Black Lives Matter: Antirassismus im Alttag statt Vertrauen in die Politik

Vor zwei Monaten erlebte die Bundesrepublik eine Welle von Demonstrationen unter dem Ruf „Black Lives Matter“. Anschließend an die Proteste in den Vereinigten Staaten nach der Ermordung von George Floyd breiteten sich Proteste gegen Polizeigewalt und Solidarität mit den Betroffenen von Rassismus in der ganzen Welt aus.

Früh waren sich große Teile des politischen Establishments einig, dass Rassismus und besonders rassistische Polizeigewalt zwar durchweg illegitim und zu verurteilen sind, diese Vorfälle aus den USA jedoch nicht auf Deutschland übertragbar sind. Auch auf einigen Demonstrationen wurde vor allem Gerechtigkeit für die Opfer der US-amerikanischen Polizei gefordert, neben George Floyd für Breonna Taylor und Tony McDade. Radikale Linke kritisierten jedoch, dass alleine die alltäglich zu beobachtende Praxis des Racial Profiling das Märchen der unbescholtenen deutschen Polizei entlarvt, ganz zu schweigen von den im Rahmen der Kampagne Death in Custody aufgelisteten Todesfällen in Gewahrsam von Polizei- und Sicherheitsbehörden. Zuletzt war am 23. Juli 2020 Mayouf Ferhat im Gefängnis in Moabit nach einem Brand tot aufgefunden worden. Laut der Gruppe Criminals for Freedom ist dabei klar, dass es sich um einen Mord durch die Justiz handelt. Laut anderen Gefangenen wurde Mayouf mehrmals gefoltert. Gefangene, die sich nun für eine Aufklärung der Todesumstände einsetzen, erfahren Repressionen.

Währenddessen standen ein Wohnblock in Neukölln und Göttingen wegen Covid-19 unter Quarantäne, eine Maßnahme, die vor allem die migrantische, arme Bevölkerung traf und mehr als bisher stigmatisierte. Auch in den Unterkünften von Geflüchteten stiegen die Infektionszahlen, nachdem man ihnen weder genügend Platz für physischen Abstand noch die notwendigen Hygieneartikel zur Verfügung stellte. Diese Bedingungen lassen dabei ungefähr erahnen, wie Menschen in (halb)kolonialen und vom Imperialismus abhängigen Ländern unter den Maßnahmen zu leiden haben, denen weder Möglichkeiten wie Arbeit von Zuhause noch Lieferdienste zur Verfügung stehen.

Forderungen, die, durch die  Bewegung um Black Lives Matter, derzeit im Raum stehen und kontrovers diskutiert werden, beziehen sich jedoch oft auf symbolische Phänomene wie die Umbenennung von Straßen und allgemein die Schaffung von mehr Bewusstsein für verschiedene Formen von Diskriminierung. Deutsche Großkonzerne unterwerfen jedoch nicht einfach das Bewusstsein, sondern die konkreten Lebensbedingungen von Millionen von Menschen ihrem Diktat auf der Suche nach dem größtmöglichen Profit. Durch den Verkauf von hier „gespendeter“ Kleidung, den Abfällen der Fleischindustrie und nicht zuletzt durch das Saatgut des von Bayer akquirierten Pharmaunternehmens Monsanto vergrößert Deutschland die Armut, die dann auf Charityplakaten ausgestellt zum Spenden an fragwürdige und oft korrupte Hilfsorganisationen anregen soll. Die Geflüchteten, die den Weg der ihnen gestohlenen Rohstoffe folgen und schließlich nach Deutschland kommen, vom Weg bis zum Ziel menschenunwürdigen Bedingungen und den Übergriffen staatlichen und privaten Sicherheitspersonals auszusetzen, ist Teil der Kalkulation. „Black Lives Matter“ in Deutschland zu sagen, bedeutet auch, die Situation von Geflüchteten mit einzubeziehen, sich gegen die Arbeitsbedingungen in dem zu großen Teilen migrantisierten Niedriglohnsektor zu stellen, die Freiheit von Geflüchteten, Migranten und Migrantinnen zu fordern, deren Gefängnisstrafen keine Folge von Kriminalität, sondern von Rassismus und Repressionen sind. Auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Ausbildung von Polizei und Militäreinheiten, die schließlich wie im Sudan oder in Libyen unter dem Deckmantel der Sicherheit gegen Migration eingesetzt werden, müssen in den Fokus der Proteste rücken.

Um das alles zu erreichen, ist es nicht nur wichtig, wie Hunderttausende Protestierende ihr antirassistisches Engagement in ihren Alltag zu integrieren, und in Schulen, Universitäten, auf der Arbeit, beim Sport oder in der Familie anstrengende Diskussionen zu führen. Es kommt darauf an, sich gemeinsam gegen Rassismus und das politische System, das Rassismus hervorbringt und als Möglichkeit zur Vergrößerung seiner Profite nutzt, zu organisieren und den Weg in eine andere Gesellschaft aufzuzeigen. Wirtschaft und Politik haben nur ein Interesse daran, sich Antirassismus als Image zunutze zu machen, um von einer fundamentaleren Kritik an der herrschenden Ordnung abzulenken. Sie mögen sich mit Rassismus und Sexismus beschäftigen, letzten Endes versuchen sie, Gesichter zu gewinnen, die sie gegenüber den Unterdrückten akzeptabel erscheinen lassen.

Ein Beitrag von Kofi Shakur, Student und freier Autor.

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