Opel: Mensch vor Marge? Fehlanzeige! Was bringt die neue Vereinbarung?

Angesichts des dramatischen Wandels in der Autoindustrie, bei dem bis zu 400 Tsd. Arbeitsplätze in der deutschen Zulieferer- und Herstellerindustrie gefährdet sind, soll den Unternehmen und ihren Beschäftigten, wie kürzlich auf dem in Berlin stattgefundenen „kleinen Autogipfel“ beschlossen, staatliche Hilfe gewährt werden.

Bei den geplanten Maßnahmen geht es vor allem darum, für die durch den Wandel vom Verbrennungs- zum Elektromotor den von Arbeitsplatzverlust bedrohten Beschäftigten den Zugang zu Kurzarbeit zu erleichtern und sie für neue Aufgaben im Zuge der Digitalisierung zu qualifizieren.

Opel hingegen bestätigt in diesen Tagen unsere Analyse,[i] sich in der krisengetriebenen Transformation der Autoindustrie vor allem mit weiterem Arbeitsplatzabbau pur aufzustellen.

Der französische Mutterkonzern PSA hatte Opel im August 2017 mit rund 19.000 Beschäftigten in den deutschen Werken übernommen. Mitte 2018 schlossen Opel-Management, Betriebsrat und IG Metall den „Zukunftstarifvertrag“ mit dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2023 als zentralem Punkt. Seitdem haben rund 6800 Beschäftigte einem vorzeitigen – noch nicht von allen bis heute vollzogenen – „sozialverträglichen“ Ausstieg über Altersteilzeit, Vorruhestand oder Abfindungen zugestimmt. Zum gesamten Maßnahmenpaket gehörte auch der Verkauf eines Teils des Rüsselsheimer Entwicklungszentrums an den Dienstleister Segula. 700 Opel-Mitarbeiter des Entwicklungszentrums wechselten dorthin, 1400 wählten eine Abfindung. Aktuell sind laut IG Metall in Deutschland noch knapp 15.000 Mitarbeiter an Bord, also fast 4000 weniger als vor der Übernahme durch PSA.

Und der rigorose Arbeitsplatzabbau wird fortgesetzt. Zum einen, weil neue Überkapazitäten im Konzern entstanden sind: durch die Fusion von Fiat-Chrysler und PSA, Umsatzrückgänge auf dem Weltmarkt und aufgrund des Fakts, dass für Elektroautos weniger Arbeitskräfte nötig sind als für Benziner und Dieselautos. Bei Opel ging der Absatz im letzten Jahr noch einmal um 6,4% zurück. Zum anderen lässt PSA-Chef Tavares keine Zweifel darüber aufkommen, dass es Investitionen in Elektromobilität nur im Verein mit einer hohen Unternehmensrendite geben kann: „Mit der Elektromobilität sinken die Margen der Unternehmen. Entweder können wir also den Preis erhöhen oder Restrukturierungen vornehmen, um Verluste zu vermeiden“ (FAZ, 12.09.2019).

Die Vereinbarung

Unter dem Druck der Konzernzentrale wird Opel abermals Tausende Arbeitsplätze abbauen. Das am Montag, den 13. Januar 2020 den Beschäftigten angekündigte „Eckpunktepapier“ zwischen Geschäftsführung und Gesamtbetriebsrat sieht vor, dass die „freiwilligen“ Programme zum Personalabbau durch Altersteilzeit, Vorruhestand und Abfindung deutschlandweit für die Jahrgänge bis 1963 wieder geöffnet werden. Für die Jahrgänge bis 1965 soll im Rahmen einer Einigungsstelle weiterverhandelt werden. Genaue Zielgrößen für die einzelnen Werke wurden nicht genannt. Damit sollen bis Ende 2021 weitere 2100 Stellen entfallen. Im Gegenzug erhalten die verbleibenden Beschäftigten einen um zwei Jahre bis 2025 verlängerten Kündigungsschutz.

Zusätzlich hat man sich auf einen darüber hinausgehenden Automatismus geeinigt, der bei einem noch drastischeren Kahlschlag greifen soll. Konkret: Sofern Opel mehr als 2100 Stellen abbaut, wird der Kündigungsschutz schrittweise ausgeweitet, zunächst bis Mitte 2027. Werden mehr als 3100 Stellen gestrichen, verlängert sich der Kündigungsschutz für die immer weniger in den Werken Verbleibenden bis Mitte 2029. Die Vereinbarung gilt für alle drei Standorte: Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach. Das ermöglicht der Geschäftsführung die Streichung von bis zu 4100 Arbeitsplätzen – die Zustimmung des Betriebsrats und genügend „Freiwillige“ vorausgesetzt.

Stellt man in Rechnung, dass bereits 6800 Stellen gestrichen wurden, wird sich die Belegschaft mit dem nun beschlossenen Abbau innerhalb von vier Jahren halbiert haben. Angesichts des nicht nachlassenden Drucks der Geschäftsführung, die Kosten weiter zu senken, konnten Betriebsrat und IG Metall einen verlängerten Kündigungsschutz und sozialverträglichere Maßnahmen sichern. Zudem erhalten die 300 Auszubildenden eine Übernahmegarantie (vgl. HB v. 14.1.2020).

Die Standorte

Im Stammwerk Rüsselsheim ging der Absatz des Flaggschiffs Insignia im ersten Halbjahr 2019 von 43.000 auf 29.500 Einheiten dramatisch zurück – ein Minus von mehr als 31%. Der Grund: „Die Marktforscher von IHS (ein Londoner Marktforschungsinstitut, bekannt für seine Konjunktureinschätzungen;PS) schätzen, dass Opel aufgrund der schwachen Nachfrage die Produktion des Insignia dieses Jahr beinahe halbieren dürfte – von 95.000 auf 52.000 Einheiten im Stammwerk in Rüsselsheim. Bis zu einer möglichen Neuauflage des Insignia im Jahr 2024 sollen die Fertigungszahlen sukzessive weiter sinken. Klassische Limousinen werden zunehmend zu Ladenhütern“ (HB v. 28.09.2019).

Seit vergangenem Herbst wird nicht nur wegen des Insignia-Einbruchs mit Lohneinbußen kurzgearbeitet. Die Produktion eines zweiten, von der Geschäftsführung schon im „Zukunftsvertrag“ zugesicherten Modells, dem neuen Astra, das in allen Versionen inklusive einer Elektro-Hybrid-Version gebaut werden soll, läuft erst im November 2021 schrittweise an. Das Massenmodell könnte – bei ausreichender Nachfrage – den Zweischichtbetrieb am Standort in Zukunft wieder sichern und das Werk besser auslasten. In den Fabrikbereichen Teilebau, Getriebewerk, Prototypenbau, Presswerk, Werkzeugbau, Schmiede und Engineering fehlt es dagegen an Investitionen.

Der Standort Rüsselsheim, an dem rund 70% der deutschen Opelaner beschäftigt sind, könnte vom Stellenabbau überproportional getroffen werden. Betroffen sein könnte vor allem das Entwicklungszentrum. Rüsselsheim soll zwar ein Kern des Entwicklungsnetzwerks des PSA-Konzerns bleiben und unter anderem Design und Entwicklung aller zukünftigen Opel-Modelle übernehmen. Zusätzlich soll es verantwortlich sein für weltweite Aufgaben innerhalb des PSA-Konzerns, etwa bei der Entwicklung von leichten Nutzfahrzeugen und einer neuen Motorenfamilie. Grund zur Besorgnis sind jedoch bereits bestehende Überkapazitäten, die mit der kürzlich vollzogenen Fusion zwischen PSA und Fiat-Chrysler durch einen konzernweiten Überhang an Ingenieuren sich noch verschärfen dürften. Die IG Metall hofft allerdings, mit der Vereinbarung eine Art Obergrenze für die Stellenstreichungen eingezogen zu haben.

Am Opel-Standort Kaiserslautern ist seit Dezember vergangenen Jahres der Weg frei für die seit längerem geplante Batteriezellenfabrik. Damit stellt sich für die Beschäftigten des Komponentenwerks von Opel über den vereinbarten Kündigungsschutz hinaus und zugleich für die Region eine Perspektive her. Die EU-Kommission genehmigte im Dezember entsprechende Förderprogramme von Mitgliedstaaten, die auch das Programm des Bundeswirtschaftsministeriums für eine Batteriezellenfertigung in Kaiserslautern einschließen. Zuständig für den Aufbau soll ein Joint Venture aus PSA und dem französischen Energieanbieter Saft sein. Dem Vernehmen nach könnte die Fabrik ab 2023 aufgebaut werden und 2000 Arbeitsplätze schaffen. Auch in Frankreich soll eine Fabrik entstehen. Das Ganze ist Teil einer europäischen Batterie-Allianz (vgl. dpa, 9.12.2019). Außer innovativen Batteriemodulen sollen sichere Recycling-Verfahren entwickelt werden. Sollte das Unternehmen erfolgreich sein und höhere Erträge abwerfen als erwartet, sollen die Firmen einen Teil der erhaltenen Steuergelder an den betreffenden Staat zurückzahlen.

Für das Werk in Eisenach steht schon länger fest, dass ab Anfang März 2020 mit der Produktion eines Elektrohybridmodells, des Kompakt-SUV Grandland X, begonnen wird. Eisenach war nach der Übernahme von Opel durch PSA das erste Werk, dessen Produktion komplett auf den neuen PSA-Standard umgestellt wurde. Nach der Einstellung der Produktion des Kleinwagens Corsa verließen etwa 400 Arbeitnehmer mit Abfindungen oder Altersteilzeit die Thüringer Fabrik. Im Zuge der Umstrukturierung nutzt Opel mit dem Grandland X zum ersten Mal die für alle Werke einheitliche PSA-Plattform, allerdings nur für dieses eine Modell. Auf der Fertigungslinie können mit derzeit 1400 Beschäftigten sowohl Diesel, Benziner als auch elektrische Varianten produziert werden – je nachdem, welche Antriebsform gerade nachgefragt wird.

Der Anlauf der Produktion in Eisenach steht unter enormem Erfolgsdruck. Denn der Grandland X wird zum einen in interner Konkurrenz zum aktuell auch noch im französischen Sochaux montierten, weitgehend baugleichen „Auto des Jahres 2017“ und nach Expertenansicht dem Opel designtechnisch überlegenen Peugeot 3008 gebaut, zum anderen muss er sich im Wettbewerb mit dem VW Tiguan und anderen Kompakt-SUVs auf dem Markt bewähren. Opel verspricht sich vom Grandland X, neben dem nach wie vor volumenstärksten Fahrzeug von Opel, dem im spanischen Saragossa gebauten neuen Corsa, stärkeres Wachstum und höchste Renditen. Opel erhofft sich auch eine erneute Markterschließung in Russland. Skeptiker wie der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer meinen hinsichtlich der Krisenfestigkeit des Standorts Eisenach allerdings: „Im zyklischen Autogeschäft braucht es eigentlich zwei Modelle, um eine Fabrik optimal auslasten zu können“ (HB, 28.9.2019).

Der Betriebsratschef des Opel-Werks in Eisenach begrüßt indes die mit dem Unternehmen ausgehandelten Eckpunkte zur Beschäftigungssicherung. Der befürchtete harte Sanierungskurs sei ausgeblieben, für junge Leute gebe es jetzt bessere Perspektiven, in das Unternehmen hineinzukommen, für Ältere sei der Weg aus der Arbeit leichter geworden. Außerdem soll als Bestandteil des „Eckpunktepapiers“ für alle Standorte ein Qualifikations- und Weiterbildungsprogramm aufgelegt werden. Ein Versprechen für die Zukunft.

Opels Zukunft

Der Einstieg in die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte soll u.a. in einem Joint-Venture abgesichert werden. In Allianz mit dem japanischen Elektromotor-Spezialisten Nidec, an dem jeder der Partner 50% hält, fertigt das Gemeinschaftsunternehmen seit Beginn des Jahres Elektromotoren in Frankreich. Die E-Motoren sollen in reinen Elektroautos als auch in Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen aller Marken – also Peugeot, Citroën, DS und Opel – zum Einsatz kommen. Die neue Montagelinie für elektrifizierte und herkömmliche Antriebsstränge soll im Jahr 2020 über eine Produktionskapazität von 120.000 Einheiten verfügen und dank ihrer flexiblen Konzeption im Jahr 2021 bereits 180.000 Einheiten und schlussendlich 900.000 Einheiten erreichen. Das gesamte Angebot (voll-) elektrischer Fahrzeuge der PSA-Marken, sowohl Pkw als auch leichte Nutzfahrzeuge, soll mit der neuen Technologie ausgestattet werden (vgl. elektro-news, 21.11.2019). Bis 2025 sollen alle Modelle der Groupe PSA in einer vollelektrischen oder Plug-in-Hybrid-Version erhältlich sein. Die Elektrifizierung der Antriebspalette ist für alle Hersteller wichtig, weil sie ab 2021 die CO2-Grenzwerte der EU von 95 g/km erfüllen müssen und die „klimaneutralen“ Einheiten auf die Flottenziele angerechnet werden.

Die Elektrifizierung der Modellpalette und die sie begleitende Absatzkrise der konventionellen Flotte bedeuten sinkende Margen. Für PSA heißt das Restrukturierung, also Durchforstung des Konzerns von der Logistik über die Forschungsabteilung bis zu den Werken in jedem Detail. Der Produktionschef der PSA-Gruppe, Yann Vincent, nannte als Konzernziel eine Nettokosteneinsparung von 700 Euro pro Fahrzeug über alle Marken von PSA hinweg. „Effizienzsteigerung ist die einzige Möglichkeit, die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens zu sichern“ (Manager Magazin, 28.9.2019). Opel nutzt zur Erfüllung der Vorgaben – neben dem Abbau von  Arbeitsplätzen – die „Skaleneffekte“, indem mehr Wagen auf PSA-Plattformen gebaut werden. Opel dürfte auf diese Weise das Renditeziel von sechs Prozent im Gesamtjahr 2019, das erst für 2026 erwartet wurde, schon erreicht haben und liegt dabei dicht bei der konzernweit geforderten Rendite von 8,7%.

Über den Einstieg in die Elektrifizierung und die „Allokation“ der Astra-Fahrzeugmodelle für Rüsselsheim hinaus gibt es keine konkreten Aussichten für die Opel-Beschäftigten, dass sie an der Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte und der Digitalisierung mitwirken könnten. Investitionen in Qualifizierung und Umschulung bleiben bei Opel – wenn überhaupt – Programme für die Zukunft. Die Beschäftigten sind damit dem permanenten Rationalisierungsdruck, Kurzarbeit und der Angst vor Arbeitsplatzverlust (nach Auslaufen des Kündigungsschutzes) perspektivlos ausgesetzt. Eine Atmosphäre der Demotivation und Intransparenz lässt sie ihre Arbeits- und Lebensbedingungen als zunehmend belastend erleben. Stellvertretend die Aussage eines Beschäftigten zur Work-Life-Balance: „Dadurch, dass viel Personal abgebaut wird, aber kaum noch Neuprojekte laufen, die Franzosen diese wenigen auch noch an sich ziehen – less work, no balance“ (aus: kununu.com, Opel als Arbeitgeber). Marx´ Aussage hat von seiner Gültigkeit nichts eingebüßt: „Die Ökonomisierung der gesellschaftlichen Produktionsmittel, erst im Fabriksystem treibhausmäßig gereift, wird in der Hand des Kapitals zugleich zum systematischen Raub an den Lebensbedingungen des Arbeiters“ (MEW 23, S. 449) und  entwickele sich bis zum vollständigen Gegensatz gegenüber den Beschäftigten. Sie führt letztlich auch bei Opel wie zuvor im PSA-Konzern zu massivstem Arbeitsplatzabbau ohne eine Option der Beschäftigten für die Zukunft. Opel ist ein Paradebeispiel für den Zynismus der Konzerne, statt auf die Zukunftssicherung der Beschäftigten nur auf das Erreichen des nächsten Margenziels zu setzen.

Peter Stahn ist aktiv in den Sozialistischen Studiengruppen (SOST) und Redakteur von vorortLinks.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Sozialismus.de, ein Publikationsprojekt und Forum für die Debatte der gewerkschaftlichen und politischen Linken in Deutschland. Kostenlose Probehefte und (Probe-)Abos gibt’s auf www.sozialismus.de.


[i] Peter Stahn: Opel – wie weiter? Menetekel für eine krisengetriebene Transformation der Autoindustrie? In: Sozialismus 12/2019, S. 49-53.


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