dar. Hadis enge Verbindungen zur Al-Qaida werden hingegen totgeschwiegen. So stehen mindestens vier enge Vertraute aus Hadis Regierungszirkel gar auf globalen Terrorlisten der US-Regierung:
Einer der drei, Salim al-Qaysi, wurde von Präsident Hadi zum Gouverneur der Provinz Al-Bayda ernannt und half in dieser Position der AQAP massiv bei der Expansion in dieser Region. Der zweite, Abdul Wahhab Humayqani, ist der Kopf der größten Salafisten-Partei im Jemen und war Hadis Delegierter bei den Friedensgesprächen in Genf 2015: Ein Verbündeter des Westens entsendet einen Al-Qaida-Mann zum Händeschütteln mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Der dritte, Al-Hasan Ali Abkar, ist der verantwortliche Al-Qaida-Kommandeur der Jawf- und Marib-Gouvernements.
Der vierte dieser AQAP-Verbündeten „unseres“ Alliierten Hadi, Abd-al-Majid al-Zindani, blickt auf eine lange Zusammenarbeit mit Terrorführer Osama bin Laden zurück und wird von US-Behörden gar als bin Ladens „spiritueller Führer“ gelistet. Zindani ist Gründer und Kopfe der Muslimbrüder im Jemen und war einer der globalen Rädelsführer im Skandal um die Mohammed-Karikaturen 2005.
Diesen vier Alliierten werden unzählige Verbrechen vorgeworfen: von Terrorfinanzierung und Rekrutierung über Waffenschmuggel bis hin zu Mordanschlägen auf Politiker und Planung schwerster Terroranschläge.
Die Saudi-Koalition kämpft in Komplizenschaft mit dem Westen also nicht nur am Boden Seite an Seite mit Al-Qaida-Truppen gegen den gemeinsamen Feind, den Houthi-Rebellen, sondern setzt sich auch für die politische Macht der Al-Qaida ein, indem hohe AQAP-Funktionäre in wichtigen Ämtern der jemenitischen Administration platziert werden.
US-amerikanische, britische, französische, australische, kanadische und deutsche Waffen kämpfen im Jemen für die Machtergreifung der Al-Qaida – so zynisch wie nur internationale Politik sie sein kann.
„Wir“ kämpfen im Jemen gleichzeitig für die Vernichtung und den Aufstieg Al-Qaidas. Das permanent kolportierte „War on Terror“-Narrativ bricht vollständig in sich zusammen.
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