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Marx wäre gegen die BGE-Forderung gewesen

Das Besondere an Marx ist, dass seine humanistische und kritische Herangehensweise ihn zunächst zu der Erkenntnis brachte, nicht in erster Linie die Deutungen der Welt müssten verändert werden, sondern die gesellschaftliche Welt selbst. Um Entfremdung, Ausbeutung und Herrschaftsverhältnisse aufzuheben sei eine revolutionäre Überwindung der bestehenden bürgerlich-kapitalistischen Ordnung nötig.

Er erkannte, dass die ökonomische Basis grundlegend für die Struktur der Gesellschaften und das gesellschaftliche Sein der Menschen grundlegend für ihr Bewusstsein ist, und dass es für die Durchsetzung anderer gesellschaftlicher Verhältnisse nicht reicht sie zu wollen, sondern dass sich dazu die entsprechenden Produktivkräfte und sozialen Kräfte herausgebildet haben müssen. Daraufhin widmete er große Teile seines Lebens der Analyse der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer Gesetzmäßigkeiten und der Organisierung der Arbeiterbewegung als der sozialen Kraft, die sowohl Interesse als auch potenziell die Stärke zur Überwindung des Kapitalismus hat. Hinter diesen Erkenntnisstand sollten Linke, die sich auf Marx beziehen, nicht zurückfallen.

Natürlich niemand sicher sagen, was Marx zum BGE gesagt hätte, und vielleicht wäre es auch zu unterschiedlichen Phasen seines Lebens nicht das Gleiche gewesen. Und Marx war auch kein Allwissender, dem man zu glauben hätte, erst recht nicht einzelnen Zitatsätzen, wo man für vieles vermeintliche Belege finde kann. Sondern wir haben selber zu denken und aufbauend auf seinen Erkenntnissen die heutige Welt zu analysieren und Politik zu entwickeln. Für diese Welt gilt immer noch und mehr denn je, dass sie auf der Anwendung und Ausbeutung abhängiger Arbeit in kapitalistischer Warenproduktion beruht und dass das Kapital die beherrschende ökonomische Macht der Gesellschaft ist. Es ist weder ein Ende des Kapitalismus noch ein Ende der Arbeitsgesellschaft in Sicht. Und ein BGE wäre auch kein Beitrag zur Überwindung des Kapitalismus oder eine Antwort auf ein Verschwinden der Erwerbsarbeit. Eine Pro-BGE-Position, die sich davon eine Überwindung des Erwerbsarbeitszwangs verspricht und eine emanzipatorische Alternative sieht, verfängt sich in unlösbaren Selbstwidersprüchen.

Zunächst mal nehmen in der Realität die Lohnarbeit und allgemeiner die Erwerbsarbeit und ihre Bedeutung für die Gesellschaften und die Einzelnen weltweit und auch in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern ungebrochen zu. Wo die Erwerbsarbeit schrumpft, ist das Folge ökonomischer Krisen oder von Kriegen, nicht etwa von Produktivitätssprüngen. Gesamtwirtschaftlich ist das Tempo der Produktivitätssteigerung, die die kapitalistische Produktion seit ihrem Beginn kennzeichnet, in den letzten Jahrzehnten sogar geringer geworden, und eine massive Zunahme durch die Digitalisierung ist nicht zu erwarten. [1] Daran ändern manche Äußerungen von Marx über mögliche Perspektiven der Produktivkraftentwicklung nichts, die erstens oft falsch interpretiert werden und zweitens kritisch zu hinterfragen und bisher nicht eingetreten sind. Mehr denn je ist die Produktion auf den Tauschwert und den Profit durch Ausbeutung lebendiger Arbeit gerichtet. [2]

Die Arbeit ist und bleibt absehbar unverzichtbare Quelle des Reichtums. Und der Wert der Waren, einschließlich der für Geld käuflichen Dienstleistungen, bleibt wesentlich bestimmt durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, wie es Marx im „Kapital“ analysiert hat. Und dabei geht es um die warenproduzierende Arbeit, die Erwerbsarbeit. Und hier ist der logische Widerspruch beim BGE: Ein BGE wäre eine Geldleistung, die sich im Kauf von Waren (inklusive Dienstleistungen) realisieren können müsste. Diese und ihr Wert, der mit dem Geld bezahlt würde, werden aber durch Erwerbsarbeit produziert. Selbst wenn einzelne Produktionsprozesse vollautomatisch wären, gilt dies gesamtwirtschaftlich. Die primäre Quelle aller Einkommen sind die Verkaufserlöse der produzierten Waren (einschließlich Dienstleistungen), und die so entstehende Nettowertschöpfung wird verteilt auf Löhne einerseits, Unternehmens-und Vermögenseinkommen andererseits. Ein BGE müsste letztlich immer durch Umverteilung aus dem so gebildeten Volkseinkommen aufgebracht werden. Es würde also vollständig darauf beruhen, dass weiterhin (kapitalistische) Warenproduktion durch Erwerbsarbeit stattfindet.

Dabei ist es eine völlige Fehlannahme zu glauben, dann könnten aber alle zumindest ohne Zwang endlich das arbeiten, was sie gerne möchten. Denn es müsste weiterhin nicht das produziert werden, was einzelnen ProduzentInnen gerne möchten, sondern das was die gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigt, die sich in zahlungsfähiger Nachfrage äußern. Wenn ich mit Geld aus dem BGE im Restaurant etwas bestellen würde, müssten die Beschäftigten mir das herstellen und bringen und zwar nicht, weil sie gerade Lust dazu haben, sondern weil ich bezahle. Wer ein BGE fordert will, dass das genauso auch weiterhin funktioniert, sonst wäre ein BGE sinnlos. Auch quantitativ würde jede Schrumpfung der Erwerbsarbeit zugleich die ökonomische und finanzielle Basis eines BGE schrumpfen, also zu einer entsprechenden Senkung des BGE führen müssen. Befreiung von entfremdeter Lohnarbeit wäre unter diesen Bedingungen höchstens für Einzelne möglich, und auf Kosten der anderen. Emanzipatorisch und sozialistisch wäre das nicht.

Selbstverständlich trifft auch für die unbezahlte Reproduktionsarbeit im eigenen Haushalt oder für ehrenamtliche Arbeit der allgemeine Marxsche Arbeitsbegriffs zu (vgl. Kapital I, MEW 23, S. 192f.). Doch diese Arbeit produziert eben keine Waren, ist damit keine ökonomische Wertschöpfung, führt nicht zu Einkommen und kann damit nicht als ökonomische Grundlage für ein BGE dienen. Das Gleiche gilt für die Gratisleistungen der Natur und ebenso für die als „geronnene Arbeit“ historisch akkumulierten Leistungen der Menschheit in Form von dauerhaften Anlagen oder von Wissen. Es handelt sich dabei um zentrale Grundlagen heutiger Produktion, doch Wertschöpfung findet nur statt, wenn diese durch lebendige Arbeit in der Produktion von Waren genutzt werden. Die Verteilung dieser Wertschöpfung, im Kern der Klassenkampf um den Anteil der Löhne am Volkseinkommen, das bleibt die primäre Verteilungsauseinandersetzung im Kapitalismus. Das BGE kann daraus keinen Ausweg bieten.

Angesichts einerseits der gigantischen Umverteilungsvolumina, die nötig wären, der Dimensionen und Verteilungsverhältnisse des Volkseinkommens andererseits wäre unvermeidlich, dass ein BGE ganz überwiegend von den abhängig Arbeitenden selbst bezahlt werden müsste. Die Abgabenbelastung der Löhne müsste mehr als verdoppelt werden, die entsprechenden Kontrollen massiv verschärft. Für die Mehrheit der Lohnabhängigen wäre ein BGE nur ein sinnloses Umverteilungsspiel: in die eine Tasche rein, aus der anderen durch höhere Abgaben wieder heraus. Zudem würden die Löhne durch ein BGE als allgemeine Lohnsubvention für das Kapital unter Druck geraten und alle historisch durchgesetzten sozialen Errungenschaften und Regulierungen der Lohnarbeit würden in Frage gestellt – ein BGE wäre aus Sicht des Kapitals und der Neoliberalen wohl soziale Sicherheit genug. [3] Es geht nicht darum, ob linke BGE-BefürworterInnen das wollten, sondern was unter den bestehenden Bedingungen und Kräfteverhältnissen des Kapitalismus realistischerweise dabei tatsächlich herauskäme. Die Herrschaft des Kapitals beruht aber auf dem Privateigentum an den wesentlichen Produktionsmitteln und setzt sich durch in den konkurrenzvermittelten Bewegungsgesetzen der kapitalistischen Produktionsweise. Ein BGE würde daran nichts ändern.

Die emanzipatorische und sozialistische Alternative ist eine andere: Befreiung (in) der Arbeit, Verkürzung der Arbeitszeiten, humane Gestaltung und gerechte Verteilung aller gesellschaftlich notwendigen Arbeit, ein Recht auf gute Arbeit, höhere Löhne und Sozialleistungen und eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie soziale Mindestsicherung. Auch diese wahrhaft emanzipatorischen Alternativen sind im Kapitalismus nur begrenzt und gegen große Widerstände durchzusetzen. Doch zumindest lassen sich Kämpfe und Bündnisse für diese Forderungen entwickeln, die lohnabhängige Klasse und die große Mehrheit der Bevölkerung hat ein Interesse daran und potenziell auch erhebliche Machtpotenziale, wenn sie gemeinsam und organisiert dafür kämpft. Von einem BGE erhoffen sich dagegen im Kern nur einige der ärmsten, prekärsten und machtlosesten Teile der Gesellschaft Verbesserungen ihrer Lage. Ansonsten haben nur noch Teile des Kapitals ein Interesse daran, die sich damit von sozialen Verpflichtungen befreien wollen und es als einen Hebel zur Demontage des Sozialstaats und zur Privatisierung der Sozialversicherungen sehen. Aus einer solchen Konstellation kann niemals eine sozial progressive Politik erwachsen.

Und selbst in einer sozialistischen Gesellschaft, die die Herrschaft des Kapitals überwunden hat, wäre ein BGE keine sinnvolle Gesellschaftsgestaltung. Denn auch diese Gesellschaft würde zunächst noch darauf beruhen müssen, das „Reich der Notwendigkeit“ durch eine möglichst rationelle und demokratische Organisation der gesellschaftlichen Arbeit zu gestalten. Das Recht auf gute Arbeit würde verwirklicht, die Arbeitszeit verkürzt, Erwerbslosigkeit und Prekarität würden beseitigt. Aber auch in dieser ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft würde nach Marx gelten: „Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportionell; die Gleichheit besteht darin, daß an gleichem Maßstab, der Arbeit, gemessen wird. (…) Dies gleiche Recht ist ungleiches Recht für ungleiche Arbeit. Es erkennt keine Klassenunterschiede an, weil jeder nur Arbeiter ist wie der andre; aber es erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit der Arbeiter als natürliche Privilegien an. (…) In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft (…) erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 20f.)

Daher ist meine Schlussfolgerung ganz klar: Marx hätte sich nach meiner Überzeugung gegen die Forderungen nach einem BGE ausgesprochen, gegen eine illusionäre Wunschvorstellung, die im Kapitalismus nicht im Sinne der arbeitenden Mehrheit funktionieren kann, sondern höchstens zu ihren Lasten, und die keine Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus aufzeigt, die die Kräfte für sozialistischen Fortschritt eher spaltet als stärkt, und die selbst im Sozialismus unnötig und ungerecht wäre.

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[1] Vgl. Krämer, Ralf, 2015: Die Roboter kommen, die Arbeit geht?, in: Luxemburg, H.3, www.zeitschrift-luxemburg.de/die-roboter-kommen-die-arbeit-geht

[2] Vgl. zu einer Kritik linker Illusionen: Fischbach, Rainer: Digitale Wunder, in: Neues Deutschland v. 12.08.2017, www.neues-deutschland.de/artikel/1060386.digitale-wunder.html17

[3] Vgl. Bedingungsloses Grundeinkommen. Risiken und Nebenwirkungen einer wohlklingenden Idee, ver.di Wirtschaftspolitik-Informationen 4/2017, https://wipo.verdi.de/publikationen/++co++ab29a9ba-db39-11e7-ade4-525400940f89

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3 Antworten

  1. Hmmm.. eher so: Marx hat eine prima Analyse der wirtschaftlichen Unrechtssituation seiner Zeit schaffen können, da er von Herrn Engels und seiner Frau bei der Textarbeit unterstützt und komplimentiert und aus den üblichen ökonomischen Zwängen herausgehalten wurde. Er würde Unser Zeitalter so wenig verstehen wie Wir die Lebensrealität eines Arbeiters im Frühkapitalismus. :)

    Das BGE ist nichts anderes als eine mögliche Form der Alimentierung der Bevölkerung. Was am LOHN besser sein soll, der reiner Spielball des Kapitals ist und über LOHNDRÜCKEREI („größter Niedriglohnsektor der EU“), LEIHARBEIT; ZEITARBEIT, MINIJOBS, 1-EURO-JOBS, SCHEINSELBSTÄNDIGKEIT, von der Industrie selbst organisierte systematische SCHWARZARBEIT UND Unterlaufung des MINDESTLOHNES entwertbar ist, nach Belieben – das dürfen die Herren und Damen MarxistInnen mir gerne erklären. Oder auch RestsozialdemokratInnen, gerne: WAS ist an fortbestehender Lohnabhängigkeit des Existenzminimums Aller denn vorzuziehen oder gerechter?

    1. Marx hat nicht den Kapitalismus Englands des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet, sondern eine grundsätzliche Analyse des Kapitalismus geliefert. Diese gilt, mit Aktualisierungen, bis heute. Selbst Kapitalist*innen beziehen sich heute immer wieder auf ihn, weil er nun Mal, recht gehabt hat.

  2. Das sich die ärmsten,prekärsten und machtlosesten Erwerbspersonen ein BGE zur Linderung ihres Elends wünschen, halte ich für falsch. Zumindest engagieren diese sich nicht für ein BGE, sondern für Beschäftigung und bessere Löhne. Manche Hartz IV-Empfänger versprechen sich vielleicht ein Ende der Sanktionen und Schikanen durch ein BGE. Dieses selbst wird überwiegend aus dem akademischen Proletariat und einer linken Boheme gefordert, die ein sicheres Basiseinkommen wollen, dass sie dann durch vielfältige Aktivitäten aufstocken können. Damit ist eine Bereitschaft zur Askese verbunden, die als alternatives Leben glorifiziert werden kann. Das scheint vielen besser zu sein, als der Zwang zu fremdbestimmter Lohnarbeit.

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