Kampf der „roten Unterwanderung“

Die Heinz-Jung-Stiftung hat mit dem Sammelband „Wer ist denn hier der Verfassungsfeind! Radikalenerlass, Berufsverbote und was von ihnen geblieben ist“ einen beachtlichen Aufschlag für eine politische Aufarbeitung der Berufsverbote vorgelegt. Es lohnt sich dieser verdrängten westdeutschen Geschichte anzunehmen. Denn die Beschädigung der politischen Kultur durch den Radikalenerlass überdauert bis heute.

Als die AfD mit ihrem Spitzenkandidaten Bernd Höcke jüngst bei der Landtagswahl in Thüringen 23,4% der abgegebenen Stimmen erhielt, konnte man ihn wieder vernehmen, den Ruf nach Berufsverboten. Wie könne es sein, dass ein Faschist wie Bernd Höcke immer noch als Geschichtslehrer unterrichten darf, wurde beklagt. Schon im Februar 2019 ließ Bundesinnenminister Horst Seehofer eine Wiederauflage der Berufsverbote für Beamte durch sein Ministerium prüfen. Zuvor hatten die Landesregierungen von Sachsen und Thüringen sich für Einstellungs-Konsequenzen bei einer Mitgliedschaft im neofaschistischen „Flügel“ der AfD ausgesprochen. Disziplinarrechtliche Konsequenzen bei gesetzlichen Verhaltensweisen, die den Treuepflichten des Beamten widersprechen, wurden damals explizit nicht ausgeschlossen. Im Oktober dann die Absprache der Innenminister „alle Möglichkeiten des Beamtenrechts zu nutzen – von der Disziplinarstrafe bis zur Entfernung aus dem Beamtendiensts,“ so der niedersächsische Innenminister Boris Pastorius. Verbunden war diese Ankündigung mit der unglaubwürdigen Versicherung, dass es „irgendeinen Radikalenerlass“ nicht geben werde. Unglaubwürdig allein schon deshalb, weil der Radikalenerlass formell nie aufgehoben wurde. Es ist nur die jüngste Episode, die zeigt, dass die Berufsverbotspolitik der BRD der 70er und 80er Jahre nur teilweise Vergangenheit ist.

Die Berufsverbote in Folge des Radikalenerlasses der Ministerpräsidenten von 1972 waren in den 70er und 80er Jahren einer der größten Repressionswelle der alten BRD. Ungefähr 3,5 Millionen Überprüfungsfälle, 11.000 Berufsverbotsverfahren und 1500 Berufsverbote zogen diese, so schreiben die Herausgeber in Berufung auf eine wissenschaftliche Quelle, schätzungsweise nach sich. Gleichzeitig wurden sie zeitweise die größte politische Streitfrage der Bundesrepublik und prägen die politische Kultur bis heute. Dennoch ist bei den Jüngeren diese Episode der deutschen Nachkriegsgeschichte heute kaum mehr ein Begriff. Sie ist nicht Teil der allgemeinen Erinnerungskultur geworden und eine politische Aufarbeitung blieb, wie die Herausgeber richtigerweise bemängeln, bis heute aus.

In diese Lücke stößt der von der Heinz-Jung-Stiftung herausgegebene Sammelband „Wer ist denn hier Verfassungsfeind! Radikalenerlass, Berufsverbote und was von ihnen geblieben ist“. Der Sammelband, für den eine Reihe namhafter Autor*innen, die teils selbst auch von den Berufsverboten betroffen waren, gewonnen werden konnten, gliedert sich in vier Abschnitte. Im ersten Abschnitt „Vorgeschichte Ausgangspunkt und Kontroversen um den »Radikalenerlass«“ wird eine umfassende politische, historische und juristische Einordnung der Berufsverbote vorgenommen. Bemerkenswert ist unter anderem der Beitrag Patrick Ölkrugs, der aufzeigt, dass die Geschichte der Berufsverbote in Deutschland sogar weiter zurückreicht als die Geschichte der Demokratie in Deutschland. Von den Karlsbader Beschlüssen über die Sozialistengesetze unter Bismarck bis zum deutschen Faschismus zieht sich die lange Vorgeschichte der Berufsverbote.

Im zweiten Abschnitt werden überblicksartig ausgewählte Berufsverbotsfälle vorgestellt, so etwa der Fall des Postbeamtens Herbert Bastian, der 1987 wegen einem Stadtratsmandat für die DKP Marburg aus dem Dienst enthoben wurde und drei Jahre später durch den Bundespräsidenten Weizsäcker begnadigt wurde. Auch vorgestellt wird der Fall des Heidelberger Lehrers Michael Csazskóczy, der erste Fall eines Berufsverbots im 21. Jahrhundert. Erfreulich ist, dass der Fall des Wissenschaftlers Horst Holzer vorgestellt wird, dem wegen seiner DKP-Mitgliedschaft Zeit seines Lebens die Professur verwehrt wurde. Dominik Feldmann arbeitet die konkrete Limitierung der Wissenschaftsfreiheit in der damaligen BRD am Beispiel Holzer heraus. Dem Überblickscharakter der Darstellung geschuldet bleibt leider der fachliche Verlust für die Kommunikationswissenschaft durch die Nicht-Berufung Holzers unberücksichtigt[1]

Sehr erfreulich ist auch die umfassende Darstellung der Solidaritätsbewegungen und der öffentlichen Debatten zu den Berufsverboten in den Beiträgen im dritten Abschnitt des Sammelbandes. Dieser auch noch im Nachhinein Mut machenden Aspekte der Berufsverbote wird trotz des gewaltigen Umfangs der damaligen Bewegung gegen Berufsverbote viel zu selten erinnert.  Im vierten Kapitel wird schließlich gefragt, was von den Berufsverboten geblieben ist. Es wird klar, dass die Repressionsinstrumente gegen Linke im öffentlichen Dienst bis heute weiterhin bestehen und die Beschädigung der politischen Kultur fortdauert. Aufschlussreich speziell hierzu ist etwa der Beitrag Feldmanns über die Auswirkungen eines Radikalenerlasses auf die politische Bildungsarbeit durch kritische Lehrer*innen.

Dominik Feldmann und Patrick Ölkrug übernahmen für die Heinz-Jung-Stiftung die Redaktion des Buches. Neben einigen Beiträgen von Feldmann und Ölkrug selbst finden sich im Sammelband u.a. noch Beiträge von Georg Fülberth, André Leisewitz, David Salomon, Dominik Rigoll, Silvia Gingold und Ulla Jelpke. Außerdem findet sich darin ein Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger, der selbst zahlreiche Repressionserfahrungen durchstand und 2016 akut von einem Berufsverbot bedroht war.

Vielfach wird in dem Buch verdeutlicht, dass die Berufsverbote zuvorderst einer antikommunistischen Stoßrichtung folgten, wenn sie auch vermeintlich den öffentlichen Dienst von sowohl „Links- als auch Rechtsradiaklen“ freihalten sollten. Während mehr als eintausend Linke von Berufsverboten betroffen waren, bewegen sich die Zahlen unter Rechten im ein- bis zweistelligen Bereich. Der für die Beantwortung der Regelanfragen zuständige Verfassungsschutz erkannte ähnlich wie heute in den 70er und 80er Jahren im Rechtsradikalismus schlicht keine Gefahr. Daran sollte erinnert werden, wenn heute mit antifaschistischer Intention eine Wiederbelebung der Berufsverbote gefordert wird. Der Verfassungsschutz als eine Behörde in der rechte Kontinuitäten seit Jahrzehnten überdauern, wäre dann wieder verantwortlich Regelanfragen zu prüfen. Sehr bald würde er gegen Linke und nicht Rechte vorgehen. Die aktuelle Diskussion um Berufsverbote zeugt deshalb zuvorderst von Geschichtsvergessenheit und einer fehlenden politischen Aufarbeitung der Berufsverbote, gegen welche in „Wer ist denn hier Verfassungsfeind“ gezielt angeschrieben wird. Auch deshalb ist „Wer ist denn hier Verfassungsfeind“ das richtige Buch zur richtigen Zeit.

Heinz-Jung-Stiftung (2019): „Wer ist denn hier Verfassungsfeind! Radikalenerlass, Berufsverbote und was von ihnen geblieben ist.“ Köln, Papy Rosa Verlag; 232 Seiten, 18 €


[1] vgl. Weidemann, Thomas (2019):Horst Holzer, in: Michael Meyen/Thomas Wiedemann: Biographisches Lexikon der Kommunikationswissenschaft. Online abrufbar unter: http://blexkom.halemverlag.de/horst-holzer/; zuletzt abgerufen am: 05.11.2019


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