Als sich vor über 40 Jahren in Mittelhessen Bürgerinitiativen gründeten, um den geplanten Bau einer weiteren Nord-Süd-Autobahn durch ihre Naturlandschaften zu verhindern, konnte sich wohl niemand der bis heute aktiven Menschen vor Ort ausmalen, dass das Projekt A49 im Jahr 2020 unter einer schwarz-grünen Landesregierung realisiert werden würde.
Über 40 Jahre Kampf gegen die Zerstörung des Dannenröder Waldes sollen nun unter einem grünen Verkehrsminister Tarek Al-Wazir und Asphalt beerdigt werden. Das Bauprojekt und die damit verbundene Auseinandersetzung um den Erhalt des Dannenröder Waldes haben das Potential, ein neuer Hambi zu werden. Erneut prallen Profitinteressen und Fake-News-Kampagnen auf Umwelt- und Naturschutz. Erneut stellen sich hunderte Aktivist*innen den Rodungsarbeiten mit zivilem Ungehorsam in den Weg. Dennoch ist der Erfolg des Protestes gegen den Weiterbau der A49 alles andere als sicher, auch weil die Grünen dieses Mal auf der anderen Seite der Straßenkante stehen.
Dennoch ist im Danni, wie der Dannenröder Forst von seinen Verteidigerinnen und Verteidigern liebevoll genannt wird, etwas Magisches passiert. Trotz aller Rückschläge haben sich die seit Jahrzehnten aktiven Bürgerinitiativen nicht unterkriegen lassen. Sie reichten Klagen ein und informierten die Anwohnerinnen und Anwohner über die Auswirkungen des geplanten Ausbaus der A49. Sie ließen sich nicht entmutigen, obwohl der Ausbau nach allen Regeln des Parlamentarismus beschlossene Sache zu sein schien und die Mehrheit der Mittelhessener*innen diese Autobahn wohl befürwortet. Ihr außerparlamentarischer Widerspruch sollte nicht unbeantwortet bleiben: Im Sommer 2020 besetzten die Aktivistinnen und Aktivisten von „Wald statt Asphalt“ Bäume im Danni und bauten dort seitdem großflächige Baumhausstrukturen auf. Der Solidarisierung von lokalen Bürgerinitiativen und Waldbesetzern und Waldbesetzerinnen ist es zu verdanken, dass die Auseinandersetzung um die A49 bundespolitisch relevant wurde und sich die Große Koalition im Bund genötigt sah, dazu im Bundestag eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Gemeinsamer Protest wirkt – wir können viel von diesen Protesten lernen, wenn es darum geht kulturelle Unterschiede zu akzeptieren, um für ein gemeinsames Ziel zu streiten!
Aber warum ist der Ausbau dieser Bundesautobahn im ländlichen Mittelhessen überhaupt so umstritten? Zunächst kann man feststellen, dass die Anwohnerinnen und Anwohner entlang der B3, welche Marburg und Kassel parallel zu den östlich gelegenen A5 und A7 verbindet, seit Jahrzehnten auf den Weiterbau der Autobahn warten, welcher ihnen seit den 1980ern versprochen worden ist. Seitdem existiert bereits ein an Kassel angeschlossener Teil der Autobahn. Die anderen Streckenabschnitte sind seitdem heiß umkämpft. Noch unter einer rot-grünen Landesregierung der 1990er wurde eine Umweltverträglichkeitsstudie erstellt, welche nahelegte, den Weiterbau der A49 aufzugeben und stattdessen Umgehungsstraßen für lärmgeplagte Anwohnerinnen und Anwohner anzustreben. Hessen nahm jedoch in den 2000er Jahren die Planungen für den Lückenschluss wieder auf. Im Juni 2020 hat nun das Bundesverwaltungsgericht die letzte Klage des BUND zurückgewiesen – der umkämpfte Teilabschnitt darf gebaut werden. Für die Umsetzung des Baus der Bundesautobahn ist das Land Hessen zuständig, also der grüne Verkehrsminister Al-Wazir, der sich immer als Gegner der A49 profilierte, genau wie seine Parteilkolleginnen und Parteikollegen in Mittelhessen, die sich jetzt im Stich gelassen fühlen. Ohne ein Wort des Widerspruchs oder Versuche, den Ausbau zu stoppen oder wenigstens ein Moratorium zu verhängen, winken die Grünen das Projekt in der Landesregierung durch. Dabei verraten sie nicht nur ihre Parteifreundinnen und Parteifreunde, sondern ihre Ideale. Der Danni ist nämlich nicht „nur“ ein Wald. Er ist ein über 250 Jahre alter Mischwald und EU-Flora-Fauna-Habitat-Gebiet und somit besonders schützenswert. Gleichzeitig soll der Autobahnabschnitt quer durch ein Gebiet mit Trinkwasser-Brunnen, das 500.000 Menschen versorgt, verlaufen. Um einen solchen Wald für eine Autobahn abzuholzen, braucht es „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ und Gemeinwohls. Diese hat der Planungsträger DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH) nachweislich erfunden. Allein deshalb müsste das gesamte Verfahren gestoppt und neu begutachtet werden.
Ein ganz besonderes Geschmäckle bekommt das Bauprojekt, wenn man die ökonomischen Interessen einiger Akteure begutachtet. Der Streckenabschnitt der A49 ist als ÖPP-Projekt geplant. Sogenannte öffentlich-private Partnerschaften nutzen vor allem privaten Investoren, die auf Kosten der Allgemeinheit kräftig Kasse machen. Aus dem Haushaltsentwurf des Bundes geht hervor, dass es beim ÖPP-Projekt A49 zu erheblichen Kostensteigerungen kommt. Eine Steigerung um satte 30 Prozent von 1,1 Milliarden auf 1,4 Milliarden, also 330 Millionen Euro, belegen, dass Privatisierungen öffentlicher Infrastruktur die Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Davor warnte sogar der Bundesrechnungshof.
Auch ob eine Autobahn wirklich zu einer Verkehrsberuhigung in der Region führen wird, kann getrost angezweifelt werden. Vielmehr würde die A49 zu einer neuen Transitstrecke auf der innereuropäischen Nord-Süd-Achse des Güterverkehrs. Die Verkehrsbelastung durch mehr Zubringerverkehr wird voraussichtlich eher zunehmen.
Die Planung der A49 ist ein Paradebeispiel dafür, wie die herrschende Politik die Menschen durch falsche Tatsachenbehauptungen an der Nase herumführt. Es ist schon interessant, dass ein großer Konzern, nämlich Ferrero in Stadtallendorf, es schafft, seine Interessen für eine naheliegende Autobahn, zumindest in der näheren Region zu verallgemeinern. Dabei hat Ferrero selbst einen Schienenanschluss und könnte somit mit neuen Gütertrassen auch durch die Schiene besser angebunden werden. Eine Strukturpolitik für den ländlichen Raum kann nicht länger auf Autobahnbau setzen. Es braucht in Zeiten des Klimawandels viel mehr Investitionen in den Ausbau des schienengebundenen Güterverkehrs auch und vor allem in den ländlichen Raum. Ein Planungsdinosaurier wie die A49 wird zwar von vielen Menschen gewollt – aber auch wenn sie wissen, dass die Politik sie belogen hat? Wenn sie erkennen, dass die A49 nicht gut für ihre Wohn- und Lebenssituation, sondern gut für den Profit von Ferrero und STRABAG ist, die den Zuschlag für den Bau der Autobahn bekommen hat?
Ein Baurecht ist keine Baupflicht. Noch können wir die Rodung des Danni und den Weiterbau der A49 verhindern, aber dafür müssen wir die Mehrheit der Menschen mitnehmen und für ihre Interessen kämpfen. Der ökologische Umbau muss immer sozial sein – statt Profitinteressen muss das Gemeinwohl im Mittelpunkt der Verkehrspolitik stehen.
Von Elisabeth Kula. Lise sitzt seit 2018 für Die Linke im Hessischen Landtag und ist Mitglied des Kulturpolitischen Ausschusses sowie Sprecherin der Fraktion Die Linke für Bildungs-, Jugend- und Schulpolitik.
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