Lindner: Pragmatisch in Deutschland, Ideologe in der EU? – Im Gespräch mit Maurice Höfgen

Der neue Koalitionsvertrag der Ampel steht und zumindest FDP und Grüne haben schon vorgestellt, wer welches Ministerium erhalten soll. Wir haben mit dem Ökonomen Maurice Höfgen über den neuen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und die Finanzpolitik der kommenden Regierung gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Die neue Koalition hat beschlossen, dass sie auf Steuererhöhungen verzichtet, allerdings sind neue Steuern im Gespräch. Was kann man erwarten?

Maurice Höfgen: Sowohl höheren als auch niedrigeren Steuern hat die Ampel eine Absage erteilt. Und das obwohl alle drei Parteien im Wahlkampf zumindest Steuerentlastungen für kleine Geldbeutel versprochen haben. Das Steuerkapitel ist nur eine lächerliche DIN-A4-Seite lang. Ich hab mich erst gefragt, ob jemand die Steuerbeschlüsse aus Versehen gelöscht hat. Außer blumigen Formulierungen zur Unterstützung der globalen Mindeststeuer und Maßnahmen gegen Steuervermeidung ist nicht viel zu finden. Enttäuschend!

Die Freiheitsliebe: Kurz vor Veröffentlichung wurde noch über die Einführung einer Zuckersteuer spekuliert.

Maurice Höfgen: Stimmt. Die Grünen waren dafür, die FDP dagegen. Im Koalitionsvertrag steht davon nichts mehr. Die FDP hat sich offenbar durchgesetzt und es auf den letzten Drücker noch rausgestrichen. Ich finde das gut. Deutschland hat andere Probleme, als den Limotrinker durch die Hintertür zu belasten. Ohnehin scheint die FDP gut verhandelt zu haben. Immerhin stellen sie als kleinste Partei den Finanzminister – das einzige Ministerium mit Vetorecht!

Die Freiheitsliebe: In einigen Bereichen dürften höhere Ausgaben anfallen. Wie sollen diese bezahlt werden?

Maurice Höfgen: In Sachen Klimaschutz, Energie, Verkehr und Digitalisierung werden viele Vorhaben aufgelistet, ohne aber daneben zu schreiben, wie viel Geld man dafür ausgeben will. Gute Vorhaben bringen aber wenig, wenn das Geld nicht fließt. Dabei muss die Ampel keine Finanzierungssorgen haben. Ab 2023 gilt zwar wieder die Schuldenbremse, aber im Koalitionsvertrag stehen genug Wege, um auch trotz der unsinnigen Schuldenbremse zu investieren. Vieles werden sie auch nutzen. Wie viel konkret, hängt jetzt von Lindner ab. Habeck und Scholz hoffen wohl, dass er nicht mit zugenähten Hosentaschen ins neue Büro einzieht.

Die Freiheitsliebe: Welchen Spielraum hat Finanzminister Lindner denn mit diesem Koalitionsvertrag?

Maurice Höfgen: Im Vertrag fehlen leider Zahlen, aber die Spielräume sind groß. Die Tilgung der Corona-Schulden wird auf 2028 geschoben und über 30 Jahre gestreckt. Die bereits bewilligte Neuverschuldung von 2021 und 2022 wird die Ampel in einen Klimafonds pumpen und investieren. Das sind rund 100 Milliarden Euro an der Schuldenbremse vorbei. Außerdem sollen Investitionen über staatliche Gesellschaften an der Schuldenbremse vorbeigelenkt werden. Die Deutsche Bahn oder die BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) sollen durch zusätzliche Kreditermächtigungen und Eigenkapitalzuschüsse vom Bund gestärkt werden. Wenn die Bahn einen Kredit aufnimmt und in neue Züge investiert, fällt das nicht unter die Schuldenbremse. Ebenso soll die staatliche Investitionsbank KfW gestärkt werden, um mehr Kredite für Firmen zu ermöglichen. Heißt: An Spielraum mangelt es nicht. Hier haben SPD und Grüne vieles durchbekommen.

Die Freiheitsliebe: Droht mit Lindner also keine neue Sparpolitik?

Maurice Höfgen: In Deutschland vorerst wohl nicht. Lindner wird bei dem Koalitionsvertrag nicht das FDP-Programm im BMF umsetzen können. Die Messe ist aber noch nicht ganz gelesen. Lindner behauptet etwa, dass die zeitweise höheren Inflationsraten an zu hohen Staatsausgaben lägen. Das ist falsch. Maßgeblicher Treiber sind etwa die höheren Energiepreise, die aber wenig mit der Staatsbilanz des Bundes zu tun haben. Und wenn, dann eher umgekehrt. Hätten wir früher in Wind und Solar investiert, wären wir heute weniger von Öl und Gas aus dem Ausland abhängig.

Die Freiheitsliebe: Du hast von Deutschland gesprochen. Wie es mit der EU?

Maurice Höfgen: Da bin ich skeptischer. Ich glaube: Je pragmatischer Lindner zuhause sein muss, desto ideologischer wird er in der Runde mit den europäischen Finanzministern auftreten. Italien, Frankreich und Co. drängen auf andere Schuldenregeln, damit sie endlich aus der Zwangsjacke der Sparpolitik herauskommen. Lindner und Scholz werden das wohl blockieren, mindestens aber torpedieren. In Italien gibt es einen heftigen Rechtsruck. Die Leute sind genervt von der EU. Lahme Wirtschaft, Deindustrialisierung, Spardiktate und hohe Arbeitslosigkeit spielen eine große Rolle. All das liegt auch an den europäischen Wirtschafts- und Schuldenregeln, die der Wirtschaft das Benzin aus dem Tank saugen.

Die Freiheitsliebe: In dem Koalitionsvertrag wird über die Streichung von Subventionen gesprochen. Können diese die Kosten decken und wen würden dieser Wegfall treffen?

Maurice Höfgen: Um alle Vorhaben umzusetzen, reichen ein paar Kürzungen an anderer Stelle nicht. Das ist der Ampel aber bewusst, sonst hätten sie sich nicht so großen Spielraum für neue Schulden geschaffen. Sicher gibt es einige sinnvolle Streichungen. Wenn man Klimaschutz ernst meint, kann man Kohle und Diesel nicht auf ewig subventionieren. Das Problem: Der Malocher mit bescheidenem Gehalt, der noch immer seine Dieselmöhre fährt, muss dann die Zeche zahlen. Auf diesem Auge ist die Ampel aber blind!

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

Mehr von Maurice Höfgen findet sich auf seinem YouTube-Kanal und seiner Homepage.

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