Emran Feroz

Die Menschenrechte in Afghanistan werden mit Füßen getreten – Im Gespräch mit Emran Feroz

Seit dem tödlichen Angriff von Mannheim wird in Deutschland intensiv über Afghanistan gesprochen, insbesondere über mögliche Abschiebungen dorthin. Wie die Situation vor Ort ist, ob Abschiebungen überhaupt möglich wäre und wie sich dies auf die afghanische Community auswirken würde, wird dagegen maximal am Rande thematisiert. Wir haben darüber mit dem Afghanistan Experten Emran Feroz gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Seit einigen Wochen wird in Deutschland wieder viel über Afghanistan diskutiert, insbesondere im Kontext des Anschlags von Mannheim und möglichen Abschiebungen. Wer war der Täter und wurde er ideologisch aus Afghanistan beeinflusst?

Emran Feroz: Der Täter aus Mannheim heißt Suleiman , er kam hierhin als Minderjähriger und er hat sich höchstwahrscheinlich hier radikalisiert und nicht auf der Flucht oder in Afghanistan. Er stand unter dem Einfluss eines afghanischen Predigers der schon länger tot ist, der allerdings heute von den afghanischen IS-Terroristen zelebriert wird, weil er radikaler ist als die Taliban. Das heißt, wenn er abgeschoben würde, was ich bezweifele, weil er Vater einer deutschen Tochter ist, würde er in Afghanistan gefoltert und für immer verschwinden. Es kann natürlich sein, dass er aufgrund anderer Dinge aus seiner Vergangenheit zusätzlich radikalisiert und traumatisiert wurde, dazu haben wir aber bisher noch keine Anhaltspunkte

Die Freiheitsliebe: In der deutschen Debatte werden Taliban und IS häufig gleichgesetzt, in Afghanistan stehen sie sich jedoch, teilweise bewaffnet, gegenüber, woher kommt die gegenseitige Ablehnung und wie unterscheiden sich beide ideologisch?

Emran Feroz: Die Taliban und der IS bekämpfen sich, weil sie den gleichen Machtanspruch haben aber unterschiedliche Ziele. Die Taliban stehen für eine islamisches Emirat begrenzt auf das heutige Afghanistan. Auch das erste Regime war so aufgebaut, deswegen wurde es nicht nur als islamistisches sondern auch als nationalistisches Regime bezeichnet. Der IS dagegen hat eine internationale Perspektive, wie auch in Syrien und dem Irak und versucht bewusst, bestehende Grenzen zu sprengen und orientiert sich nicht an Ländergrenzen.

Der IS ist viel rigoroser in seinem Umgang mit Nichtmuslimen und muslimischen Minderheiten, der IS macht gezielt Jagd auf Schiiten und andere Minderheiten wie die afghanischen Sikhs. Auf dieser Grundlage wird jede Verhandlung mit westlichen Akteuren abgelehnt. Die Taliban sind für den IS spätestens seit deren Verhandlungen mit den Amerikanern ein Feindbild. Die Taliban sind sicher keine Minderheitenfreunde, aber sie gehen gegen Minderheiten nicht so grausam vor, sie jagen diese nicht offen, sondern versuchen anders Druck auf diese  aufzubauen. In den ersten beiden Jahren haben sie das sogar größtenteils gelassen und die Schiiten beim Aschurafest in Kabul sogar geschützt. Im letzten Jahr dagegen haben sie die Zeremonien  eingeschränkt, was zu Unmut unter den Schiiten in Kabul geführt hat.

Ein weiterer Unterschied ist der Umgang mit dem Iran, das erste Talibanregime war da wesentlich extremer, das jetzige Talibanregime hat sogar den iranischen Kommandeur Kassem Soleimani, ein Massenmörder, als Held des Islams bezeichnet. Was zu Wut unter syrischen Islamisten geführt hat.

Die Freiheitsliebe: Für die deutsche Debatte um Abschiebung scheint es inzwischen egal zu sein, dass in Afghanistan die Taliban herrschen. Doch wie stellt sich die Situation vor Ort dar, wie steht es um grundlegende Menschenrechte?

Emran Feroz: Die Menschenrechte in Afghanistan werden jeden Tag mit Füßen getreten, die Taliban sind dabei, ein autoritäres Regime aufzubauen. Es gibt schon jetzt keinerlei Presse- und Meinungsfreiheit, Mädchen dürfen keine Oberschulen besuchen, Frauen keine Universitäten, es gibt für sie strengere Verhüllungsverbote. Menschenrechtsaktivisten können kaum noch arbeiten. All jene die dort arbeiten, auch ausländische Journalisten, müssen sich von den Taliban akkreditieren lassen. Sie dürfen sich im Land bewegen, aber meist ist jemand von den Taliban durchgehend an ihrer Seite.

Wenn ich aus Afghanistan berichte, dann mache ich das, ohne den Taliban Bescheid zu geben oder mich zu akkreditieren. Ich habe afghanische Wurzeln, weswegen die Einreise ins Land kein großes Problem darstellt, allerdings nehme ich das Risiko in Kauf, dass ich, wenn ich bei meiner Einreise erwischt werde, ins Gefängnis komme. Lokale Journalisten dagegen haben es noch deutlich schwerer, viele von ihnen sind im Gefängnis, auch unter dem Vorwand des Kampfes gegen den IS. Mit einem solchen Land kann man keine Deals machen oder dahin abschieben.

Die Freiheitsliebe: Wieso wollen Politiker trotzdem nach Afghanistan abschieben, obwohl dort ein autoritäres Regime herrscht?

Emran Feroz: Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was Politiker sagen und was sie machen. In Deutschland gelten rechtsstaatliche Prinzipien und die Genfer Konvention, es ist daher egal was Olaf Scholz oder sonst wer sagt. Die meisten Politiker wissen, dass es nicht geht. Vielmehr handelt es sich dabei um den Versuch Stimmen der Bürger zu fangen, was aber nicht erfolgreich ist, wie die Europawahlen zeigen.

Würde tatsächlich nach Afghanistan abgeschoben, wäre das nochmal ein krasserer Bruch mit den eigenen Prinzipien. Man will mit dieser Debatte suggerieren, dass es sich um eine Gefahr von außen handelt, eine die man durch Abschottung erhält, absolute Sicherheit wird normalerweise nur von Diktaturen versprochen, in freiheitlichen Gesellschaften dagegen müsste allen klar sein, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt.

Es bleibt zu hoffen, dass nach den vergangenen Wahlen endlich verstanden wird, dass es nichts bringt, wenn man rechte Positionen wiederholt.

Die Freiheitsliebe: Wie wirkt sich die Debatte auf Afghanen in Deutschland aus?

Emran Feroz: Die Debatte wirkt sich auf Afghaninnen und Afghanen in Deutschland sehr negativ aus, der antiafghanische Rassismus steigt. Ich habe erst letzte Woche von einem Afghanen gehört, dass er seit dem Messerangriff von Mannheim, von seiner Nachbarin terrorisiert wird und er immer, wenn er von der Arbeit kommt, rassistische Briefe im Briefkasten hat. Viele Afghanen distanzieren sich und organisieren Kundgebungen und Proteste, um an das Opfer der Tat zu erinnern und sich deutlich gegen die Tat stellen. Ich denke nicht, dass man sich als Gruppe kollektiv von der Tat eines einzeln distanzieren muss, doch selbst wenn das geschieht, hört man in deutschen Medien nichts darüber.

Es wird von den Afghanen und den Muslimen etwas eingefordert und suggeriert, dass sie alle so etwas unterstützen, wenn man sich aber  klar dagegen stellt, dann wird das überhaupt nicht wahrgenommen, weil man weiterhin an seinen rassistischen Bildern festhalten will. Die Afghanen, die z.B. in München protestiert haben, unter ihnen viele, die erst 2021 gekommen sind, kennen diese ganzen rassistischen Diskurse noch nicht.

Wenn es die rechten und konservativen Medien ernst meinen mit ihrer Forderung nach Distanzierung, dann würden sie doch zu den Protesten gehen und mit den Menschen reden. Es geht aber nicht darum positive Dinge darzustellen, sondern nur um die Darstellung des Negativen um bestimmte Diskurse zu pushen.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

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