Wenn Ignoranz zu Degeneration führt

1 Milliarde Menschen hungern

Wir leben in bewegten Zeiten. Die Welt ist globalisiert wie nie zuvor, die Lebenverhältnisse ändern sich beinahe täglich, während in Geschichtsbüchern von Jahrhunderten gesprochen wird, scheinen nun die Dekaden die Jahrhunderte zu ersetzen. Aber Mehr noch: Unsere Welt ist nicht nur vernetzt, sondern auch so dicht besiedelt wie nie zuvor.

Anfang diesen Jahres wurde die sieben Milliarden-Marke gebrochen – momentan leben mehr Menschen auf dem Planten Erde als jemals alle Ahnen zusammen. Zudem zeigt der Kapitalismus sich von seiner brutalen Seite. Der in diesen System unterliegende Wachstumszwang drängt Unternehmen zu immer größeren Raubbau und zur Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Der Niedriglohnsektor wird ausgebaut oder man sourct das Personal einfach komplett an Leiharbeiterunternehmen aus. Wir leisten uns immer mehr Armut, die Ressourcen, Fossilien scheiden dahin und das Kapital kummuliert sich – bei denen, die sowieso schon genug vom Kuchen abbekommen haben. Mit dem Kapital kummuliert sich auch ihre Macht, die dafür missbraucht wird Medienkonzerne zu kontrollieren, großen Einfluss auf Politikinhalte zu nehmen und Allianzen mit ähnlich Mächtigen zu bilden.

Tagtäglich lesen Millionen Menschen in Deutschland ihre Lokalzeitung oder Überregionales. Viele von Ihnen sind gebildet, bilden kritische Gedanken und empören sich in Leserbriefen über Preisabsprachen, die Umweltschäden, die schlechte Luft, über Hartz IV oder Wulff.  Oft wird somit ein Ventil geöffnet, die Wut, all die Empörung wird in die Welt posaunt und am nächsten Tag – spätenstens dann, wenn im Lokalteil steht, dass das Dorffest ein voller Erfolg war – ist das kritische Gedankengut Schnee von Gestern.

Desinteresse als Folge oder Ursache?

Neben den Millionen, die politisch oder ökonomisch interessiert sind, gibt es aber auch Millionen Menschen, die sich und ihre Umwelt aufgegeben haben, a posteriorie keinem Politiker mehr vertrauen schenken könnten, dem Schund-TV verfallen und allmählich degenerieren, nur noch Beobachter der Gesellschaft werden. Diese Menschen stecken in einem Strudel, der ihnen keine Option für Auswege bereithält. Lobbyverbände für Ausgeschlossene und Arbeitslose sind nicht existent und einzelne Versuche, diese Menschen aus dem Strudel zu ziehen enden im Nichts. Vielmehr werden immer mehr Menschen in diesen dubiosen Strudel gezogen, werden allmählich zu vollkommenen Konsumbürgern erzogen, stigmatisiert und zu unkritischem Denken umerzogen.

Es scheint, dass sich die Waage zwischen spordisch Empörten und Degenerierten hält – Revolutionen in Deutschland wären auch mal ganz was neues. Nein, Revolutionen hierzulande auch in schlechteren Zeiten scheinen unwahrscheinlich. Dafür müsste man ja den Rasen betreten. Im Kern geht es aber genau darum, eine Revolution zu initiieren, denn das jetztige System, das internationale System namens Kapitalismus, welches auf exponenziellem Wachstum und damitverbundenen Raubbau und Verarmung beruht, wackelt. Das Kartenhaus wird in sich zusammenkrachen, die Frage ist nur wann und wieviel vom Kartenhaus übrigbleiben wird. Die unkontrollierten Märkte und Machtmonopole, die immer mehr Unternehmen aufkaufen und sich Märkte aufteilen, ganze Wasservorkommen privatisieren, Hektarweise Land in Afrika kaufen und Bodenschätze unterschlagen werden irgendwann laut anfangen zu schreien: Unsere Rohstoffe gehen bald aus.  Bereits jetzt schon ist die Politik de facto handlungsunfähig, bekommen von den Machtmonopolen diktiert, wie sie vorzugehen haben. Die Großbanken und Finanzimperien haben die Politik in der Hand und zerquentschen den Staat ohne mit der Wimper zu zucken.

Kapitalismus tötet

Wir leben im falschen System, das Egoismus belohnt und Solidarität bestraft. Ein System, das auf Egoismus fußt und Anreize schafft, nur des Geldes willen und nicht des Zweckes zu handeln, ist weder eine Alternative für die Zukunft noch erstrebenswert. Es ist schier erschreckend, wie verblendet wir duch all die Medien und die Schnelllebigkeit sind. Wir stehen auf, essen, arbeiten, konsumieren und schlafen und sind dabei so eingespannt, dass das wichtigste dabei in den Hintergrund gerückt wird: Wie können wir glücklich werden, den Wohlstand gerecht verteilen und das wohl wichtigste: Wie können wir ein ökologisches, ökonmisch nachhaltiges System evozieren? Es mag ja böse Stimmen geben die behaupten, dass soetwas wie liquid democracy, eine dauerhafter Volksentscheid, zum Erliegen der Demokratie führen würde. Zuviel sei Zuviel. Politikgestaltung sei Elitenangelegenheit. Dennoch nicht mehr eine Theorie ohne empirische Evidenz. Es mag sein, dass ein Profi mehr Sachverstand mitsichbringt, mehr Ressourcen zur Verfügung hat, doch birgt eine Elitenbildung immer die Gefahr der Abkopplung von der Gesellschaft – eine Priviligierte Vetternwirtschaft droht. Ein verdeutlichendes Beispiel ist das der starken, emanzipierten Arbeiterbewegung von früher. Mit aller Macht setzte man sich für faire Löhne ein, Resepekt wurde sich erkämpft. Doch nach einigen Jahren gewöhnte sich die Arbeiterklasse an die gewonnen Privilegien und vergaß ihren Widerstand zu pflegen – mittlerweile gibts es allein in Deutschland über eine Million Leih- und Zeitarbeiter, die der modernen Versklavung unterlegen sind, unzählige sind prekär beschäftigt, Reallöhne sinken – soetwas wäre früher nicht einfach hingenommen worden.

„Die Geschichte lehrt uns, dass wir nichts aus der Geschichte lernen“. Eine bittere Erkenntnis oder eine Binsenweisheit? Ich neige zur Erkenntnis, was aber nicht bedeuten soll, dass wir nicht auch jetzt nicht aus der Geschichte lernen sollten. Während die letzte große ökonomische Krise einen Faschismus und dann einen Weltkrieg zur Folge hatte, müssen wir eine Wiederholung dieser Kausalitätskette verhindern. Doch wer kann sich dieser hiesigen Aufgabe annehmen? Die Eliten? wohl kaum. Die vielen internationalen Intelektuellen? Ihnen fehlt es an Kanälen. Und die degenerierten, verstummten vor der Matschscheibe? Die kriegen von den sich anbahnenden Weltproblemen nichts mit. Morgen läuft ja Topmodels.

Wo bleiben die Dichter und Denker?

Wo sind die Dichter und Denker - Quelle: http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/6319228

Oft muss ich letzter Zeit hören, wie schlimm es ist, dass wir heute keinen großen charismatischen Denker haben, der alle Verhältnisse umzuwerfen vermag. Keinen Marx, keinen Dutschke, keinen Hegel.

Doch glauben diese Menschen ernsthaft, dass ein großer Denker in heutigen Zeiten die Möglichkeit hätte, sich gegen die mächtigen shitstorm-Medien durchzusetzen? Wohl kaum. Denn gerade das Israal kritische Gedicht von Grass zeigt, wie schnell sich die Medien vernetzen, eine Allianz bilden, um den Mega-Bash auszuteilen. Wir können viel über die Probleme dieser Welt diskutieren: Hungersnöte, Kriege, vernarrte Glaubensideologien, Umweltkatastrophen, soziale Ungleichheit, Rassismus etc., doch verharren wir bei jeder Diskussion auf der Stelle, stehen wie der Ochs vorm Berg.

Zusammengefasst: Unsere Gesellschaft besteht aus Politikern, die von der Bank- und Finazmärkte an der Leine gehalten wird, aus sich in regelmäßigen Intervallen empörenden Intelektuellen, und degenerierten Ahnungslosen. Doch ab und zu keimt ein wenig Kritik auf, ein Hauch von Systemkritik weht um die Häuser. Ganz selten mal. Ich möchte keinen Nostradamus spielen und die Apokalypse prophezeien, doch scheinen die Ignoranz der meisten Menschen gegenüber politischen und gesellschaftlichen Themen und der blinde Kapitalismusglaube im Chaos zu enden. Wir haben keine Institutionen und keine Heilsbringer, die das Chaos noch aufhalten könnten. Die einzige Chance besteht noch darin, dem Chaos gegenzusteurn, sodass vom einstürzenden Kartenhaus noch wenigstens das Fundament stehen bleibt. Es erscheint so lachhaft: Da lernen wir in der Schule das 18. Jahrhundert als Zeitalter der Aufklärung kennen, wissen dabei aber nicht wie unser (Falsch-)Geldsystem funktioniert und lernen die Schrecken des Kommunismus kennen, verlieren aber kein kritisches Wort über den Kapitalismus. Fakt ist, dass wir ursächliches ändern müssen, um das Chaos zu verhindern. Ein großes Problem jeglicher leiser Kapitalismuskritik jedoch besteht in der Reaktion, dass sogleich die Kommunismuskeule augepackt wird. Was folgt ist ein alternativloser, sturrer und schlichtweg falscher Tenor: „Willst du wieder einen Stalinismus oder Maoismus? Bist du des Wahnsinns?“ Gewiss nicht. Diese Floskel muss als gefährliches Halbwissen bezeichnet werden. In der Geschichte entstand unpassenderweise immer dann ein kommunistisches System, wenn die Voraussetzungen die miserabelsten waren. Doch muss die Gretchenfrage nicht konsequent „Kapitalismus oder Kommunismus“ lauten. Da sich der frei Markt nicht moralisch verhält, ist ein kapitalistisches System mit kommunistischen Zügen denkbar. Schon Marx hatte die Idee, die Grundversorgung zu vergesellschaften. Nahrung und Wohnung für alle. Für Luxusgüter – sofern alle Grundbedürfnisse befriedigt sind – kann eine Markt bereitstehen, der den Parametern des Angebots und der Nachfrage unterliegt.

Was tun?

Ist es wirklich so einfach?

Die Systemfrage muss also zwangsläufig gestellt werden. Mit der Occupy-Bewegung entstand im Oktober 2011 eine hoffnungsvolle Bewegung, die bislang noch an organisatorischen Mängeln scheitert. Zudem hat die Occupy-Bewegung, ähnlich wie die Piratenpartei, damit zu kämpfen, dass die Ziele nicht klar definiert sind. Alles anzuprangern ist keine Kunst, Lösungsvorschläge aufzuzeigen – darin liegt die Kunst. Was wir für die Zukunft brauchen ist Kreativität, sei es die kulturelle oder die politische Komponente: Das versteifte System ohne jeglich Kreativität ist dem Untergang geweiht.

Auch wenn viele die Occupy-Bewegung kritisch beäugeln: Sie kann als Projektionsfläche, als Kanal derer dienen, die sich für ein alternatives System stark machen. Vorallendingen müssen wir zu diesen Zeiten die politischen Bewegungen mit viel Vorsicht genießen. Die Entdemokratisierung schreitet immer weiter voran, Ressourcen werden immer knapper, Kriege drohen. Wir müssen achtsam sein, einen gesunden krtischen Menschenverstand entwickeln, Autoritäten in Frage stellen und bevor es zu spät ist das Fenster aufreißen und kund tun, dass man sich das nicht mehr länger gefallen lässt! „Wir müssen ersteinmal wütend werden“. Vielleicht müssen wir einfach ersteinmal richtig wütend werden, damit auch antikapitalistische Proteste ernstgenommen werden.

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