# Titelbild: vvn-bda, Gegenprotest gegen den Tag der Ehre 2023

Budapest: Kein Tag der Ehre

Der diesjährige „Tag der Ehre“ am Wochenende um den 11. Februar in Budapest fand auch außerhalb antifaschistischer Kreise in der BRD erhöhte Aufmerksamkeit. Grund dafür war jedoch nicht der paramilitärische Aufmarsch europäischer Neonazis mit SS-Symbolen. Vielmehr sorgte ein im Netz verbreitetes Video, das zeigte, wie mehrere Personen eine Person in Tarnkleidung angriffen und zu Boden brachten, für Aufsehen.

Nach mehreren Festnahmen in Budapest folgte eine mediale Hetzjagd, ausgelöst durch die Bild-Zeitung, die die Namen der Festgenommenen veröffentlichte, denen vorgeworfen wurde, an insgesamt acht Angriffen auf Teilnehmende des „Tags der Ehre“ beteiligt gewesen zu sein. Seitdem ist viel passiert: Es gab länderübergreifend mehrere Festnahmen, Identitätsfeststellungen, Öffentlichkeitsfahndungen, Razzien in Berlin, Leipzig, Jena und zunächst vier Personen in Untersuchungshaft, von denen zwei immer noch in Ungarn einsitzen. Dort wird die Repression von einer Hetze gegen den Antifaschismus an sich begleitet. Die größte regierungsnahe Zeitung des Landes Magyar Nemzet bezeichnete Antifaschismus als Terrorismus, „der von extremen, lebensfeindlichen Ideologien angetrieben wird“. Und weiter hieß es, es sei „eine moralische Pflicht, sich dem Antifaschismus entgegenzustellen“. Diese Äußerungen sind bezeichnend für die Medienlandschaft, die fast ausschließlich von Orbán und seinem Umfeld kontrolliert wird.

Der „Tag der Ehre“ – ein faschistisches Vernetzungstreffen seit 1997

Um zu verstehen, warum der „Tag der Ehre“ ein legitimes Ziel in der Feindbestimmung aktiver Antifas ist, muss man sich mit der Geschichte dieses Nazi-Events vertraut machen. Der sogenannte „Tag der Ehre“ existiert seit 1997 und ist ein wichtiges Ereignis für die Neonazis von Blood & Honour, Hammerskins und deren Sympathisant*innenkreis.

Das Wochenende um den 11. Februar ist dem Gedenken an zwei Divisionen der Waffen-SS und einer SS-Gebirgsjägereinheit gewidmet, die sich im Dezember 1944 in Budapest vor der anrückenden Roten Armee verschanzten und einen kläglich gescheiterten Ausbruchsversuch aus dem Budapester Kessel unternahmen. In der Schlacht um Budapest starben auf Seiten der Wehrmacht und ihrer ungarischen Kollaborateure über 100.000 Soldaten. Das NS-Gedenken an den gescheiterten Ausbruch aus dem Budapester Kessel ist an diesem Wochenende nur eine Veranstaltung. Neben Rechtsrock-Konzerten stand am Wochenende auch ein 60 Kilometer langer Nachtmarsch auf dem Programm, der die damalige Fluchtroute der Nazis nachzeichnet.

Über 3.000 NS-Nostalgiker*innen nahmen in diesem Jahr an der „Wanderung“ teil, die bei Neonazis beliebt ist, weil sie dort trotz eines offiziellen Verbots von SS-Symbolik und Hakenkreuzen ihre NS-Insignien weitgehend ungestört zur Schau stellen können. Der ungarische Tourismusverband „Hazajáró Honismereti és Turista Egylet“ bewirbt und unterstützt die Wanderung „Kitörès“ unter dem Slogan „Gedenken an die heldenhaften Verteidiger unseres Landes und Europas“. Dazu passend ist der nachträgliche Bericht über die Wanderung illustriert mit Bildern voller NS-Symbolik unter anderem von einem Kontrollpunkt mit Hakenkreuzfahne und Hitler-Portrait.

Seit 1997 gibt es marginale Proteste gegen den „Tag der Ehre“ von einer Handvoll engagierter Budapester Antifaschist*innen. Lokale Antifaschist*innen haben in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass das westliche Narrativ, das Victor Orbán als personifiziertes Problem ausmacht, zu kurz greift, und die Kritik nicht auf seine Person reduziert werden sollte. Ein lokaler Aktivist, der die Proteste in diesem Jahr mitorganisiert hat, weist darauf hin, dass die liberale Demokratie in Osteuropa an der„kapitalistischen Semiperipherie“ nur eine „vorübergehende Erscheinung“ sei. Die Verhältnisse in Ungarn sind verfestigt autoritär. So sei es in Ungarn in den letzten 150 Jahren nur selten gelungen, die regierenden Parteien demokratisch abzulösen. Die Orbán-Regierung sei das „natürliche Merkmal dieses semiperipheren Kapitalismus“. Tatsächlich ist das Regime in Ungarn sehr stark vom hegemonialen kapitalistischen System geprägt und mit ihm verbunden. Die Regierung Orbán ist bemüht, diesen Kapitalismus möglichst geräuschlos zu verwalten. Das führt auch dazu, dass soziale Bewegungen wie die LGBTIQ-Bewegung oder die kleine Antifa-Szene möglichst klein gehalten werden sollen. Das kapitalistische System wird in Ungarn, wie auch in den meisten postsozialistischen Staaten Osteuropas, nationalistisch und autoritär gemanaged.

Auch geschichtspolitisch täuscht Orbán die Menschen, indem er versucht, den Realsozialismus mit dem Faschismus gleichzusetzen. Diese Umdeutung der Geschichte ist ein Versuch, von seinem maroden System abzulenken. Durch die Verbreitung rechter Narrative ist Ungarn eine der treibenden Kräfte des Geschichtsrevisionismus in Europa. Dies drückt sich in Budapest auch städtebaulich aus. So ließ Orbán in den vergangenen Jahren nationalistische Denkmäler des Horthy-Regimes wie das Nationale Märtyrerdenkmal originalgetreu wieder aufbauen. Es hat seinen Grund, weshalb sich Neonazis in Ungarn so wohl fühlen und mit keinerlei Gegenwind rechnen müssen. Das Motiv der Neonazi-Szene, die alljährlich zum „Tag der Ehre“ pilgert, ist dem der ungarischen Regierung sehr ähnlich. Denn es geht ihnen darum, den Ausbruch aus dem Budapester Kessel als Akt der Verteidigung Europas gegen den Vormarsch der Kommunist*innen umzudeuten.

Der „Tag der Ehre“ 2023

In diesem Jahr gelang es, durch antifaschistische Raumnahme mit zwei Gegenkundgebungen an der Burg, das Nazi-Gedenken von Blood & Honour und Legio Hungaria aus Budapest zu verbannen. Das Vorgehen der ungarischen Behörden steht im Kontext der erfolgreichen antifaschistischen Mobilisierung der letzten Jahre. Es ist den Nazis nicht mehr möglich, ihr ritualisiertes Gedenken in der Budapester Innenstadt abzuhalten, so dass das offizielle Nazigedenken in einen Wald außerhalb Budapests ausweichen musste. Damit wurde zum ersten Mal ein faschistisches Gedenken in der Innenstadt verhindert, was vor Ort als sehr großer Erfolg gewertet wird. Dieser Erfolg war auch nur durch den unermüdlichen Einsatz einiger lokaler Aktivist*innen möglich, denen es in den letzten Jahren gelungen ist, ein internationales Netzwerk mobiler antifaschistischer Gruppen einzubinden.

Repression

Sinn und Zweck staatlicher Repression ist es, organisierte antagonistische Strukturen zu kriminalisieren und letztlich zu zerschlagen. Am Beispiel des „Tags der Ehre“ in Budapest ist es deswegen folgerichtig, dass sowohl die ungarischen Behörden als auch im Wege der Amtshilfe die deutsche Polizei mit großem Ermittlungseifer den Widerstand gegen den „Tag der Ehre“ verfolgen und kriminalisieren. In Ungarn liegt dies daran, dass der Gegenprotest nationale Geschichtsmythen wie die Unterjochung unter „zwei Diktaturen“ in Frage stellt. Zudem liegt es in der Natur jedes Staates, Organisation außerhalb des vom Staat vorgegebenen Rahmens zu verfolgen, unabhängig dessen, wie militant im Detail agiert wird. Vor diesem Hintergrund lehnen wir eine Einteilung in „gute“ und „böse“ Antifas ab. Wir solidarisieren uns mit allen, die sich gegen dieses geschichtsrevisionistische Gedenken an die Waffen-SS organisieren und aktiv werden.

Die Repression darf nicht dazu führen, dass sich weniger Menschen an den Protesten gegen den „Tag der Ehre“ beteiligen. Vielmehr sollten wir das gestiegene Interesse nutzen, um die faschistische Gefahr aufzuzeigen, die von diesem internationalen Faschist*innentreffen ausgeht.

Die Kampagne NS-Verherrlichung stoppen! lässt sich von zunehmender Repression nicht einschüchtern, denn diese ist immer eine Begleitmusik antifaschistischer Arbeit. Wir werden weiterhin die Notwendigkeit des Aufbaus internationaler antifaschistischer Netzwerke forcieren und geschlossen auftreten.

Wir sammeln Spenden für von Repression Betroffene:

Konto: Netzwerk Selbsthilfe
Stichwort: NS Verherrlichung stoppen
IBAN: DE1210 0900 0040 3887 018

Kontakt: ten.puesirobfsctd@neppotsgnuhcilrrehrevsn

Dieser Text der Kampagne „NS-Verherrlichung stoppen!“ erschien zuerst auf Lower Class Magazine. Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für die große Arbeit und das Recht zur Übernahme.

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