Ich kann nicht vergeben

Der ehemalige KZ-Insasse Rudolf Vrba berichtet in seinem Buch „Ich kann nicht vergeben – Meine Flucht aus Auschwitz“ (1963) über seine Flucht aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Sein Werk wurde später ein wichtiger Teil der Auschwitz-Protokolle und ist bis heute ein einzigartiger Zeitzeugenbericht, der mit Melancholie, einer unverwechselbaren Beobachtungsgabe und unerschütterlichem Willen zum Leben das sprachlos Machende in Worte fasst.  

44070, mehr braucht es nicht. Eine tätowierte Zahl reicht, um Menschen einzusortieren und für immer verschwinden zu lassen. Beziehungsweise es zu versuchen. Denn wie ein einzelner Mensch sich seiner Distinktion als Nummer im Vernichtungslager widersetzen kann, erzählt der ehemalige KZ-Insasse Rudolf „Rudi“ Vrba. In seinem autobiografisch-zeitgeschichtlichen Buch „Ich kann nicht vergeben – Meine Flucht aus Auschwitz“ beschreibt der spätere Professor für Pharmakologie das Unbeschreibliche. Macht greifbar, was kaum denkbar ist, und gewährt auch viele Jahrzehnte nach seiner Flucht Einblicke in ein Menschheitsverbrechen, von dem heute viel zu viele ihren Blick abwenden.

Der 1924 im slowakischen Topoľčany geborene Sohn jüdischer Eltern geriet durch eine Mischung aus Zufall und Unglück über mehrere Umwege in das nationalsozialistische Vernichtungslager KZ Auschwitz-Birkenau. Sein Weg direkt ins Herz der Vernichtungsfabrik würde an sich bereits ein separates Buch füllen. Auslöser war sein Wunsch, sich den jugoslawischen Partisanen anzuschließen. Und um nicht zu viel zu verraten, sei nur so viel gesagt: der Titel seines Erlebnisberichts umschreibt mehr als nur das Erlebte. Er fasst das in Worte, worüber entweder niemand reden wollte oder aufgrund des Endes der eigenen Existenz nicht mehr berichten konnte.

Ohne jedoch sich oder den Leser in tiefe Trauer zu stürzen, und mit überraschend selbstironischen Einwürfen, schafft es Vrba, dass man anfängt, sich selbst zu befragen, obwohl keine einzige Frage gestellt wird. Denn viel zu häufig wurde dabei in der Vergangenheit nur über die Täter und ihre Motive berichtet, während man die Opfer nur Opfer und letztendlich stumm bleiben ließ. Wie weit muss ein Mensch mit seinem Henker kooperieren, um dem eigenen Leben einen weiteren Tag hinzufügen zu können? Wie wenig bedarf es, dass aus Menschen Befehlsempfänger werden und wann trifft es einen selbst? Und wann kostet das Wegschauen so viele Leben, dass man sich nicht mehr traut hinzuschauen?

Diese Fragen und viele andere Eindrücke teilt Vrba in seinem 528 Seiten langen Report, ohne auch nur eine einzige Antwort zu liefern. Denn diese Aufgabe fällt dem Leser zu und lässt ihn auch nach der letzten Seite in Gedanken noch weiterlesen. Vielmehr ist es das minutiöse Beschreiben und jahrelange Beobachten, das seine Eindrücke auch heute noch erlebbar werden lässt. Ein Buch, das in Israel und der ganzen Welt Aufsehen erregte und dennoch überraschend lange in Deutschland ignoriert wurde. Vielleicht ist dies der Grund, warum auch diejenigen, die alles über den Holocaust zu glauben wissen, mit ganz anderen Augen auf das schon oft Gesehene blicken werden.

Unbedingt lesenswert, eines der wenigen Bücher, das trotz bekanntem Ausgang bis zum Ende fesselt.

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