Stress auf dem Lehrplan

Die Zahl junger Menschen mit psychischen Erkrankungen nimmt zu. Das ist kein Wunder, meint Chris Ott.

Ob durch Depressionen oder Panikattacken. Immer mehr junge Menschen leiden unter Stress. Schaut man sich an, wie Leistungsdruck und Anforderungen für Lernende steigen und wie die soziale Herkunft viele Kinder und Jugendliche einschränkt, verwundert dies nicht, es ist aber alarmierend.

Bereits im Kindergarten zählt es heute, sich zu beweisen und mit vielen Fähigkeiten zu glänzen. Und das Angebot steigt stetig: Englisch, Rechnen oder Physik steht auf dem Plan. Sicherlich steht es Eltern frei, diese Angebote anzunehmen. Doch die ständige Angst, das eigene Kind bliebe auf der Strecke, wenn es nicht möglichst früh beginnt, sich Kompetenzen anzueignen, bestimmt die Entscheidung vieler Eltern massiv.

Nach der Vorschule kommt die Einschulung. Doch kaum hat sich ein Kind an die Zeit in der Schule gewöhnt, Freunde und Vertrauen zu Lehrerinnen und Lehrer gefunden, folgt die Trennung. Anhand der Noten eines zehnjährigen Kindes entscheidet sich der weitere Lebensweg. Der Druck steigt, denn: wer kein Abitur hat, kann nicht studieren, keinen guten Job bekommen, gehört nicht zu den Guten. Die Einteilung von Heranwachsenden in Gut und Schlecht – allein ausgehend von der schulischen Leistung – ist bezeichnend.

Gute Bildung als Luxus

An der weiterführenden Schule angekommen wird das Lernklima nicht besser. Es mangelt an Personal, Arbeitsmaterialien und passender Einrichtung. Die Klassen sind oft zu voll; eine individuelle Förderung ist unmöglich. Schülerinnen und Schüler sind dann oft auf private Nachhilfe angewiesen, um mit den Anforderungen noch mitzuhalten. Das Geschäft von Nachhilfe-Agenturen boomt. Wessen Eltern sich dies nicht leisten können, hat Pech gehabt. Denn der Staat finanziert den Bildungssektor nicht ausreichend. Die Verantwortung, Heranwachsende zu fördern, lädt er auf private Unternehmen ab, die aus Bildung ein Geschäft machen.

Doch gute Noten alleine reichen für die vollständige Eignung auf dem Arbeitsmarkt offenbar nicht aus. Es wächst das Gefühl, der persönliche Lebenslauf müsse bereits zur Schulzeit mit möglichst vielen Punkten und Stationen gefüllt sein. Außerschulisches Engagement ist gefordert: Musikschule, Chor, sportliche Betätigung. Dabei ist es zuerst einmal nichts schlechtes, wenn junge Menschen in ihrer Freizeit kulturell wertvolle Dinge erlernen – doch auch hier sind die finanziellen und sozialen Zugangshürden groß.

Auch an der Uni hört es nicht auf

Mehr als die Hälfte aller Abiturientinnen und Abiturienten beginnt anschließend ein Studium, doch dieses bestehen lange nicht alle. Grund hierfür sind nicht zuletzt steigende Anforderungen, verbunden mit psychischer und physischer Belastung. In Zeiten des neoliberalen Studiums sind Konkurrenzkampf und Turbolernen an der Tagesordnung.

Das Bachelor-Master-System engt die Möglichkeiten der Bildung und Selbstbildung ein. Wer nicht in der Regelstudienzeit seine Universitätslaufbahn abschließt, muss in vielen Bundesländern mit zusätzlichen Strafgebühren rechnen. Wer auf BAföG angewiesen ist, hat oft keine andere Wahl, als so schnell wie möglich mit dem Studium fertig zu werden. Vorher soll im besten Fall noch ein Erasmus-Semester absolviert werden. Das erhöht das Ansehen.

Hinzu kommen neben dem Leistungsdruck noch die hohen Lebenshaltungskosten in vielen Städten. Das Deutsche Studentenwerk ermittelte, dass 68% aller Studierenden einen Nebenjob haben – oftmals trotz BAföG.

Und auch die Wahl des Faches ist für viele eine lange Überlegung, verbunden mit Ängsten. Wer ein geisteswissenschaftliches Studium beginnt, darf schon zu Beginn seiner Zeit an der Uni belächelt und als zukünftig arbeitslos abgestempelt werden.

Dieser Zustand ist besorgniserregend. Wir lernen immer mehr, Ellenbogen zu beweisen und sich gegen andere durchzusetzen. Solidarität, Freundschaften, körperliche und geistige Gesundheit bleiben auf der Strecke. Lösen lässt sich dies zu allererst durch eine ausreichende Ausfinanzierung des Bildungssektors – von der Grundschule bis zur Universität. Die soziale Herkunft, die Finanzen des Elternhauses und die Wahl des Studienortes dürfen nicht gesamte Zukunft eines Menschen bestimmen.

Der Beitrag erschien in gedruckter Form in der Critica.


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