Disarstar ist Hamburger Rapper und vertritt einen klaren Klassenstandpunkt. Mit seinem aktuellen Album Deutscher Oktober stieg er auf Platz 5 in die Charts ein. Als einer von wenigen in der Rapszene steht er offen zu seiner politischen Haltung. Im Interview mit der critica erzählt er, warum es einen Systemwechsel braucht und welche Rolle Rap dabei spielt.
Critica: Warum brauchen wir einen Systemwechsel?
Der Kapitalismus ist ein amoralisches System, das rücksichtslos aus allem Profit schlägt. Ein System, in dem die Verwertungslogik über allem steht. Die Erfolge, die wir im Klimaschutz brauchen, können wir nicht durch Reformen erreichen. Die dem Kapitalismus immanenten Dynamiken sind nicht zu reformieren.
Man kann sich die großen Projekte der letzten Jahre anschauen, die das versucht haben. Diese sind daran gescheitert, den Kapitalismus auf eine soziale Art zu reformieren. Deshalb halte ich die Reformation des Systems für unwahrscheinlicher als seine Überwindung.
Critica: Kann Rap eine Rolle bei der Überwindung dieses Systems spielen?
Kunst und Kultur sind maßgeblich an der Entwicklung der Menschheit beteiligt. Als Künstler brauche ich aber nicht auf jede Frage eine Antwort und muss keine realpolitischen Lösungen anbieten. Wenn Kunst polarisiert, kann sie einen dialektischen Prozess in der Gesellschaft auslösen.
Jedoch ist nichts, was in meiner Musik passiert, eine Neuschöpfung. Ich gebe eine Lebensrealität wieder, die viele um mich herum haben. Diese mache ich einer größeren Masse zugänglich.
Die Ideen für den großen gesellschaftlichen Wandel kommen nicht von mir als Künstler, sondern eher von Sozialwissenschaftler*innen, Ökonom*innen oder Philosoph*innen.
Ich glaube, dass der Zeitgeist mir und meinen Themen entgegenkommt. Mein letztes Album war sehr erfolgreich. Die Storys erzähle ich aber schon länger in meiner Musik.
Critica: Genau wie in Australien, aber natürlich auch in vielen anderen deiner Tracks. Du kritisierst häufig den neoliberalen Gedanken, dass jede und jeder für ihr/sein Glück selbst verantwortlich ist. Warum ist es dir wichtig, das zu thematisieren?
Weiß ich auch manchmal nicht (lacht). Ich gehe den schweren Weg. Mit meiner Geschichte könnte ich auch eine astreine, liberale Erfolgsgeschichte erzählen. Ich habe zwar keine Geldsorgen mehr, sehe aber die Leute um mich herum, die noch den gleichen Struggle haben, den ich mal hatte. Ich habe zwei Möglichkeiten: Entweder sage ich, ich bin besser als die und deswegen jetzt da, wo ich bin. Oder ich versuche das gesamtheitlich zu reflektieren und mir zu überlegen: Wieso bin ich da, wo ich bin? Warum sind die da, wo die sind?
Ich habe sehr hart für das gearbeitet, was ich erreicht habe – ohne geht es nicht. Harte Arbeit kann aber auch ins Leere laufen, wenn man nicht die richtigen Menschen, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort trifft. Ich glaube, dass der liberale Gedanke „du bist deines Glückes Schmied“ all das zuvor genannte unterschlägt.
Critica: Braucht Deutschrap einen Systemwechsel?
Im Rap müsste sich all das ändern, was sich auch gesamtgesellschaftlich ändern muss. Die Branche ist wie jede andere einer krassen Verwertungslogik unterworfen. Wenn Sexismus sich gut verkauft, dann ist Rap sexistisch. Wenn sich neoliberale Erfolgsgeschichten verkaufen, dann sind die auf einmal cool. Es geht am Ende ums Geld machen und die Leute, die Geld machen, sind extrem flexibel.
Systemwechsel im Rap ist obsolet, solange es keinen gesamtgesellschaftlichen Wandel gibt.
Critica: Und wie können wir diesen erreichen?
Um einen Systemwechsel herbeizuführen, brauchen wir demokratische Mehrheiten. Deswegen ist es wichtig, dass ihr weiter schreibt, dass ich weiter Musik mache und dass wir weiter kämpfen.
Das nicht im Großen, sondern auch im Kleinen, von Angesicht zu Angesicht. Man muss nicht immer die Massen erreichen, sondern sympathisch und empathisch versuchen, seine Inhalte zu vermitteln.
Ich hab viele Kollegen mit denen ich aufgewachsen bin, die oft total politisch unkorrekt sind. Aber ich bin da. Ich kann diese Debatten führen. Die Linke hat das Problem, dass sie da sitzt, wo Linke sowieso schon sitzen. Eigentlich muss sie sich mit unbequemen Positionen auseinandersetzen.
Das Interview führte Lea Klingberg.