Im Schatten der Coronakrise wird an vielen Orten versucht, Kürzungs- und Liberalisierungspolitik gegen die Interessen von Studierenden und Forschenden durchzusetzen. Wir haben in Freiburg, Marburg, Hannover, Heidelberg, Bamberg und Mainz nachgefragt, woran das liegt und wie der Protest organisiert wird. Auch an anderen Hochschulen gibt es Protest, wie Bremen, Leipzig oder Dresden. Sei aufmerksam – sicherlich gibt es auch an deinem Studienort Missstände, die es anzuprangern gilt.
Digitalkampagne in Freiburg
Fehlverhalten des Prüfungsamts wird angegangen
Das größte Prüfungsamt der Uni Freiburg ist berühmt, weil es permanent Studierende fertigmacht. Zur Begrüßung wird den Erstsemestern im Audimax angekündigt, dass ein großer Teil von ihnen zu dumm zum Studieren sei. So geht es dann in den Sprechstunden weiter, wo die Studierenden angeschrien, als dumm dargestellt oder aufgrund chronischer Erkrankung oder Depression diskriminiert werden. Der SDS Freiburg startete eine Kampagne dagegen und veröffentlichte ein Buch mit schockierenden Erfahrungsberichten. In einer Mail-Aktion schrieben Studierende persönliche Mails an Professor*innen – denn sie haben die Verantwortung über das Prüfungsamt. Das Buch erschütterte die Uni. Im Fakultätsrat stellten sich manche Profs auf die Seite des Prüfungsamts, andere unterstützten das studentische Anliegen. (Roberto Del Aurel)
Veni Vidi Widerstand in Bamberg
Protest gegen die Hochschulnovelle zeigt Wirkung!
Uni-Mitarbeiter*innen nicht mehr beim Freistaat, sondern bei der Hochschule vor Ort angestellt, Globalhaushalte mit variablen Finanzierungsanteilen, Professor*innen als parallele Unternehmensgründer*innen, „bessere Verwertbarkeit des Wissens“ – Was sich liest wie ein Horrorszenario aus den Anfängen des Neoliberalismus in den 1990ern, sollte im Sommer 2021 in Bayern Realität werden. Unter dem Stichwort „unternehmerische Hochschule“ wollte die Staatsregierung mit diesen und weiteren Angriffen die Hochschule, wie wir sie kennen, abschaffen. Das Ganze wurde durch Zufall im November 2020 bei Gewerkschaften, Studierendenvertretungen und hochschulpolitischen Gruppen bekannt. Die zentrale Kritik wurde nicht nur auf den Straßen Erlangens, Münchens, Bambergs und Bayreuths zusammen mit SDS-Genoss*innen und Gewerkschafter*innen von der GEW laut: Hier wird versucht, während einer Pandemie im Eiltempo ein scharfes Gesetz für wirtschaftsfreundliche Unis durchzudrücken. Doch auch bei Professor*innen und vor allem in den Geisteswissenschaften regte sich großer Widerstand. So wurde zum Beispiel die Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften gegründet. In Bamberg gab es zusammen mit der Gewerkschaft und anderen Statusgruppen ein Straßentheater als gebündelten Protest, in welchen die Studierenden AStArix und Obelix gegen Kaiser Markus Julius Söder in den Widerstand gehen, um die Kritik am Gesetz greifbar zu machen. Der Protest hatte Erfolg: CSU und Freie Wähler sind zerstritten und so kommt das Gesetz frühestens im Sommer 2022. Uns bleibt also mehr Zeit, für eine demokratische und kritische Uni zu kämpfen, die auch endlich einen vollwertigen Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) am Start hat, denn dieser wurde in Bayern in den 1970er Jahren abgeschafft. (Mac)
Forschung für Frieden statt für Krieg in Heidelberg
Wie Zivilklausel-Initiativen friedensorientierte Unis erkämpfen wollen
Während Kultur- und Bildungseinrichtungen schließen, laufen Rüstungsproduktionen in der Pandemie weiter. Gerade jetzt gilt es, die Absurdität von Kriegen aufzuzeigen. Auch Hochschulen sind in Kriege eingebunden: An vielen wird zu militärischen Zwecken geforscht, etwa in Heidelberg für Schiffsrümpfe im Auftrag des Pentagon. Seit Jahren treten deswegen Initiativen aus Studierenden, Promovierenden und Dozierenden für sogenannte „Zivilklauseln“ ein, die Studium, Forschung und Lehre ausschließlich auf friedliche Ziele und zivile Zwecke ausrichten wollen. Zusammenarbeit mit Rüstungskonzernen wäre damit ausgeschlossen. Ein häufiger Vorwurf in Bezug auf Zivilklauseln ist, dass sie der Forschungsfreiheit widersprächen. Die Initiator*innen der neuen Kampagne in Heidelberg entgegen dem: Nur eine Befreiung der Abhängigkeit von Drittmittelgebern aus dem militärischen Bereich kann für wirkliche Unabhängigkeit und Freiheit sorgen. Weiter darf sich Wissenschaft nicht von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung lossagen. Sie muss nach Möglichkeiten suchen, zunehmende Konflikte und globale Probleme wie den Klimawandel zu bekämpfen, statt sich an der Vernichtung von Lebensgrundlagen zu beteiligen. (Leo Späth)
TVStud in Mainz
Ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte
In diversen Universitätsstädten bilden sich derzeit Initiativen zur Organisierung studentischer Hilfskräfte (SHKs). Koordiniert wird die Aktion durch eine bundesweite Vernetzung. Ihr Ziel, ein Tarifvertrag (TVStud), ist dringend notwendig: Schlechte Entlohnung, Kettenbefristungen, Verwehrung essentieller Arbeitnehmer*innenschutzrechte, wie Urlaubsanspruch und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sowie Arbeitszeiten „auf Abruf“ stehen auf der Tagesordnung. Trotzdem sind nur wenige SHKs gewerkschaftlich organisiert. Dabei endet die prekäre Situation von Arbeitnehmer*innen nicht an der Tür zur Hochschule – auch SHKs brauchen dringend einen Tarifvertrag! Im Hinblick auf die anstehende Tarifrunde und die bevorstehende Bundestagswahl im September ist das Thema hochaktuell. Um den öffentlichen Druck zu erhöhen, wird auf bundesweite Mobilisierung und gemeinsames Vorgehen gesetzt. Schließt euch den bundes- und stadtweiten Strukturen an! SHKs aller Bundesländer, vereinigt euch! (Carlotta Stahl und Denis Jundt)
Initiative gegen die Kürzungen Marburg
Widerstand gegen den Mangel an Lehrenden
Am Fachbereich für Gesellschaftswissenschaften und Philosophie in Marburg sind alle vorgesehenen Stellen besetzt und die Studiengänge zu 100 Prozent ausgelastet. Eigentlich eine positive Entwicklung, sollte mensch meinen. Von der Unileitung wird das jedoch als Defizit gesehen, weil erst ab 130 Prozent Auslastung der Studiengänge die Ausgaben gedeckt werden. Vom Land kommen keine besseren Signale, trotz der anstehenden Kürzungen behaupten Vertreter*innen, dass die Unis nun grundfinanziert wären. Die Initiative gegen die Kürzungen hat sich gegründet, weil Studierende die Reduktion von Lehrkapazitäten und die strukturelle Unterfinanzierung in Bildung und Unis nicht mehr hinnehmen. Ihr Ziel ist es, durch verschiedene Aktionen auf die Schieflage aufmerksam zu machen und sich europaweit zu vernetzen, da Gesprächsversuche mit Unileitung und Politiker*innen erfolglos blieben. Zu den Aktionen gehören Vollversammlungen, Podiumsdiskussionen und Streiks. Wenn du dich auch aktiv gegen die Einsparmaßnahmen stellen willst, melde dich bei der Initiative. (Luise Becker)
Budgetkürzungen in Hannover
Mit Wissen Zukunft gestalten?
Seit 15 Jahren stagniert das Budget der Leibniz Universität Hannover und wurde zuletzt noch einmal gekürzt, während die Studierendenzahlen weiter ansteigen. „Wie soll das bezahlt werden?“ bleibt die Antwort auf Forderungen nach besseren Studienbedingungen und Klimaschutz. Das Land Niedersachsen setzt auf Forschungseinnahmen aus der Privatwirtschaft und treibt damit die Neoliberalisierung der Hochschule voran – auf Kosten von Studis, Beschäftigten und Klimaschutz. Ganz so „machtlos“ ist die Uni aber nicht: Wo gekürzt wird, entscheidet sie selbst. In diesem Fall: das gesamte Institut für Meteorologie und Klimatologie – und das mitten in Klimakrise und Pandemiegeschehen. Nach dem Motto „Klimaschutz? Nicht mit uns!“ setzt dieser Vorstoß den klimapolitischen Heucheleien der Unileitung die Krone auf – nicht ohne Antwort der Studierenden. Mit einer Kundgebung auf dem Unigelände konnte zumindest ein Gesprächsangebot bewirkt werden. Doch das Geschehene zeigt deutlich: Das Motto der LUH „Mit Wissen Zukunft gestalten“ bleibt eines der Studierenden, nicht der Universität. (Marte Henningsen)
Dieser Beitrag erschien in gedruckter Form in der Critica