Arbeiter und Soldat – Biographie eines ungewöhnlichen Revolutionärs

Der Titel des Buches bezieht sich auf eine deutschsprachige Zeitung für Soldaten der Wehrmacht im besetzten Frankreich. Sie wurden darin aufgefordert, sich zu organisieren und ihre Waffen gegen die Nazis zu richten. Wladek Flakin versucht sich an der Biographie eines deutschen Juden, den seine politischen Mitstreiter unter dem Namen „Viktor“ kannten.   Wer war nun dieser Viktor, der in seiner Freizeit Konzerte klassischer Musik in Paris besuchte, sich mehrere Sprachen, darunter Hebräisch und Französisch, selbst beibrachte, Mathematik studierte und Theaterstücke schrieb?  Flakin bezeichnet ihn als „arm aber gebildet“, wobei arm sicherlich nach damaligen Kriterien nicht  ganz zutreffend ist, denn wer wirklich arm war, konnte weder das Abitur machen noch studieren.

Die Person dieses Revolutionärs, der mit 31 Jahren hingerichtet wurde,  zu erfassen, gestaltet sich äuβerst schwierig, da es wenige erhaltene Dokumente gibt und selbst sein Name nur schwer festzustellen war.  Zwar sind die Umstände seiner Hinrichtung relativ gut dokumentiert, die Geschichte seines Lebens ist jedoch schwer nachzuvollziehen. Es sind verschiedene Namen von ehemaligen Bekannten und aus anderen Quellen überliefert. Der Autor verwendet den Namen Martin Monath, ein Name der sich jedoch in keiner Meldekartei findet. Dieser Name wird jedoch auch auf einem Stolperstein verwendet, der sich 2016 in Berlin-Kreuzberg findet.

Martin Monath wuchs mit zwei Geschwistern in Berlin auf. Die Mutter verstarb früh, die Stiefmutter hasste ihn. Der Vater betrieb einen Laden für Herrengarderobe, der aber 1928 in Konkurs ging. Der kleinbürgerliche Lebensstil des Vaters mag ein Auslöser für seines späteren politischen Weg  gewesen sein.

Seine politischen Aktivitäten beginnen bereits 1933 als Funktionär der jüdischen Organisation „Hashomer Hatzair“, zuvor war er mit einem Freund in verschiedenen zionistischen Jugendorganisationen Berlins aktiv.  Bei „Hashomer Hatzair“ hat Monath wohl Bekanntschaft mit dem Marxismus gemacht, da diese Organisation versuchte, Sozialismus und Zionismus zu verbinden. Zionistische Organisationen konnten in Deutschland bis ca. 1937 offen auftreten, da sie als diejenigen angesehen wurden, die die Juden aus Deutschland herausbrachten. Dadurch das Monath sich Hebräisch beigebracht hatte, kam er auch mit Texten von Trotzki in Berührung, da diese in der Übersetzung noch legal verfügbar waren. Mit seiner Gruppe zieht Monath 1934 nach Dänemark, um dort eine landwirtschaftliche Ausbildung zu erhalten, die auf die Kolonialisierung Palästinas verbereiten sollte. Von dort gibt es auch das erste schriftliche Zeugnis, einen mehr philosophisch gehaltenen Brief.

Flakin beschreibt im Weiteren das Leben in Dänemark und versucht den Gründen nachzugehen, warum Monath nicht nach Palästina auswanderte, wovon er geträumt hat. Er zeigt auch den Hintergrund für die Verwirrung über den Namen von „Viktor“ auf. Auch die Probleme einiger Freunde Martin Monaths, die nach Palästina auswanderten und dort in Konflikt mit der zionistischen Idee gerieten, werden angesprochen.

Im Jahr 1938 schob das Naziregime aufgrund einer polnischen Gesetzgebung tausende polnischer Juden nach Polen ab. Unter den vielen, die nicht einreisen durften und in einem Grenzort interniert wurde, war auch Monath jüngerer Bruder, der sich von dort nach Palästina durchschlagen konnte. Da für Monath, die Idee einer sozialistischen Gesellschaft in Palästina nicht mehr existierte, er aber in Deutschland nicht bleiben konnte, bereitete  er seine Flucht aus Deutschland vor.

Flakin gibt nun einen Einblick in den Briefwechsel zwischen Martin Monath und seinen in Palästina lebenden Geschwistern, in dem es auch um das sogenannte „Mac Donald White Paper“, das sich mit der Errichtung eines palästinensischen Staates beschäftigt.  Danach berichtet er  über  Monaths Flucht nach Belgien und dessen Leben in Brüssel, wo er sich die Zeit mit Tanzen und anderen Vergnügungen vertreibt. Ein langer Brief an die Geschwister gibt Auskunft über seine Gedanken zur Politik und der Möglichkeit eines Kriegsausbruchs. Er zeigt auch, dass er in dieser Zeit mit revolutionären Sozialisten in Kontakt gekommen sein muss. Er bekennt sich zum Trotzkismus und sieht in dem bevorstehenden Krieg einen imperialistischen Krieg.

Über die genaue Entwicklung Monaths zum Trotzkisten kann der Autor keine Auskunft geben, er bedient sich vielmehr der bekannten Geschichte eines anderen jüdischen Trotzkisten, die er für vergleichbar hält. Flakin berichtet auch über die Situation der Vierten Internationale zu dieser Zeit, in deren Provisorischem Europäischen Sekretariat Martin Monath Mitglied und für die „deutsche Arbeit“ zuständig ist. Auch die Haltung des stalinistischen Russlands gegenüber Hitler wird thematisiert. Nach Ansicht der Trotzkisten jedoch sollte, der deutsche Faschismus durch „eine revolutionäre Erhebung der Massen“ gestürzt werden. Sie waren der Ansicht, dass man die deutschen Soldaten direkt ansprechen und gegen ihre Offiziere aufwiegeln könne. Das Ziel war die Verbrüderung von Arbeitern und Soldaten auf beiden Seiten. So gab es beispielsweise im Hafen von Brest eine Zeitung, mit der die Soldaten und Matrosen erreicht werden sollten. Der Autor beschreibt Zuschriften und Hintergründe dieser Zeitung. Viktor, der inzwischen ein führendes Mitglied der Vierten Internationale war, sollte die Verbrüderungsarbeit  leiten und zentralisieren. Er lebte in Paris in einer „Wohngemeinschaft“ mit anderen Emigranten im Haus des Schweizer Kommunisten Thalmann, mit dem er eine Zeitung für deutsche Soldaten herausgab, deren erste Nummer im Juli 1943 erschien. Die erste Ausgabe von „Arbeiter und Soldat“ war auf der Schreibmaschine geschrieben und umfasste zehn Seiten. In dieser Zeitung versuchte Viktor, den jungen Soldaten die Ideen des Trotzkismus verständlich zu machen. Der Autor beschreibt u.a. wie man sich die Verteilung der Zeitung vorstellen muss.

Im Oktober 1943 wird ein Genosse, der in seinem Garten die Druckerwerkstatt betreibt, von einem deutschen Soldaten an die Gestapo verraten. In Folge dieses Verrats werden einige Soldaten und Matrosen erschossen, genauere Daten lassen sich nicht feststellen. Im Zuge dieser Aktion wurden auch 50 französische Aktivisten festgenommen. Viktor gelingt die Flucht, doch er kehrt bald darauf nach Paris zurück, wo im Februar 1944 eine Konferenz der Vierten Internationale stattfindet, an der Viktor als Delegierter teilnimmt. Es erscheinen auch weitere Ausgaben von „Arbeiter und Soldat“,  inzwischen als gedruckte Zeitung. Viktor wurde im Juli 1944 von der Milice verhaftet und von der Gestapo verhört, später in ein Auto gepackt und in einem Park „auf der Flucht“ erschossen. Viktor überlebte jedoch und wurde von einem französischen Polizisten ins jüdische Krankenhaus in Paris gebracht, wo er operiert wurde. Er bat Thalmann, seine Gruppe möge ihn aus dem Krankenhaus holen. Die Gruppe schmiedete einen Plan, doch als man Viktor diesen mitteilen wollte, hatte die Gestapo ihn bereits abgeholt und ins deutsche Militärkrankenhaus gebracht.  Während sich die Allierten vor den Toren befanden, begannen die deutschen Truppen mit der Evakuierung. Es ist bis heute unklar, was mit Viktor geschah. Der Bericht über Viktor schlieβt mit einer Analyse der Aussagen Thalmanns, der die umfangreichsten Erinnerungen an Viktors Zeit in Paris hat, sich jedoch auch widerspricht.

Den Abschluss des Buches bildet neben einem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis ein Abdruck des vollständigen Textes der Zeitung „Arbeiter und Soldat“.

Diese Biographie eines ungewöhnlichen Revolutionärs gibt interessante Einblicke und ist sehr lesenswert.

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